Johann Heinrich Flemming: Mémoires (1696-1702). Pamiętniki (1696-1702). Herausgegeben von Urszula Kosińska, Warszawa: Wydawnictwo Neriton 2017, 501 S., ISBN 978-83-75434-28-6
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um eine kritische Edition der französischsprachigen Mémoires Jacob Heinrich Reichsgraf von Flemmings aus den Jahren 1696 bis 1702 und deren polnischer Übersetzung. Für den Druck vorbereitet wurden sie von der Warschauer Frühneuzeithistorikerin Urszula Kosińska. Die Edition wird von einem ausführlichen, ebenfalls zweisprachigen Vorwort über den Verfasser und dessen Werk (Ziel, Genese, Entstehungsumstände) eingeleitet. Die Originale der Tagebücher werden im Sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden aufbewahrt: Kosińska hat sie mit zeitgleich und etwas später angefertigten Kopien, Abschriften und Teileditionen verglichen.[1] Sofern diese wichtige Informationen über den Verfasser selbst oder die Umstände, unter denen die Tagebücher entstanden sind, enthalten, sind sie im Anhang abgedruckt. Den Band komplettieren ein Literaturverzeichnis sowie ein Orts- und Personenregister.
Der Schwerpunkt der Erzählung liegt auf den erfolgreichen Bemühungen des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. um die polnische Königskrone (1696/97) und dessen ersten Regierungsjahren als August II. der Starke in der Adelsrepublik, wobei die ersten Monate, bis zu seinem Treffen mit Zar Peter dem Großen im August 1698 in Rawa-Ruska, am detailliertesten geschildert werden. Flemming, der als einer der engsten Berater Augusts maßgeblich für dessen erfolgreichen Wahlkampf verantwortlich und mit den polnischen Verhältnissen vertraut war, kam in den beschriebenen Ereignissen zwangsläufig eine maßgebliche Rolle zu. In den in der dritten Person 1704-1706 aufgezeichneten Erinnerungen erscheint er als "le Chevalier". Die Mémoires sind an eine namentlich nicht näher genannte "Madame" gerichtet. Die Herausgeberin identifiziert sie überzeugend als Ursula Katharina Fürstin von Lubomirska, geb. von Altenbockum, die 1700-1704 eine königliche Mätresse war. Flemmings Schrift scheint als Werkzeug im inneren Machtkampf am kursächsischen Hof gedient zu haben. Sie sollte Flemmings Position stärken und dessen Einfluss auf die Polenpolitik Augusts vermehren: Betont werden unter anderem Flemmings Verdienste während des Interregnums sowie seine Skepsis gegenüber dem Krieg gegen Schweden, der in den Großen Nordischen Krieg mündete. Flemmings Erinnerungen wurden jedoch nicht nur für die innenpolitischen Kämpfe genutzt. Der Anhang Nr. 4 beweist, dass die Schrift während des Interregnums nach Augusts Tod (1732/33) von den sächsischen Ministern gelesen wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass sie als ein Handbuch sui generis über Wahlkampagnen in Polen diente.
Zwar wurden dem Interregnum nach dem Tode Johann III. Sobieskis und den ersten Regierungsjahren Augusts zahlreiche Quelleneditionen und Abhandlungen gewidmet, aber die Geschichtsschreibung wurde von der kaiserlichen, russischen, französischen und preußischen Sicht geprägt. Die sächsische Perspektive wurde hingegen in der bisherigen Forschungsliteratur nur in begrenztem Umfang (insbesondere durch Paul Haake[2]) wahrgenommen. Die Veröffentlichung der Mémoires bildet einen ersten Schritt, um diese Lücke zu schließen, und ebnet den Weg zu einer modernen monografischen Darstellung der sächsischen Polenpolitik in den Jahren 1696/97, die immer noch ein Forschungsdesiderat darstellt.
Das Werk, das die erste vollständige Edition der Tagebücher Flemmings darstellt, verdient die Aufmerksamkeit der Geschichtsschreibung. Es enthält viele relevante Informationen, die in den älteren Teileditionen nicht berücksichtigt wurden, erbringt neue Erkenntnisse und erweitert unser Wissen über die sächsische Polenpolitik und die sächsisch-polnische Hofkultur deutlich. Besonders interessant sind die Passagen, die die Motive für den Erwerb der polnischen Krone betreffen und hinter die Kulissen der Wahlkampfvorbereitungen und des Glaubenswechsels Augusts schauen lassen. Wichtig sind die Abschnitte, die Flemmings Tätigkeit in Polen, seine Kontakte mit polnischen Magnaten und Adligen (eilig gebildete persönliche Netzwerke und Kommunikationsstrukturen) thematisieren und minutiös den Verlauf des Elektionsreichstags beschreiben. Von besonderer Bedeutung sind Flemmings Aussagen über die Ursprünge der gegenseitigen Animosität zwischen den sächsischen und polnischen Eliten. Die Mémoires werfen unter anderem auf die Gespräche Augusts mit Peter dem Großen in Rawa-Ruska, die Ausgestaltung des Konzepts des Großen Nordischen Krieges sowie die Rivalität zwischen den wichtigsten sächsischen Ministern Wolf Dietrich Graf von Beichlingen und Anton Egon Fürst von Fürstenberg ein neues Schlaglicht. Sehr interessant sind die plastischen und bildhaften Charakterisierungen der einzelnen Akteure. Der Stil des Verfassers ist beredt und nicht ohne literarischen Reiz.
Die französische und deutsche Orthografie und Interpunktion wurden im Einklang mit den allgemein anerkannten Grundsätzen modernisiert. Textkritische Bemerkungen, auf die in der polnischen Übersetzung allerdings verzichtet wird, und Sachkommentare zu schwer verständlichen Passagen sind präzise formuliert. Um die auf den Blättern der Tagebücher beschriebenen Ereignisse und Personen in ihren Zusammenhängen verstehen und erklären zu können, zog Kosińska Handschriften aus Archiven und Bibliotheken in Dresden, Warschau, Breslau und Kórnik heran und wertete zahlreiche alte Drucke aus.
Das letzte Wort soll dem Verfasser gehören: "Je souhaite que vous ayez [...] de plaisir à lire cet ouvrage" (47).
Anmerkungen:
[1] Theatrum Europaeum, Bd. 15, Franckfurt am Mayn 1707, 295-308; Theatrum ceremoniale historico-politicum, Teil 2, Leipzig 1720, 4-12; Description du cérémonial et des fêtes 1697 à l'élection du roi Auguste II, in: Jean Rousset de Missy (éd.): Le Ceremonial diplomatique des cours de l' Europe, ou collection des actes, mémoires et relations, Bd. 2, Amsterdam 1739, 398-418.
[2] Paul Haake: Die Wahl Augusts des Starken zum König von Polen, in: Historische Vierteljahresschrift 9 (1906), 31-82; ders.: August der Starke, Berlin u. a. 1926.
Jacek Kordel