Rezension über:

Timo Luks: Die Ökonomie der Anderen. Der Kapitalismus der Ethnologen – eine transnationale Wissensgeschichte seit 1800 (= Studien zur Geschichte und Theorie des Kapitalismus; 2), Tübingen: Mohr Siebeck 2019, X + 264 S., ISBN 978-3-16-156919-7, EUR 49,00
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Rezension von:
Timo Duile
Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Timo Duile: Rezension von: Timo Luks: Die Ökonomie der Anderen. Der Kapitalismus der Ethnologen – eine transnationale Wissensgeschichte seit 1800, Tübingen: Mohr Siebeck 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 9 [15.09.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/09/33325.html


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Timo Luks: Die Ökonomie der Anderen

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Timo Luks, Mitarbeiter am Institut für Neuere Geschichte an der Universität Gießen, hat mit der "Ökonomie der Anderen" einen theoriegeschichtlichen Band vorgelegt, der sich mit den Schnittstellen ökonomischer Theorien und (wirtschafts-)ethnologischer Forschung beschäftigt.

In der Einleitung legt der Autor Gründe für die Aktualität und die Relevanz einer Beschäftigung mit Ökonomien der Anderen dar. Kapitalismuskritik werde auch im Kontext von Beschäftigung mit nicht-westlichen, meist kleinräumigen Ökonomien betrieben, beispielsweise, wie in einem Unterkapitel ausgeführt wird, mit Bezug zum Tausch als Alternative und Ergänzung zur kapitalistischen Wirtschaftsweise. Der Autor warnt jedoch sogleich davor, diese Ökonomien der Anderen als antikapitalistische Modelle zu idealisieren, ebenso, wie er davor warnt diese Ökonomien als primitive Formen des Kapitalismus misszuverstehen. Ethnologie, die die Begriffe der eigenen Gesellschaften kritisch reflektiert, weise Zuschreibungen wie primitive communism und, spiegelbildlich, primitive capitalism als Termini für die untersuchten Gesellschaften zurück. Es gehe bei der Untersuchung der Ökonomie der Anderen vielmehr darum, Ökonomie auch in den Begriffen und Konzepten der untersuchten Kulturen zu denken. Andererseits macht die Einleitung auch bereits deutlich, dass Ethnologinnen und Ethnologen erkenntnisbringend mit den Kategorien von Kapitalismus und dessen Außen denken konnten.

Im zweiten Kapitel skizziert der Autor einige wichtige Knotenpunkte ethnologischer und wirtschaftswissenschaftlicher Diskurse. Besonders wird hier auch auf Reibungspunkte zwischen den Disziplinen eingegangen. Dabei zeigt Timo Luks auch, wie Ethnologie wirtschaftswissenschaftliches Wissen kritisch aufgegriffen hat, was schließlich zur Etablierung der Wirtschaftsanthropologie als systematisch arbeitende Teildisziplin in den 1940er Jahren führte. So wird den Leserinnen und Lesern auch deutlich, wie sich verschiedene Arten des Denkens über Ökonomie innerhalb der Ethnologie spiegeln: haben einige Ethnologen, wie beispielsweise Godelier, marxistische Ansätze aufgegriffen (die wiederum auch auf Marx' Lektüre früher ethnologischer Schriften beruht), so wurden auch Spieltheorie und rational choice-Ansätze, die im Menschen den berühmt-berüchtigten homo economicus sehen beispielsweise in Arbeiten der evolutionary ecology für die Ethnologie fruchtbar gemacht.

Die wechselnden Paradigmen in der ethnologischen Beschäftigung mit wirtschaftlichen Themen (oder solche, die dafür gehalten werden) werden im folgenden Kapitel am Beispiel der Diskussionen um den Brautpreis veranschaulicht: Ging es in den frühen ethnologischen Debatten ab den 1930er Jahre vor allem darum, dieses Phänomen gegen Verbotsforderungen zu verteidigen, in dem emische Konzepte in die Debatte gebracht wurden, die die Frauen nicht als Ware im westlich-kapitalistischen Sinne erscheinen ließen, untersuchte Lévi-Strauss dieses Phänomen dann als Sonderfall eines allgemeinen Systems der Tauschheirat. Sodann kreiste die Debatte in den 50er und 60er Jahren um die Frage, ob der Brautpreis Ausdruck eines Marktsystems sei, in dem Angebot und Nachfrage die entscheidenden Parameter sind. Schließlich übernahmen in den 1970er Jahren auf rational choice-Ansätzen basierende Theorien die Regie, die in den Akteuren vor allem nutzenmaximierende Spieler zu erkennen glaubten.

Das folgende Kapitel widmet sich verschieden Formen des Umgangs mit Reichtümern in den von Ethnologen erforschten Gesellschaften und kreist dabei vor allem um die Frage, wie diese Formen zu interpretieren seien: Verschwenden und das Horten von Schätzen, so die Grundthese, seien dann nicht einfach primitive Formen von Umgang mit Überschuss, die irgendwann kapitalistischen Akkumulationsstrategien weichen würden. Vielmehr wurden eigene Logiken und Funktionen von auf dem ersten Blick unverständlichen ökonomischen Phänomenen herausgearbeitet. Der Autor geht hier beispielsweise auf Interpretationen des Potlatch ein und zeigt, wie sich diese im Zuge von Diskursverschiebungen änderten: Während frühe Interpretationen dieses Phänomens Fragen von Kredit und Verschwendung in den Vordergrund stellten und diese mit dem Problem ausgeprägter sozialer Rivalitäten in Verbindung brachten, haben ab den 1960er Jahren ökoadaptive Interpretationen Einzug gehalten, die im Potlatch ein System des ökonomischen Ausgleichs sehen, welches auch dazu geeignet ist, temporärere Mängel an Ressource in bestimmten gesellschaftlichen Segmenten auszugleichen.

