Nina Kleinöder / Stefan Müller / Karsten Uhl (Hgg.): "Humanisierung der Arbeit". Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, Bielefeld: transcript 2019, 332 S., eine Farbabb., ISBN 978-3-8376-4653-5, EUR 34,99
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Stefan Müller: Die Ostkontakte der westdeutschen Gewerkschaften. Entspannungspolitik zwischen Zivilgesellschaft und internationaler Politik 1969 bis 1989, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2020
Karsten Uhl: Humane Rationalisierung. Die Raumordnung der Fabrik im fordistischen Jahrhundert, Bielefeld: transcript 2014
Karsten Uhl: Das "verbrecherische Weib". Geschlecht, Verbrechen und Strafen im kriminologischen Diskurs 1800-1945, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2003
"Der Mensch ist Mittelpunkt" (9 f.): das kann als Kern des Aktionsprogramms "Humanisierung des Arbeitslebens" (HdA) gelten, das die sozial-liberale Regierung ab 1974 förderte. Der von Nina Kleinöder, Stefan Müller und Karsten Uhl herausgegebene Sammelband historisiert das Programm sowie die beteiligten Akteure mit ihren unterschiedlichen Interessen und Konzeptionen des Begriffs Humanisierung. Das Buch basiert auf einer Tagung, die 2017 in Köln stattfand. [1]
Im Zentrum der empirischen Beiträge steht die Analyse des Verhältnisses zwischen Humanisierung und Rationalisierung der Arbeit. Sie analysieren, wie das HdA-Programm konzipiert, diskutiert und angewandt wurde und welche Relevanz es für die Gegenwart besitzt.
Aus den Aufsätzen geht klar hervor, dass das HdA-Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt in der Bundesrepublik "ein politisch umkämpftes Projekt [darstellt,] bei dem etwa das jeweilige Verhältnis zwischen Rationalisierung und Humanisierung im Betrieb immer wieder neu ausgehandelt werden musste" (15). Insgesamt lief das Programm bis 1989.
Beteiligt waren die Bundesregierung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) und dem Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT), die Gewerkschaften, zahlreiche Unternehmen und Forschungsinstitute. Nicht zu Unrecht wurde es als "eine markante Wegmarke des deutschen Korporatismus" bezeichnet. [2] Es war stark vom politischen, sozialen und kulturellen Klima und den sozialen Fragen der 1970er Jahre beeinflusst. Tatsächlich versuchte das Programm, eine Antwort auf die Forderungen nach Verbesserung der Arbeit und demokratischer Beteiligung zu geben. Es wollte Lösungen bereitstellen, die es ermöglichen, flexible Alternativen und Verbesserungen der Arbeitsmodelle und -bedingungen in der Produktion zu entwickeln.
Der Aufbau des Bandes ist sehr gelungen. Der Beitrag von Stefan Müller über die Geschichte des Forschungs- und Aktionsprogramms liefert eine fruchtbare Orientierung. Einige Autoren wie Karsten Uhl und Jan Kellershohn liefern Elemente für die Entwicklung einer "Vorgeschichte der Humanisierung der Arbeit" (37). Kellershohns Beitrag thematisiert den Versuch, durch Berufsqualifikation die Probleme der Arbeit zu lösen und die Arbeit zu humanisieren. Darüber hinaus zeigen die Beiträge, wie der reformistische und humanisierende Antrieb im Laufe der Jahre allmählich seine Antriebskräfte verlor und in den 1980er Jahren die Rationalisierung sowohl im Folgeprogramm als auch in der Unternehmenspraxis zentral wurde.
