Deborah McGrady: The Writer's Gift or the Patron's Pleasure? The Literary Economy in Late Medieval France, Toronto: University of Toronto Press 2019, XIII + 321 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-1-4875-0365-9, USD 85,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Larissa Juliet Taylor: The Virgin Warrior. The Life and Death of Joan of Arc, New Haven / London: Yale University Press 2009
John Watts: The Making of Polities. Europe, 1300-1500, Cambridge: Cambridge University Press 2009
Klaus Oschema / Cristina Andenna / Gerd Melville u.a. (Hgg.): Die Performanz der Mächtigen. Rangordnung und Idoneität in höfischen Gesellschaften des späten Mittelalters, Ostfildern: Thorbecke 2015
Das vorliegende Werk geht der Frage nach, welche verschiedenen Formen literarische Patronage unter den Valois-Königen einnahm - genauer genommen in der besonders fruchtbaren Periode von ca. 1375 bis 1425. In sechs Kapiteln samt einer reichhaltigen Einleitung geht die Autorin dabei von der in hohem Maße institutionalisierten Form des königlichen Auftrages bis hin zu privaten Initiativen auf die Suche nach individueller Patronage und diskutiert dabei sowohl die Bedürfnisse der Patrone als auch die Wünsche der ausführenden Autorinnen und Autoren. Im Mittelpunkt stehen die großen Namen der spätmittelalterlichen französischen Literaturszene: König Karl V. als Promotor und Patron von Übersetzungen; der Lyriker Eustache Deschamps, Diplomat und Hofbeamter unter Karl VI.; der Komponist Guillaume Machaut, Sekretär und Kanoniker in luxemburgischen Fürstendiensten; und schließlich Christine de Pizan, Autorin von unter anderem Erziehungsratgebern und Polemiken. Die Monographie reiht sich ein in die Tendenz der US-amerikanischen Literaturwissenschaft, die mit einem konsequent historisierenden Ansatz Entstehungs- und Wirkungskontexte von spätmittelalterlicher Literatur in den Blick nimmt. Dabei werden die literarischen Quellen als historische Quellen gewertet und die Prologe oder lyrischen Inhalte, wo möglich und sinnvoll, in einen Bezug zum historischen Kontext gesetzt. Trotz des Rückgriffs auf diese wahrscheinlich literaturwissenschaftlich besterforschtesten Dichterinnen und Dichter des französischen Spätmittelalters erweitert diese Monographie den Umgang mit literarischen Werken um Fragestellungen zur sozialhistorischen und wirtschaftshistorischen Kontextualisierung für dieses Schaffen, ihre unterschiedlich erfolgreichen Patronageformen und liefert Gründe für als misslungen bewertete Initiativen aus der Perspektive der Autorinnen und Autoren.
In der Einleitung klärt die Autorin die Begriffsgeschichte von Übersetzungen, königlicher Patronage und Mäzenatentum sowie ihre Bedeutungsveränderungen mit Blick auf die heutige Akquisitionspolitik von öffentlichen Institutionen (Staatsbibliotheken etc.). Diese wird kontrastiert mit der mittelalterlichen Praxis, die ganz verschiedene Ausprägungsformen annehmen konnte, von gesteuerten herrschaftlichen und aristokratischen Aktionen zum individualisierten und eher zufälligen Engagement, die von Akteurinnen und Akteuren ausgingen.
Das erste Kapitel diskutiert gezielte Buchkommissionen durch den französischen König Karl V. Sein Unterfangen tauft die Autorin "sapientia-project"; es sei der geplante und operative Spiegel der neu etablierten königlichen Identität als "weiser" und "gelehrter" Herrscher. Um dieses Ziel zu erreichen, habe der König eine große Zahl an Personen herangezogen, die Übersetzungen, Luxushandschriften und Fürstenspiegel für ihn und seine königliche Bibliothek im Louvre verfasst hätten.
Das zweite Kapitel konzentriert sich weiterhin auf die königlichen Aufträge, nimmt aber den Standpunkt der Schreiber ein mit ihren jeweiligen Strategien, dieser königlichen Identität in Text-Prologen und visuellen Darstellungen gerecht zu werden, um die Weisheit des Königs und die Einzigartigkeit dieser neuen königlichen Auftragspolitik zu unterstreichen.
