Christian Stöber: Rosenkranzkommunismus. Die SED-Diktatur und das katholische Milieu im Eichsfeld 1945-1989, Berlin: Ch. Links Verlag 2019, 423 S., eine Tbl., 24 s/w-Abb., ISBN 978-3-96289-064-3, EUR 40,00
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Im Juli 1990 suchte der Rezensent das "Institut für Religionssoziologie" an der Ingenieurhochschule für Seefahrt in Rostock-Warnemünde auf, das bis vor kurzem noch "Institut für Marxismus-Leninismus" geheißen hatte und von Olof Klohr, dem einzigen Professor der DDR für Wissenschaftlichen Atheismus, geleitet wurde. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts stritten ab, dass sie "Erforscher des Absterbens von Religion" gewesen seien und verwiesen auf ihre "Kirchenstudien" zum Eichsfeld, das sie zwischen 1984 und 1989 zum Gegenstand intensiver Forschungen gemacht hatten. Sie meinten, dass es dort am Ende eine fast perfekte Symbiose zwischen religiöser Praxis, staatlicher Toleranz und politischer Stabilität gegeben habe. Oder wie der stellvertretende Institutsleiter Wolfgang Kaul dem Rezensenten angesichts des bevorstehenden Endes der DDR mit großer Wehmut sagte: "Wir waren auf einem so guten Weg!"
Das aus einer Marburger Dissertation entstandene Buch von Christian Stöber, das auch die "Eichsfeldstudien" der Rostocker Forscher thematisiert, beweist den illusionären Charakter dieser Behauptung. Als sich die tatsächliche Möglichkeit ergab, die SED-Herrschaft abzuschütteln, erfolgte das in der DDR nirgendwo so schnell wie im Eichsfeld, wo man gerne als vereinter Eichsfeldkreis separat Niedersachsen beigetreten wäre. Andererseits wartete kaum eine Region in der DDR länger mit Protest und Demonstrationen gegen das Regime. Kaum irgendwo in der DDR war die SED-Herrschaft jedoch weniger durchdringend als im katholischen Milieu des Eichsfeldes und dennoch wähnte sie sich dort wenig unter Druck. Das MfS war im Eichsfeld insgesamt wenig erfolgreich mit seiner Infiltration, aber diese erschien aufgrund vergleichsweise geringer "negativer" Aktivitäten auch kaum erforderlich. In gewisser Weise hatte das östliche Eichsfeld zu DDR-Zeiten aus der Sicht ihrer meisten Bewohner eine quasi mentale Extraterritorialität, die bürokratische oder geheimdienstliche Kontrolle relativierte.
Die SED war im Eichsfeld zu keiner Zeit "auf einem guten Weg". Das Buch von Christian Stöber zeigt durch seinen in Archiven hervorragend und erschöpfend recherchierten historischen Aufriss der viereinhalb Jahrzehnte der SBZ/DDR detailliert, warum das so war. Nach seinen Angaben wollte der Autor drei Untersuchungsstränge bündeln: die Machtsicherung und Herrschaftspraxis der SED, die Entwicklung und Wandlung des Milieus sowie die Auseinandersetzung und Wechselwirkung zwischen Staat und Kirche. Sie sollen die Frage beantworten, "inwiefern das Eichsfeld kommunistisch wurde" (49). Die drei erwähnten Untersuchungsstränge werden mehr oder weniger chronologisch in Großkapiteln behandelt: Herrschaftserrichtung, Entstehung und Konzeption des Eichsfeldplans, Umsetzung und Auswirkungen desselben, Grenzregime und Westorientierung, Politik und Kader von SED und MfS, Selbstbehauptung des katholischen Milieus und schließlich Niedergang und Revolution. Jedes dieser Kapitel enthält faktenreiche, archivgesättigte Darstellungen, aus denen viel Neues zu erfahren ist. Das macht Stöbers Buch zu einem Standardwerk zur Geschichte des Eichsfeldes zwischen 1945 und 1989. Da in fast jedem Unterkapitel ein Durchlauf durch Jahrzehnte erfolgt, springt der Text oft zwischen den Dekaden, je nachdem in welchem Themenkomplex man sich befindet. Das erschwert etwas die Lesbarkeit und damit auch zum Teil die Einsicht in Wechselwirkungen und die Verknüpfung von Zusammenhängen: Eine Gliederung, die einer Dissertation angemessen ist, ist nicht notwendigerweise stets auf ein Buch übertragbar. Der Autor kommt in dem abgewogenen und knappen Fazit zu dem Schluss, dass von einer "Antimilieupolitik" und "Antieichsfeldpolitik" der SED gesprochen werden könne, die dazu geführt habe, dass das Eichsfeld in der DDR "ein politisches Ausnahmegebiet" gewesen sei (364).
