Yvonne Bergerfurth: Die Bruderschaften der Kölner Jesuiten 1576 bis 1773 (= Studien zur Kölner Kirchengeschichte; Bd. 45), Siegburg: Verlag Franz Schmitt 2018, 438 S., 15 s/w-Abb., 3 Kt., 5 Tbl., ISBN 978-3-87710-461-3
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Die Untersuchung des sogenannten Semireligiosentums gehört in all seinen Schattierungen und epochenübergreifenden Formen zu einem der spannendsten Themen der Kirchengeschichte, weil sich an dieser Stelle grundlegende Fragen kirchlicher Organisation, des Verhältnisses von Klerus und Laien und damit der Aushandlung von Hierarchie auftun. Durch Vertreter des Kölner Jesuitenkollegs wurden bis zur Auflösung des Ordens 1773 vier unterschiedliche Bruderschaftstypen in den Mauern der Stadt betreut, die in der vorliegenden, an der philosophischen Fakultät Bonn entstandenen Dissertation, vergleichend betrachtet werden. Bei der Konkretisierung ihrer Fragestellung bleibt die Verfasserin in der Einleitung zunächst etwas vage (2-24) und schwankt zwischen institutions-, frömmigkeits- und sozialgeschichtlichem Ansatz. Aufgrund der konsequenten und gründlichen Analyse des Quellenmaterials erweist sich die Arbeit schlussendlich aber als wertvoller Baustein zur Beurteilung von katholischer Reform, den Grenzen der Konfessionalisierung und den hierbei involvierten Akteuren aus Welt-/Ordensgeistlichkeit und den sogenannten Laien beiderlei Geschlechts.
Nach einem allgemeinen Überblick zur Situation der Kölner Bruderschaften und ihres Verhältnisses zu den Jesuiten, widmet sich die Autorin zunächst den marianischen Sodalitäten, die ab 1576 von der Societas Jesu gezielt und im Rahmen einer gesamtkatholischen Strategie in Köln eingeführt wurden. Am detailreichsten erweist sich aufgrund der vorliegenden Quellensituation dann die Beschäftigung mit der bedeutenden Kölner Bürger- und Junggesellensodalität (Kapitel 4). Mit großer Akribie und Quellenkenntnis wird hier die Entwicklung der verschiedenen Ämter und Funktionen innerhalb der Sodalität dargestellt. Die Modalitäten und Aushandlungen von Selbstverwaltung und die zahlreichen Konfliktpunkte mit anderen Bruderschaften, vor allem aber mit dem "vorgesetzten" Orden, sind Thema des Kernstücks der Arbeit, das unter dem bezeichnenden und aus den Quellen stammenden Titel "Dominari quid est?" firmiert. Einen hoch interessanten Blick in die Frömmigkeitsgeschichte der Bruderschaft erlaubt der letzte Abschnitt des Kapitels (4.9), in dem das "religiöse Angebot" der Bürgersodalität vorgestellt wird. Kennzeichnend für die inneren Spannungen der konfessionell nach eindeutiger Identität und zugleich nach bedürfnis- und zeitgemäßer Gestaltung ihres religiösen Lebens strebenden Bürgerschaft scheint eine Episode aus dem Jahr 1730, als eine Dame aus der Bürgerschaft das Psalmodieren der Sodalen als Zeichen für den Einzug des Protestantismus in die Mauern der Stadt deutete und mit allen ihr möglichen Mitteln bekämpfte. An dieser Stelle agierten Sodalen, Jesuiten und Diözesanklerus einmütig im Sinne der Beibehaltung beliebter und bedürfnisgerechter religiöser Bräuche, auch wenn sie für manche konfessionell uneindeutig wirken mochten. Abschließend wird die Kölner Ursulagesellschaft mit den Bürger- und Junggesellensodalität verglichen. Aufgrund der substantiellen Vorarbeiten von Anne Conrad hierzu [1], verzichtet die Verfasserin auf eine ebenso ausführliche Quellendarstellung wie zuvor.
Die Hauptergebnisse ihrer quellengesättigten Studie legt die Verfasserin pointiert in Form von sechs Thesen vor (363-375), die bezüglich der bislang geltenden Einschätzungen zum Phänomen der Bruderschaften und insbesondere der marianischen Sodalitäten eine interessante Akzentverschiebung bedeuten. So plädiert die Verfasserin dafür, die behandelten Gruppen als individuelle Korporationen mit erheblichem eigenem Gestaltungswillen und -vermögen zu betrachten, die in stärkerer Tradition zu ihren spätmittelalterlichen Vorgängern standen als bislang angenommen. Gerade bei den Bürgersodalen zeigt die Studie einen erheblichen Willen zu Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von der sie formal und kirchenrechtlich kontrollierenden Gesellschaft Jesu auf, während die als pastorale Begleiter der "Laienverbände" tätigen Jesuiten selbst ambivalent im Spannungsfeld von Gesamtorden und ihrer Kölner Klientel zu beschreiben sind. Hier plädiert die Verfasserin im Rückgriff auf die Kategorien Oestreichs für eine differenzierte Einordnung des Verhältnisses der Akteure als Sozialregulierung in Abstufung zur Sozialdisziplinierung. Zumindest für das Kölner Beispiel weist die Studie schlüssig nach, dass maßgeblich die lokal gewachsenen Netzwerke und Strukturen Einfluss auf die Genese der Gruppen hatten, aber nur ganz wenig überregionaler Informationsaustausch mit gleichartigen Gruppen gesucht oder umgesetzt wurde. Auch erweist sich die Kölner Bürgersodalität in ihrer sozialen Struktur weniger als elitäre Einrichtung, denn spätestens seit Ende des 17. Jahrhunderts schwand die Dominanz der Ratsherren in den Beamtenpositionen zugunsten einer selbstbewussten Mittelschicht. Ergänzt wird der Textapparat durch aufwendiges Kartenmaterial, zahlreiche Tabellen und überaus informative Schaubilder.
Im Hinblick auf die Einordnung ihrer Ergebnisse in die reiche europäische (und lateinamerikanische) Forschungssituation zum Thema wäre ein noch stärkerer Vergleich mit ähnlichen vorliegenden Studien zu anderen Orten und Bruderschaften sicherlich von Nutzen gewesen, wie sie nicht zuletzt auf Grundlage von Peter Hersches großartiger Synthese von 2006 [2] gut gangbar wäre. Bergerfurths Studie stellt aber auch für sich genommen einen wichtigen Baustein nicht nur zur Kölner Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte dar. Darüber hinaus hilft sie dabei, einen differenzierteren Blick auf die Schattierungen katholischer Konfessionalisierung und die beteiligten Akteure zu gewinnen.
Anmerkungen:
[1] u.a. Anne Conrad: Zwischen Kloster und Welt. Ursulinen und Jesuitinnen in der katholischen Reformbewegung des 16./17. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte; 142), Mainz 1991.
[2] Peter Hersche: Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg 2006, hier besonders Bd. 1, 396-319.
Christoph Nebgen