Die folgenden Kapitel wenden sich Autorinnen und Autoren in der Volkssprache und ihren individuellen Schreib- und Dedikationsstrategien zu, die zwar in Kontakt mit dem Valois-Hofe standen und von dessen literarischer Dynamik inspiriert waren, deren Schriften aber nicht in den Rahmen direkter Bestellungen fallen. Für die Autorin sind Guillaume de Machaut, Eustache Deschamps und Christine de Pizan direkte Produkte des "sapientia project", verhandeln also das Erbe des weisen Königs in ihren Werken, positionieren sich als potentielle Klienten der herrschenden Elite und reihen sich mit ihren Werken und Wissen ein in ein nationales Projekt für das französische Königtum.
Das dritte Kapitel untersucht die gegenüber hochadelig-mäzenatischem Engagement skeptische Position von Guillaume de Machaut, dessen sogenannte "fictions of engagement" dem Einfluss aristokratischer Literaturbestellung kritisch gegenüberstehen. Folgt man der Autorin, dann habe Guillaume de Machaut durch die Patrone massive Einmischung in seine literarische Freiheit befürchtet; entsprechend erscheinen in seinen Werken eher unwürdige Mäzene. Insbesondere im Prolog seiner gesammelten Werke von 1370 ersetzt Machaut diese adligen Patrone durch einen göttlichen, dessen Geschenk des poetischen und fast schon therapeutischen Talents keine reziproke Gegenleistung erwartet. Ironischerweise waren jedoch die adligen Patrone, bis hinauf zur königlichen Familie, starke Abnehmer seiner Kunst, was, so McGrady, den Spagat zwischen Ideal und Realität der Klienten-Patron-Beziehung aufzeige.
Im vierten Kapitel analysiert die Autorin Eustache Deschamps Schriften als letzte Versuche, das königlichen Patronageprogramm nach dem Tod Karls V. aufrechtzuerhalten. Während die meisten Autoren verschwunden seien, habe Deschamps versucht, sich an den jungen und ab 1392 psychisch kranken und dadurch größtenteils regierungsunfähigen König Karl VI. anzupassen und ihn mit eigenen Werken zu erreichen. Tagesaktuelle Politik verarbeitete der Dichter in chansons und balades - nicht immer mit dem erhofften Erfolg. 1396 verkündete er, das sogenannte "livre de mémoire", eine poetische Chronik der Valois, die er über dreißig Jahre hinweg geführt hatte, nicht mehr zu vollenden. Der Dichter stellte enttäuscht fest, dass sich sein Adressat, der Königshof, verändert habe, seine Arbeit von Karl VI. nicht geschätzt worden sei und er deshalb viele Schwierigkeiten (vermutlich fehlende Patronage und offensichtlich mangelnde finanzielle Retribution) gehabt habe.
Die letzten beiden Kapitel behandeln die in dieser Hinsicht erfolgreichere, weil bei der Suche nach Patronen innovativere und flexiblere Christine de Pizan. Während im fünften Kapitel ihre Zuwendung zu Ludwig von Orléans, dem jüngeren und politisch stark engagierten Bruder Karls VI. thematisiert wird, diskutiert das sechste Kapitel die Hinwendung der Dichterin zum Herzog Philipp von Burgund, dem spätestens ab 1407, nach der Ermordung des oben genannten Ludwigs, mächtigen Strippenzieher in der französischen Politik. Während Christine de Pizan in Ludwig zuerst den würdigen Nachfolger Karls V. für das "sapientia project" gesehen und ihre Hoffnungen auf Patronage in ihn gesetzt habe, sei sie jedoch von ihm enttäuscht worden und habe schließlich in Philipp einen würdigeren Patron gefunden - denjenigen nämlich, der ihr die Möglichkeit gab, mit der panegyrischen Biographie Karls V. an sowohl ein königliches und nostalgisches Weisheitsbild anzuknüpfen als auch dessen Rezeption für die Nachwelt zu garantieren. Aber auch wenn dieses Werk noch heute seine Wirkmacht entfaltet, war damals die Situation für Christine fragil, wie die textuellen Überarbeitungen, die notwendig geworden waren, als Philipp als Patron und Financier starb, zeigen. Ihre spätere Hinwendung zum Thronfolger, dem sie mit dem Livre de la Paix einen ihrer zahlreichen Fürstenspiegel widmete, markiert in den Augen der Autorin ihren vergeblich letzten Versuch, sich in den Dienst der Valois-Dynastie zu stellen.
