Inga Markovits: Diener zweier Herren. DDR-Juristen zwischen Recht und Macht, Berlin: Ch. Links Verlag 2020, 239 S., ISBN 978-3-96289-085-8, EUR 20,00
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Inga Markovits hat viel Verständnis für DDR-Juristen, insbesondere für die Rechtswissenschaftler der Humboldt-Universität (HUB). Dazu haben zweifellos persönliche Erfahrungen beigetragen, war sie doch Mitglied der Personalstrukturkommission des juristischen Fachbereichs dieser Universität Anfang der 1990er Jahre, als es um dessen "Abwicklung" ging. [1] Die zentrale Frage, die sie in ihrem neuen Buch anhand der juristischen Fakultät der HUB stellt, lautet: Dienten die ostdeutschen Rechtswissenschaftler dem Recht oder der Macht? Waren sie "unzuverlässige Sozialisten" oder "willige Diener des 'Unrechtsstaats'"? (17) Dazu erzählt sie nicht eine, sondern drei Geschichten der HUB-Juristen zwischen 1945 und 1990: eine über deren Unterwerfung unter die SED, eine zweite über deren "mürrischen juristischen Eigensinn" und eine dritte über "den Verschleiß ihres politischen Glaubens" (20) - ein geschickter Kunstgriff, der dazu führt, dass sich einiges wiederholt, wenngleich es unterschiedlich dargestellt wird. Markovits' Arbeit beruht - neben der selektiven Nutzung der Sekundärliteratur und Zeitzeugengesprächen - auf Akten aus dem Archiv der HUB, dem Bundesarchiv (einschließlich der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR), dem Landesarchiv Berlin und dem Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Die Mühe, ihre Aussagen mit Einzelnachweisen zu belegen, macht sie sich allerdings nicht. Ihre fadenscheinige Begründung lautet, dass ihre Daten "selbst bei Angabe einer Fundstelle, in oft nicht-paginierten Akten schwer zu überprüfen" seien (10).
Die drei Geschichten sind locker erzählt, und man erfährt einiges über die Entwicklung der HUB und ihrer Juristen. Alle drei folgen derselben Chronologie. Der Neuaufbau der Fakultät war 1945 von den wenigen unbelasteten bürgerlichen Juristen geprägt, die eine gewisse Offenheit gegenüber ihren marxistischen Kollegen mitbrachten. Ab 1948 wurden die HUB-Juristen zunehmend eingeengt und durch die doppelte Währungsreform benachteiligt, weil sie von ihrem Ost-Gehalt ihren Lebensunterhalt kaum noch bezahlen konnten. Wichtiger war die Gründung der Freien Universität Berlin, wohin Studenten und Professoren abwanderten, die sich dem zunehmenden politischen Druck entziehen wollten. Die verstärkte Ideologisierung bis zu Stalins Tod 1953 führte teils zu weiterer Abwanderung, teils aber auch zu stärkerer Anpassung, insbesondere von einigen jungen Dozenten, die 1951 unter Anleitung von SED-Juristen wie Hilde Benjamin, Hans Nathan und Alfons Steiniger marxistische juristische Lehrpläne für Staats- und Rechtstheorie, Zivilrecht, Strafrecht und Verwaltungsrecht entwarfen. Fünf der begabten jungen Nachwuchskader wurden später mit Stellen an der HUB belohnt. Im Zuge der Entstalinisierung, insbesondere nach dem XX. KPdSU-Parteitag 1956, wurden die Zügel gelockert, so dass sich dort wieder "eine selbstbewusste Wissenschaftlichkeit [einbürgerte], unter deren Einfluss Parteibeschlüsse an Wichtigkeit verloren" (88). Nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands kam es zum Rückschlag, so dass etwa eine Kampagne gegen Hermann Klenner (SED) gestartet wurde, der über das Verhältnis von Recht und Marxismus-Leninismus neu nachdenken wollte. Höhepunkt der Kampagne gegen ihn und einige wenige andere war die Babelsberger Konferenz vom Februar 1958. Hier hielt Ulbricht persönlich ein vom SED-Kronjuristen Karl Polak konzipiertes Referat, in dem er den instrumentellen Charakter des Rechts betonte, das lediglich ein Machtmittel des Staates sei. Klenner, Bernhard Graefrath und Uwe-Jens Heuer mussten die HUB verlassen und sich auf anderen Stellen "bewähren".
Für Markovits' Argumentation sind vor allem die Schlussfolgerungen und die Nachgeschichte der Babelsberger Konferenz relevant. Vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht blieb nur noch ein Institut für Staats- und Rechtstheorie, und der Begriff der Gewaltenteilung sei danach aus dem ostdeutschen juristischen Vokabular verschwunden - eine Behauptung, die unterschlägt, dass in der DDR seit ihrer Gründung die Gewaltenteilung selbst abgeschafft war. Überdies setzte nun der Siegeszug der Partei in der Rechtswissenschaft ein, wenngleich in der innerparteilichen Berichterstattung Schönrednerei dominierte. Gleichzeitig schoben die HUB-Juristen unbeliebte Teile der Lehre auf andere ab: So hielten Gastdozenten der Stasi-Hochschule aus Potsdam-Golm die Vorlesungen zum politischen Strafrecht, und die gesellschaftswissenschaftliche Grundvorlesung sollte die Abteilung Marxismus-Leninismus ausarbeiten. Gleichzeitig relativiert Markovits die Disziplinierung der drei genannten Rechtswissenschaftler und anderer, indem sie hervorhebt, dass diese ihr Gehalt von der HUB weiterbezogen und schließlich "nach ihrer Buße" an die Universität zurückkehren konnten (112). Das trifft zwar zu, ist aber trotzdem verharmlosend, da die verhängten Strafen durchaus disziplinierend wirkten.
