Rezension über:

Arnošt Štanzel : Wasserträume und Wasserräume im Staatssozialismus. Ein umwelthistorischer Vergleich anhand der tschechoslowakischen und rumänischen Wasserwirtschaft 1948-1989, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017, 378 S., ISBN 978-3-525-30184-5, EUR 70,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Silke Fengler
Wien
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Silke Fengler: Rezension von: Arnošt Štanzel : Wasserträume und Wasserräume im Staatssozialismus. Ein umwelthistorischer Vergleich anhand der tschechoslowakischen und rumänischen Wasserwirtschaft 1948-1989, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 3 [15.03.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/03/34172.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Arnošt Štanzel : Wasserträume und Wasserräume im Staatssozialismus

Textgröße: A A A

Wasser und seine technologische Infrastruktur sind seit Langem ein ertragreiches Thema der Umweltgeschichte. Bis weit in die 1990er-Jahre dominierte in der öffentlichen Wahrnehmung westlicher Gesellschaften wie auch in der wissenschaftlichen Literatur die Vorstellung, wonach sozialistische Regime in Mittel- und Osteuropa den Wasserschutz konsequent ignorierten. Verdreckte Flussläufe, versalzende Seen und tote Fische standen sinnbildlich für den Ökozid, der staatssozialistischen Regimen gleichsam inhärent erschien.

Arnošt Štanzel hat sich das Ziel gesetzt, solche Pauschalurteile über den "Ostblock als umweltpolitisches Katastrophengebiet" (21) einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Seine Monografie geht aus einer an der LMU München angenommenen Dissertation hervor. Anhand von wasserbezogenen infrastrukturellen Großprojekten - Stauseen in Verbindung mit Wasserkraftwerken, dem Ausbau des Donaudeltas und der Beseitigung von Industrieabwässern - geht Štanzel der Frage nach, wie das Verhältnis von Eliten und Natur in der Tschechoslowakei und Rumänien unter den Bedingungen des Staatssozialismus beschaffen war. Er fragt, wie sich die Umsetzung sozialistischer "Wasserträume" auf die Natur auswirkte, aber auch, wie die Natur als Aktant Planung und Politik der Eliten beeinflusste. Der Verfasser stellt die provokante These auf, dass sich das Mensch-Natur-Verhältnis in sozialistischen Ländern nicht signifikant von dem in anderen, von Modernisierung geprägten Industrieländern unterschieden habe.

Im Rahmen des aus der vergleichenden Politikwissenschaft stammenden Most Similar Systems Design wählte der Verfasser seine Fallbeispiele aufgrund ihrer Lage in ähnlichen Naturräumen und eines ähnlich geringen Industrialisierungsgrades. Die eigentliche Analyse beruht indes auf dem Raumverständnis Henri Lefebvres. Štanzel knüpft damit an aktuelle Diskussionen um den spatial turn in den Osteuropawissenschaften an. Der physische Raum einer Landschaft steht demnach in Wechselbeziehung mit dem mentalen Raum, der durch wissenschaftliche sowie politische Planungs- und Gestaltungshandlungen konstruiert wird. Der soziale Raum wird mittels der medialen Darstellung von Landschaft in Zeitschriften und Bildern eingebunden.

Štanzel vergleicht zunächst den Bau des Orava-Staudamms in der Slowakei mit dem der Wasserkraftwerke in Bicaz und am Lacul Vidraru in den rumänischen Karpaten. Beide Projekte entstanden im Zuge staatlicher Modernisierungsoffensiven der 1950er-Jahre. Hier wie dort gelang es jedoch nicht, eine nachhaltige Industrialisierung der umliegenden Region in Gang zu setzen. Während zentralstaatliche Planer in der Slowakei in den 1970er-Jahren zu einer vorsichtigen touristischen Erschließung des Staudamms übergingen und den Schutz der Umwelt propagierten, spielten solche Argumente in Rumänien praktisch keine Rolle. Dort standen angesichts der materiellen Not weiter Bevölkerungsteile die Elektrifizierung und Feldbewässerung im Zentrum staatlicher Intervention. Die wasserreichen Karpaten dienten lediglich als Ressourcenlieferanten für die angrenzende Region.