Die Stärke dieser Monographie liegt gerade hierin: die Meistererzählung erfolgreicher, durch königliches Mäzenatentum zur Entfaltung gebrachter Literatur zu hinterfragen, die ökonomischen Hintergründe und sozialen Bedingungen dieser Beziehung aufzuzeigen um dabei die Fallstricke und die Grenzen dieser Strategien zu thematisieren. Hier gehören die Kapitel 3 bis 6 zu den besonders überzeugenden Passagen des Buches. Es ist jedoch bedauernswert, dass die Autorin die einschlägie Pariser Dissertation von Caroline Boucher nicht in ihre Überlegungen miteinbezogen hat. [1] Ebenfalls weist die Rezensentin darauf hin, dass mit dem in Kapitel 1 und 2 so genannten "sapientia project" die Autorin in die Falle einer anderen, unter anderem von Christine de Pizan aufgestellten Meistererzählung tappt, in der Karl V. als weiser König aufgrund seiner Patronage erscheint und insbesondere das Übersetzungsprogramms ins Zentrum eines geplanten, institutionalisierten Wissensprojektes rückt. Karl V. hingegen finanzierte und favorisierte andere Werke stärker als diese Luxusübersetzungen: Lehrbücher zur praktischen Regierungsausübung und legitimatorische Werke zur Stärkung der Valois-Dynastie. In diesen Werken finden sich beispielsweise seine Autographen und die explizite Erwähnungen seiner Aufträge. Diese Werke zeichnen ein ganz anderes Bild der königlichen Patronage: weg von einem schöngeistigen "weisen" König hin zu einem pragmatischen und praxisorientierten Herrscher. [2]
Da McGrady, Expertin auf dem Feld spätmittelalterlicher Lyrik, die französischsprachige Forschung umfassend überblickt, ist es umso bedauerlicher, dass aktuellere oder fremdsprachige Studien zur Literaturproduktion unter Karl V. und Karl VI. fernab der schillernden Dichterin Christine de Pizan oder den Lyrikern Eustache Deschamps und Guillaume de Machaut keinen Eingang in ihre Monographie gefunden haben. Eine Ausweitung des Blicks auf das Gesamt der damaligen Literaturproduktion, ihrer Akteure und ihrer sozialen Bedingungen hätte ein diverseres Bild gezeichnet. Trotz dieser punktuellen Kritik liefert die vorliegende Monographie einen wertvollen Beitrag zur Interdependenz von Autorinnen und Autoren, Patronen und literarischem Schaffen zwischen Selbstvermarktung und Publikumsgeschmack und, schlussendlich, zur Neubewertung von "Erfolg" und "Misserfolg" von literarischen Werken nicht anhand ihrer heutigen Rezeption oder Bewertung, sondern konsequent im spätmittelalterlichen Kontext ihrer Erstellung.
Anmerkungen:
[1] Caroline Boucher: La mise en scène de la vulgarisation. Les traductions d'autorités en langue vulgaire aux XIIIe et XIVe siècles, unveröff. Diss., Paris 2005.
[2] Die Rezensentin ist Autorin einer Monographie, die sich in weiten Teilen mit den Fragestellungen der hier rezensierten Kapitel 1 und 2 beschäftigte und zu anderen Ergebnissen kam; vgl. Vanina Kopp: Der König und die Bücher. Sammlung, Nutzung und Funktion der königlichen Bibliothek am spätmittelalterlichen Hof in Frankreich, Ostfildern 2016; dies.: Konstruktion, Rezeption, Narration. Karl V. von Frankreich und die Louvrebibliothek im Zerrspiegel ihres Nachlebens, in: Francia 43 (2016), 63-85.
Vanina Kopp