Das Kapitel "Ökonomische Monstrositäten, oder: die Grenzen von Kommodifizierung und Monetarisierung" widmet sich dann ebenfalls ökonomischen Phänomenen, die mit den vertrauten westlichen Kategorien unerklärbar oder irrational erschienen, aber letztlich die Partikularität von eigenen Wertsystemen und ökonomischen Logiken untermauern. Eingegangen wir hier beispielsweise auf primitive money, welches anders als unser gewohntes Geld nicht immer als ein universales Tauschmittel fungiert. Auch nähert sich der Autor dem Thema mit Verweis auf die Inwertsetzung von - aus europäischer Perspektive - Belanglosigkeiten (trifles), die in indigenen Tauschsystemen neue Funktionen - und damit Werte - erhielten. Timo Luks führt in diesem Kapitel auch ethnologische Betrachtungen zum Fetischbegriff aus.

Das folgende Kapitel geht der Frage nach ökonomischer Rationalität im ethnologischen Diskurs nach. Ethnologinnen und Ethnologen hatten früh damit begonnen, das wirtschaftswissenschaftliche Konzept des homo economicus als rationalen Nutzenmaximierer zurückzuweisen. Hatten sozialwissenschaftliche Werke von Weber und Sombert den Kapitalismus mit rationalem Denken in Verbindung gebracht, so fand sich schon in den Arbeiten von Lévy-Bruhl die komplementäre Annahme: das Denken der Anderen sei prälogisch, da es am Unmittelbaren haften bleibe (und sei folglich nicht zur ökonomischen Rationalität fähig). Diese radikale Andersheit, die einen Strang der ethnologischen Auseinandersetzung mit der Ökonomie der Anderen kennzeichnet, steht ein weiterer gegenüber, der sich im Bemühen äußert, Muster allgemeiner ökonomischer Rationalität - und damit Kapitalismusfähigkeit - in den untersuchten Gesellschaften zu finden. Luks führt dann aus, wie Ethnologen an Orten, an denen nach klassischer Ansicht keine kapitalistische Rationalität zu finden sein dürfte, diese doch nachgewiesen wurden. Beispielsweise zeigt er in Bezug auf Arbeiten von Borislaw Malinowski und Sol Tax, das Indigene quasi-kapitalistisch handeln und Kosten-Nutzen-Überlegungen systematisch in ihre wirtschaftlichen Aktivitäten einbeziehen. Weniger ein Nichtvorhandensein von rationalen Abwägungen sei daher kennzeichnend für die Ökonomie der Anderen als abweichende Organisation des Sozialen, in denen die ökonomischen Aktivitäten eingebunden sind.

Zusammenfassend hält der Autor fest, dass in der diskursiven Figur der Ökonomie der Anderen diese Ökonomie immer sowohl als kapitalistisch und nichtkapitalistisch erscheinen konnte. Dies ergibt sich - und das wird im Laufe der Lektüre immer wieder klar - aus der dualistischen Struktur, die das Eigene und das Fremde anhand ökonomischer Konzepte gegenüberstellt und immer wieder im gegenseitigen Bezug neu aushandelt, wie die Ökonomie der Anderen angemessen zu beschreiben wäre. Natürlich fällt der Blick dann immer wieder zurück auf die eigene Ökonomie, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Geschichte der Kapitalismustheorie auch im Kontext der Thematisierung der Ökonomie der Anderen zu lesen ist. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob und wie von der Ökonomie der Anderen zu einer anderen Ökonomie zu kommen sei. Der Autor führt hier jedoch aus, dass ethnologische Theoreme und Sonderfälle kaum den Schlüssel zur Überwindung des Kapitalismus darstellen dürften.

Timo Luks ist Geschichtswissenschaftler und in der historischen Perspektive liegt eindeutig die Stärke des Buches. Zwar werden aktuellere Beiträge, wie beispielsweise Anna Tsings Forschung, erwähnt, allerdings nicht systematisch ausgearbeitet. Dies würde auch den Rahmen des Buches sprengen, das als Beitrag zur Ideengeschichte des Kapitalismus in Auseinandersetzung mit ethnologischen Perspektiven zu verstehen ist. Für Leserinnen und Leser aus der Ethnologie dürfte die Sprache hier und da für ein wenig Verwunderung sorgen, wenn beispielsweise von der "Ökonomie der Primitiven" oder von "Stämmen" die Rede ist, also Begriffe verwendet werden, die heute nicht mehr zum ethnologischen Inventar gehören. Doch ist die Lektüre allen ethnologisch arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu empfehlen, die sich in ihren Forschungen auch mit ökonomischen Themen beschäftigen möchten, da das Buch einen reichen Fundus an anregenden Denkfiguren bereit hält. Die diskutierten Beispiele dürften für Ethnologinnen und Ethnologen in den meisten Fällen nicht neu sein. Lohnenswert ist die Lektüre dennoch, auch weil anhand altbekannter Beispiele wie dem Potlatch, dem Kula-Ringtausch oder Brautpreisdebatten Brücken geschlagen werden zur Ideengeschichte der Ökonomie, die in der Lektüre eine erstaunliche Nähe zur Ethnologie offenbart.

Timo Duile