Wichtiger sind ihr indes zwei Fragen: Was bedeutete Recht für die HUB-Juristen vor dem Hintergrund bürgerlicher Rechtstradition und parteistaatlicher Vorgaben? Was glaubten sie, und was wurde aus diesem Glauben im Laufe der 40-jährigen DDR-Entwicklung? Zur Beantwortung der ersten Frage weist Markovits darauf hin, dass in der DDR das Rechtssystem in vielfacher Hinsicht das Gleiche wie in der Bundesrepublik blieb: So wurden etwa das auf das Kaiserreich zurückgehende Strafgesetzbuch erst 1968 und das BGB erst 1976 durch das Zivilgesetzbuch der DDR abgelöst (wenngleich beide durch Einzelregelungen vorher schon stark "durchlöchert" waren). Die HUB-Juristen hätten sich "in der bestehenden Rechtssystematik zu Hause [gefühlt] und [konnten] sich keine andere vorstellen" (93). Daher seien sie weitgehend Rechtspositivisten gewesen und hätten Recht als "Recht des Gesetzblatts" verstanden (100). Das bringt sie wiederum mit "juristische[m] Fachbewusstsein" in Zusammenhang, das der SED verdächtig vorgekommen sei (103). Bei der zweiten, sehr viel schwieriger zu beantwortenden Frage, macht sie zunächst geltend, dass die HUB-Juristen auch als Genossen "nicht unbedingt überzeugte Sozialisten" gewesen seien (150). Als Beispiel führt sie Hans Nathan an, einen kommunistischen Juristen und Westemigranten, der "ein durch und durch bürgerlicher Mann" geblieben sei (150). Dass dieser in seiner Zeit in der Deutschen Justizverwaltung Ende der 1940er Jahre mit Hilde Benjamin und Ernst Melsheimer eng kooperiert hatte, um diese Zentralverwaltung von Nicht-Sozialisten zu säubern, schreibt Markovits freilich nicht. Wichtiger ist ihr die Frage, ob eine sozialistische Rechtswissenschaft möglich gewesen sei, die nicht länger auf einem theoretischen, konfliktorientierten bürgerlichen, sondern - nach dem Willen Ulbrichts - auf einem konkreten, harmonischen gesellschaftlichen Recht basieren sollte. Da dies unmöglich gewesen sei, hätten auch die SED-Juristen letztlich an einem bürgerlichen Rechtsbegriff festgehalten. Hinzu kam im Verlauf der Zeit der "Verschleiß des politischen Glaubens an den Sozialismus" (131), insbesondere nach dem Machtantritt Honeckers, als Glaubensfragen für die HUB-Juristen an Bedeutung verloren. Die Partei, so die Autorin, muss ihnen "bestenfalls wie ein ungeliebter und schlechtestenfalls wie ein böswilliger Vormund vorgekommen sein" (186).
Inwieweit dies für die HUB-Juristen - Markovits spricht oft sehr allgemein und ohne zu differenzieren von "meinen Protagonisten" - zutraf, muss offen bleiben. Wie wenig sie sich ihrer Sache sicher ist, kommt in zahlreichen spekulativen Redewendungen zum Ausdruck. Außerdem blendet sie bestimmte Themen aus oder lässt sie bedeutungslos erscheinen, insbesondere den Einfluss des MfS. So verschweigt sie zwar nicht die schon seit längerem bekannte Tatsache, dass einer ihrer Helden, Hermann Klenner, sich 1968 der Staatssicherheit als Mitarbeiter angeboten habe. Sie begründet dies damit, dass "er mehr Einfluss auf sein eigenes Leben haben wollte" (189), was nicht ganz einleuchtet. Insgesamt aber habe "die Anwesenheit der Stasi an der Sektion Rechtswissenschaft den politischen Glauben [ihrer] Protagonisten nicht entscheidend" untergraben (191).
Am problematischsten ist indes, dass sie als Fazit ihres Buches ihre mit Vorsicht zu genießenden Schlussfolgerungen für die HUB-Rechtswissenschaftler, die "in der Regel wie Juristen, nicht wie Genossen" argumentierten (201), auf das Verhältnis von Recht und Macht in der DDR insgesamt ausweitet. So lehnt sie für die DDR den Begriff "Unrechtsstaat" als zu ungenau ab (was nachvollziehbar ist), schießt dann aber über das Ziel hinaus, wenn sie schreibt: "Jedenfalls war die DDR, auch als Nicht-Rechtstaat, kein Staat, der Recht und Gerechtigkeit mit den Füßen trat." (202) Die Missachtung elementarer Menschenrechte und das Fehlen rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze waren jedoch für die politische Strafjustiz der DDR-Diktatur bis zu deren Ende elementar. Aber das ist Markovits offensichtlich zu einfach gedacht. Sie greift abschließend auf die Begrifflichkeit Ernst Fraenkels zurück, indem sie in der frühen DDR vor allem den Maßnahmenstaat am Werk sieht, der aber mit der Zeit vom Normenstaat zurückgedrängt worden sei. Die DDR sei zwar nie zu einem Rechtsstaat geworden, habe sich aber auf diesen zubewegt, und die Juristen seien dabei "als Handwerker des Rechts nicht Öl, sondern eher Sand im Getriebe des Unrechts" gewesen (221). Eine abenteuerliche Argumentation, die zum einen übersieht, dass es in der DDR nie ein Nebeneinander von Maßnahmen- und Normenstaat gab, sondern sich beides stets durchdrang, und zum anderen die Parteilichkeit der Juristen und deren Relevanz für das Gesamtsystem völlig unterschätzt.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu Inga Markovits: Die Abwicklung. Ein Tagebuch zum Ende der DDR-Justiz, München 1993.
Hermann Wentker