David Harry: Constructing a Civic Community in Late Medieval London. The Common Profit, Charity and Commemoration, Woodbridge: Boydell Press 2019, XI + 216 S., eine s/w-Abb., ISBN 978-1-78327-378-2, GBP 75,00
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Niels Petersen: Die Stadt vor den Toren. Lüneburg und sein Umland im Spätmittelalter, Göttingen: Wallstein 2015
Auch nach den Tausenden Toten im Zuge der Pest 1349 blieb London eine Metropole innerhalb der spätmittelalterlichen Städtelandschaft. Das Wirtschaftsleben in dieser Großstadt an der Themse wurde weitgehend durch die elitäre Gruppe der Aldermen der Gilden reguliert. Harry untersucht in seinem Buch, wie die Aldermen den sogenannten Common Profit als eine neue politische Ideologie entwickelten und damit sowohl in ihren zumeist privat erstellten historiographischen Aufzeichnungen als auch in weiterem, offiziösen Verwaltungsschriftgut operierten und sich so politisch in einer Umgebung zu positionieren suchten, in der sie nur ihren Reichtum vererben konnten, aber nicht ihr Amt.
Wie hat politische Sprache eine zugrundeliegende Ideologie in Verwaltungsschriftgut und anderen einschlägigen Quellen zur Geschichte der Stadt London im späten Mittelalter geformt? Das ist eine der zentralen Fragestellungen der Studie Harrys (9). Als Forschungsstand dienen ihm unter anderem die Arbeiten von Caroline Barron [1] und Frank Rexroth. [2] Harry weiß hier die Begriffe der Ideologie und der Theologie mit dem Politischen zu verbinden, was letztlich auf einem Transfer der Ergebnisse von Ernst Kantorowicz und dessen Auseinandersetzungen mit Carl Schmitt fußt (12). Die Aldermen, so Harry, konstruierten mithilfe dieser ideologischen Sprache eine "new political community", in der sie die öffentlichen Ämter Londons sakralisierten (13).
Nach einer Einführung (1-21) und einem Kapitel, das den breiteren historischen Kontext des späten 14. Jahrhunderts abbildet (23-39), dienen der Prozess gegen William Hughlot, der Common Council, und der Liber Albus als Fallbeispiele, an denen Harry zeigt, wie die Aldermen ihre Amtsgewalt in neue politische Bahnen zu lenken versuchten (Kapitel 2). Das 1419 fertiggestellte sogenannte "weiße Buch" aus der Feder des Stadtschreibers John Carpenter ist denn auch eine der wichtigsten Quellen für Harry, der die Darstellung der Einzüge der Könige Richard II. von 1392 und Henry VI. von 1432 in die Stadt detailliert untersucht. Dabei zeige sich, dass Carpenter - dessen Aufgabe es gewesen sei "to imbue their position with the significance and rank of hereditary peers" (60) - durch die Anlage und Art der Darstellung im Liber Albus die Aldermen als Akteure gezeichnet habe, die für den common profit agierten und deshalb mit dem König kommunizierten. Dabei interessiert sich Harry aber weniger für die konkreten Abläufe als für die Darstellung der Ereignisse. Der Liber Albus sei, so Harry in der Zusammenfassung, "not a witness to urban government, but a text that shaped it" (176). Die Londoner Quellen "sought to preserve a record of an event that maintained the political ideology of the common profit".(90)
Die weiteren Entwicklungen stellt Harry anhand unterschiedlicher Quellen dar, die er chronologisch nach ihrer Entstehungszeit im 15. Jahrhundert bearbeitet. Dabei kristallisiert sich eine religiöse Aufladung der Herrschaft der Aldermen heraus, die Harry anhand der sogenannten "common profit books" aufzeigen kann (Kapitel 5).
Die im Lauf des 15. Jahrhunderts bis zum Londoner Buchdrucker William Caxton von den Aldermen in Auftrag gegebene und in Umlauf gebrachte Erbauungsliteratur stellt dabei eine Textgattung dar, die nur im Kreis der Aldermen selbst rezipiert worden zu sein scheint. Daher kann man mit Harry eine fundierte Selbstlegitimation der Londoner Elite konstatieren (Kapitel 6). Indem die Aldermen in religiöse Literatur investierten, hätten sie auch in den common profit und in das Wohl der Stadt investiert.
David Harrys Studie gelingt es, die Selbstlegitimation der Londoner Führungsgruppe der Aldermen aus Quellen zu rekonstruieren, die nicht als geschlossener Bestand vorliegen. Er zeigt anhand zahlreicher Mosaikstücke die Teile eines überzeugenden Ganzen auf. Dabei richtet sich der Blick stets auf die Eigenwahrnehmung der Londoner Eliten. Ob jedoch auch die breitere Öffentlichkeit der Stadtgemeinde diese Einschätzung teilte, bleibt fraglich. Trotzdem kann Harry mit seiner gut geschriebenen Studie überzeugen und zu weiteren Fragen anregen, etwa ob die Londoner Aldermen im Sinne Bernd Schneidmüllers in einer konsensualen Herrschaft [3] agierten und sich somit über ihre eigenen Interessen hinaus auch tatsächlich für die Allgemeinheit einzusetzen suchten.
Anmerkungen:
[1] Caroline Barron: London in the Later Middle Ages. Government and People, 1200-1500, Oxford 2004.
[2] Frank Rexroth: Deviance and Power in Late Medieval London, Cambridge 2007.
[3] Bernd Schneidmüller: Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hg. v. Paul-Joachim Heinig u.a., Berlin 2000, 53-87.
Florian Dirks