Der Rezensent reiste zwischen 1984 und 1989 jährlich mehrere Wochen über die im Buch thematisierte Grenzübergangsstelle "GÜST Teistungen" (194f.) durch das Sperrgebiet zu Besuch in den Kreis Worbis. Was Stöbers Buch im Kapitel "Grenzregime und Westorientierung" thematisiert, war zentral für alle Generationen im Eichsfeld: Die Grenze und das Sperrgebiet waren ein Monstrum, das politische Sympathie für seine Verteidiger erstickte. Fast alle Eichsfelder waren einmal in Wäldern an die Schilder "Sperrgebiet" gefahren, um mit dem Feldstecher nach "drüben" zu schauen: "Hier ist unsere Welt zu Ende". Stattdessen war "drüben" allgegenwärtig im Fernsehen und durch die Besuchsmöglichkeiten des innerdeutschen grenznahen Verkehrs nach 1972. Während Stöber die 5,5 Millionen westdeutschen Auto-Einreisen bis 1989 über Teistungen hervorhebt, die fast alle mit westdeutschen Waren beladen waren, gab es auch Rentner-Tagesreisen und wenige Verwandtenbesuche, die aus der DDR möglich waren. Alle DDR-Besucher brachten nicht nur Waren aus dem Westen mit, sondern Augenzeugenvergleiche zu Warenangebot, Infrastruktur und Arbeitsbedingungen in der DDR.
Diese Vergleiche fielen sehr zu Ungunsten der DDR aus und sie wurden kontinuierlich explizit und implizit gezogen. Es ging nicht darum, "was die DDR für uns tut", sondern wo sie im Vergleich zum Westen zurückbleibt. Der "Eichsfeldplan", also die sozialistische Industrialisierung und Modernisierung der Region, wird in Stöbers Buch sehr ausführlich vorgestellt und analysiert. Der Autor nennt ihn korrekt ein gleichzeitiges "Antimilieukonzept" und "Strukturprogramm" (360). Der Plan scheiterte aber in jeder Hinsicht: Er brachte viele neue Arbeitsplätze, welche die Eichsfelder in ihrer Heimat bleiben ließ und damit das Milieu bewahrte und stärkte. Dankbarkeit oder gar Loyalität für das Strukturprogramm kamen jedoch angesichts der Arbeits- und Lebensbedingungen kaum auf, ganz im Gegenteil: Wer zum Beispiel in der "Spinne" in Leinefelde oder gar in einer Emissionsschleuder wie dem Zementwerk Deuna arbeiten musste und vom "Westen" gehört und gesehen hatte, hielt die DDR für hoffnungslos rückständig und war gegen Propaganda immun. Die Erfahrungen des östlichen Eichsfeldes als geteiltes Grenzland verankerten abgrundtiefes Misstrauen und Abneigung gegen die DDR in einer mehrheitlich immer westorientierten Bevölkerung. Beides brach sich Bahn, sobald die Möglichkeit dazu bestand.
Bernd Schäfer