Aymat Catafau / Nikolas Jaspert / Thomas Wetzstein (éds.): Perpignan 1415. Un sommet européen à l'époque du Grand Schisme d'Occident (= Geschichte und Kultur der Iberischen Welt; Bd. 15), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2018, X + 677 S., 6 Tbl., 4 Kt., eine s/w-Abb., eine Farbabb., ISBN 978-3-643-91069-1, EUR 89,90
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Im September 1415 wurde Perpignan zu einem "lieu où se fit l'histoire du monde" (Martin Kintzinger, 228). Nachdem das Konstanzer Konzil zwei der drei schismatischen Päpste abgesetzt beziehungsweise zum Rücktritt bewegt hatte, richtete sich der Blick auf den dritten Schismapapst Benedikt XIII. und seine verbleibende, vornehmlich spanische Obödienz. Der römische König Sigismund begab sich, begleitet von Gesandten des Konzils, auf den Weg nach Spanien, wo er in Perpignan mit dem aragonesischen König Ferdinand und Benedikt XIII. zusammentraf. Auch wenn die Verhandlungen mit dem Papst scheiterten, stellte die in der Folge in Narbonne erreichte Aufkündigung der Obödienz durch die spanischen Reiche im Dezember 1415 den wesentlichen Schritt zur Wiederherstellung der Kircheneinheit dar.
Schon diese schismengeschichtliche Bedeutung gab Grund, die 600ste Wiederkehr der Zusammenkunft von Perpignan am historischen Ort mit einer großen, internationalen Tagung zu würdigen. Ziel von Tagung und Band war jedoch, wie die Herausgeber Aymat Catafau (Perpignan), Nikolas Jaspert (Heidelberg) und Thomas Wetzstein (Eichstätt) in ihrer Einführung betonen, herauszustellen, dass die historische Relevanz des Treffens keineswegs nur auf diesem Gebiet liegt. Als internationales Gipfeltreffen und erste persönliche Zusammenkunft des römischen und des aragonesischen Königs wird Perpignan 1415 ebenso aus den Blickwinkeln mittelalterlicher Außenpolitik und Diplomatie, der neueren Kulturgeschichte sowie der Regional- und Lokalgeschichte betrachtet. Entsprechend bieten die 23 Beiträge von Forscherinnen und Forschern aus acht Ländern einen veritablen 'Rundumschlag', der auch Aspekte der symbolischen Kommunikation sowie den Einfluss auf Handelskontakte und Kulturelles umfasst - manchmal um den Preis, dass das Perpignaner Ereignis von 1415 eher eine Fußnote bleibt.
Angesichts der Vielzahl können hier nur einzelne Beiträge in subjektiver Auswahl gewürdigt werden. Es sei daher auch auf den Tagungsbericht verwiesen. [1]
Eine erste Tranche von Beiträgen widmet sich der (außen)politischen Bedeutung des Treffens. Der Ertrag der Einzelanalysen verschiedener nationaler und städtischer Perspektiven auf die Zusammenkunft (etwa Rafael Narbona Vizcaínos Beitrag zu Valencia, 189-223) ist im Detail durchaus groß. Die Autorinnen und Autoren schreiben dem Ereignis dabei allerdings zum Teil nur begrenzte zeitgenössische Relevanz zu: Die Wahrnehmung in Quellen erweist sich mitunter als gering (so der Befund für Frankreich durch Klaus Oschema, 29-58) oder gar als nicht existent (Daniel Ditchburn für Schottland, 81-99), für die Gesandtschaft Navarras wird festgehalten, dass sie zwar anwesend war, aber keine wesentliche Rolle spielte (Eloísa Ramírez Vaquero, 117-138). Weiterhin erscheinen Sigismund und Ferdinand I. als die entscheidenden weltlichen Akteure, deren außenpolitische Zusammenspiel Martin Kintzinger mit frischer Perspektive analysiert (225-239).