Auch die Donau stand in beiden Ländern im Fokus wasserwirtschaftlicher Projekte. Die Staustufe Gabčíkovo in der Slowakei ging wegen vielfältiger Hemmnisse erst in den 1990er-Jahren in Betrieb. Neben hohen Kosten nennt der Verfasser den Einfluss von Experten, die den Planungsbehörden keine eindeutigen Nutzungsoptionen für die Donau anboten. Im benachbarten Ungarn stemmte man sich aus Sorge um die Auenwälder gegen das Projekt. Einen nennenswerten zivilgesellschaftlichen Protest gab es gegen Gabčíkovo in der Slowakei hingegen nicht.

Das rumänische Donaudelta war schon im 19. Jahrhundert Gegenstand staatlicher Planungen; der Ausbau des Donau-Schwarzmeer-Kanals erfolgte in den 1950er-Jahren auf Druck der Sowjetunion. Das Donaudelta blieb bis in die Ceauşescu-Ära eine Ressourcenquelle, die es auszubeuten galt. Eine Neubewertung des Deltas als touristischer Freizeitraum fand nicht statt, und auch die Idee der Nachhaltigkeit beeinflusste die Raumbilder der rumänischen KP kaum.

So unterschiedlich die Wassernutzungspläne in Rumänien und der Tschechoslowakei auch waren, so sehr glichen sich beide Länder in ihrem Versagen, die Aufbereitung industriell verschmutzter Abwässer in den Griff zu bekommen. Zwar gab es in der Tschechoslowakei weit reichende Wasserschutzgesetze, aber an deren Durchsetzung war die industriefreundliche politische Leitungsebene nicht sonderlich interessiert. Man verließ sich vielmehr auf das Potenzial der Flüsse, sich selbst zu reinigen. In Rumänien wurden Bau und Betrieb von Kläranlagen lange als nachrangiges Problem angesehen und gesetzlich kaum geregelt. In beiden Ländern fehlte das technische Know-how für den Bau von Kläranlagen, und das Bewusstsein der Bevölkerung für die Problematik blieb nur gering ausgeprägt. Die herrschenden Eliten stellten in beiden Ländern das Wirtschaftswachstum bis zuletzt über Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsziele, mit den eingangs beschriebenen negativen Folgen für die heimischen Gewässer.

Der Verfasser kommt abschließend auf die Ausgangsfragestellung zurück, indem er seine Fallbeispiele mit verschiedenen Wasserbau-Großprojekten in Europa, Asien und den USA vergleicht. Štanzel resümiert, dass stets die gleichen Konzepte und Rhetoriken - wie etwa das Bild vom Kampf gegen die Natur - nachweisbar seien. Er nimmt dies als Beleg dafür, dass es in Hinblick auf Wasserinfrastrukturen keine nennenswerten Unterschiede zwischen kapitalistischen und sozialistischen Systemen gab. Die Grenze verlaufe vielmehr zwischen Befürwortern und Gegnern wasserinfrastruktureller Großprojekte. Der Widerstand sei aufgrund der schwachen Zivilgesellschaften in Mittel- und Osteuropa geringer gewesen als in manchen westlichen Staaten. Der Verfasser verwirft daher die Chiffre des Ökozids als unpassend - dieser sei nicht Ursache, sondern Folge der allgemeinen Reformunfähigkeit im Staatssozialismus gewesen.

Die Darstellung des Autors beeindruckt dort, wo er Konzepte und Handlungsstrategien staatlicher Akteure mit umfangreichem Quellenmaterial belegt und nachvollziehbar macht. Die Analyse des sozialen Raumes im Sinne Lefebvres bleibt hingegen etwas blass, was wohl der Quellenauswahl geschuldet ist. So vermag die These, die lokale Bevölkerung habe eher passiv und allenfalls mit Wegzug auf die Infrastrukturprojekte reagiert, nicht vollständig überzeugen. Künftige Forschung kann an die Ergebnisse dieser Studie indes gut anknüpfen, um die Interaktion mittel- und osteuropäischer Gesellschaften mit Wasserinfrastrukturen stärker in den Blick zu nehmen.

Silke Fengler