Ein zweites Ensemble blickt anschließend auf kulturelle und ökonomische Aspekte der Wirtschafts-, Lokal- und Kulturgeschichte. Wie ertragreich dies sein kann, zeigt Alberto Torra, der quellengesättigt Abfolge und Vorbereitungen der Zusammenkunft von Perpignan rekonstruiert (291-317): Die unternommene Durchforstung des Archivio de la Corona de Aragón und der Bestände aus der Kanzlei Ferdinands I. brachte so großen Ertrag, dass daraus ein umfangreicher Quellenband hervorging. [2] Ebenfalls aus lokal- und regionalhistorischer Perspektive betrachtet Jacqueline Caille die beiden Aufenthalte Sigismunds in Narbonne (August/September und November/Dezember 1415), die das Perpignaner Treffen gleichsam 'einrahmen' (319-345); Claude Denjean und Aymat Catafu geben ein instruktives Bild der krisenhaften Situation Perpignans im Jahr 1415 und diskutieren die Chancen, die die Zusammenkunft für die Stadtgesellschaft eröffnete (347-373). Für die Bewertung des Treffens ergeben sich damit neue Befunde: Damien Coulon und Nikolaus Jaspert betonen die Folgewirkung für die deutsch-spanischen Kontakte, habe das Treffen doch als "door opener for the Central European trade with the Iberian Paninsula" (Jaspert, 282) gewirkt. Daran anknüpfend geht Amadeo Serra Desfilis der Frage nach, wie sehr diplomatische Kontakte den künstlerischen Austausch begünstigten (413-441). Sieglinde Hartmann kann an zwei Reiseliedern Oswalds von Wolkenstein zeigen, dass diese Quellengattung auch allgemeinhistorisch Interesse verdient (389-412).
Die Verhandlungen zur Schismenbeseitigung werden abschließend in den Blick genommen. Hervorzuheben ist, neben Hélène Millets souveräner Kontextualisierung des Perpignaner Treffens (499-525), Gerald Schwedlers stupende Analyse des für die Begegnung zwischen Sigismund und Benedikt XIII. gewählten Zeremoniells, in dem beide Akteure die ihnen eigentlich als Kaiser und Papst zustehenden Attribute bewusst relativierten (443-482). Thomas Wetzstein deutet das Zusammenspiel zwischen Sigismund und der Konzilsgesandtschaft neu, wonach der König zwar mit Unterstützung des Konzils, jedoch aus pragmatischen Erwägungen heraus nicht als formeller Gesandter des Konzils unterwegs gewesen sei, um so größeren Spielraum in den Verhandlungen zu besitzen (575-650). Britta Müller-Schauenburg verknüpft ihre Analyse der päpstlichen Rolle in den Verhandlungen mit dem Appell, gegenüber rein machtpolitischen Interpretationen die spirituelle Motivation der Zeitgenossen nicht zu vergessen (559-574). Darüber hinaus erhellt Jasmin Hauck die Zusammensetzung der Konzilsgesandtschaft (527-558), und Laura Ackermann-Smoller betrachtet die Bedeutung Vincente Ferrers für die Schismenlösung, die sie gegenüber späterer Überhöhung mit guten Gründen zu relativieren weiß (483-498).
Bedauerlicherweise verzichtet der Band auf eine Zusammenfassung. Zur besseren Erschließung ist jedoch ein Personen- und Ortsregister beigegeben.
Seit Mitte des 20. Jahrhundert hat es die Geschichtswissenschaft verstanden, Konzilien nicht mehr aus einer engen kirchenhistorischen Perspektive zu betrachten, sondern als 'polyvalente' historische Ereignisse ernstzunehmen. Der vorliegende Band erweitert diese Erkenntnis und dreht sie gewissermaßen um, indem er zeigt, dass das Treffen von 1415 keineswegs nur für Kirchen- und Konzilsgeschichte von Interesse ist. Er eröffnet damit bisher weniger beachtete Perspektiven auf Rahmenbedingungen und Wirkungen der Zusammenkunft, und es ist ihm zu wünschen, dass er nicht nur als willkommene Ergänzung der Jubiläumsliteratur zum Constantiense, sondern tatsächlich als Beitrag zur "Geschichte und Kultur der Iberischen Welt" (wie vom Reihentitel impliziert) wahrgenommen wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Tagungsbericht: Perpignan 1415: Ein europäisches Gipfeltreffen in der Konzilszeit / Perpignan 1415: un sommet européen à l'époque des conciles, 23.05.2015 - 25.05.2015 Perpignan, in: H-Soz-Kult, 04.06.2016, URL: https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6547.
[2] Vgl. Alberto Torra (ed.): Acta Negotii Perpiniani. Documentos del Archivo de la Corona de Aragón referentes al encuentro de Perpinán del ano 1415, Zürich u.a. 2017 (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt; 12). Zur Quellenbasis sei zudem der Hinweis erlaubt, dass die in einigen Aufsätzen zitierte, von Peter Linehan: Papa Luna in 1415. A Proposal by Benedict XIII for the Ending of the Great Schism, in: The English Historical Review 113 (1998), 94-98, zum Druck gebrachte Instruktion nicht in den Kontext von 1415, sondern jenen der Verhandlungen zwischen Benedikt XIII. und Wenzel IV. 1397/1398 gehört; vgl. die wörtlichen Übereinstimmungen mit Deutsche Reichstagsakten. Ältere Reihe 3, hg. v. Julius von Weizsäcker, Gotha 1877, Nr. 31, 67f.
Florian Eßer