Die verschiedenen Akteure verstanden Humanisierung sehr unterschiedlich: etwa als Prozess der Demokratisierung von Arbeit, z. B. seitens der Gewerkschaften, oder als die Notwendigkeit, den Produktionsprozess zu rationalisieren und zu flexibilisieren seitens der Unternehmen. Die Analyse dieses Spannungsfeldes und die Historisierung des Anspruchs auf eine "humane Arbeit" (22) im 20. Jahrhundert sind die roten Fäden, die die Beiträge des Bandes verbinden. Seine Ergebnisse sind in der Tat vielfältig. Zum Beispiel zeigt Karsten Uhl in seinem Aufsatz über die Prozesse der Rationalisierung im Ersten Weltkrieg, dass der Anstoß zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein Ausdruck unterschiedlicher Interessen war. Die Gewerkschaften brachten anderseits seit den 1960er Jahren ihr eigenes Verständnis von Humanisierung zum Ausdruck, weil sie glaubten, dass sie die einzigen Akteure seien, die die Arbeitswelt menschlicher gestalten könnten, wie Moritz Müller an der IG Metall zeigt.
Dietmar Lange untersucht den Fall Fiat in Turin, während Maths Isacson das Projekt der Humanisierung der Arbeit in Skandinavien behandelt. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive ist hervorzuheben, dass viele der damaligen Hauptprobleme noch immer bestehen, besonders der Transfer von Wissen und Forschungsergebnissen in die betriebliche Praxis. Einer der daraus resultierenden originellsten Aspekte ist die Beziehung zwischen dem HdA-Programm und dem soziokulturellen Wandel der deutschen Gesellschaft in den 1970er Jahren, den Hannah Ahlheim und Bernhard Dietz in ihren Beiträgen diskutieren. Diese Entwicklung manifestierte sich mit dem Wertewandel und den Forderungen nach einem neuen Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit sowie der Suche nach Autonomie und Selbstverwirklichung. In diesem Sinne lässt sich die Geschichte der Humanisierung tatsächlich auch aus sozial- und kulturgeschichtlicher Sicht analysieren. Wie Dietz anhand der "[w]ertorientierte[n] Personalpolitik" bei BMW zeigt, wurde der Wertewandel in einigen Fällen von den Unternehmen als Chance gesehen, mit neuen Formen der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit zu experimentieren. Dietz schlussfolgert jedoch, dass das Ergebnis weniger eine humanere Arbeitsorganisation als vielmehr eine "Entkollektivierung und Individualisierung von Arbeitsstrukturen" war (206). Ein weiterer Aspekt besteht in der Reflexion über die Qualität der Arbeit, beispielsweise in Bezug auf die Arbeitssicherheit, wie Nina Kleinöders Aufsatz zeigt.
Der Sammelband "Humanisierung der Arbeit" liefert neue historische Erkenntnisse und Perspektiven zu einem lange von der sozialwissenschaftlichen Forschung dominierten Thema. [3] Darüber hinaus bezieht der Band erfolgreich die Impulse der globalen Arbeitsgeschichte ein und bietet eine transnationale Perspektivierung. So wird es möglich sowohl die Rezeption von Debatten in anderen Ländern als auch die Reformen und Humanisierungsmodelle in der Bundesrepublik Deutschland zu verstehen sowie unterschiedliche Erfahrungen auf transnationaler Ebene zu vergleichen. Die Relevanz des Bandes manifestiert sich auch darin, dass die Problemkonstellation sowie die Fragen zur Qualität der Arbeit, der Partizipation und der Demokratisierung der Arbeit immer noch sehr aktuell sind. Die historiographische Reflexion über die Humanisierung der Arbeit kann einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Probleme der Gegenwart leisten.
Anmerkungen:
[1] Malte Müller: "Humanisierung der Arbeit" - Aufbrüche und Konflikte in der Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, Tagung vom 16.10.2017-18.10.2017, Düsseldorf, in: H-Soz-Kult vom 07.04.2018, www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7644 [08.06.2020].
[2] Anne Seibring: Die Humanisierung des Arbeitslebens in den 1970er-Jahren: Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: Knud Andresen / Ursula Bitzegeio / Jürgen Mittag (Hgg.): Nach dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, Bonn 2011, 108.
[3] Nina Kleinöder: "Humanisierung der Arbeit". Literaturbericht zum "Forschungsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens", Düsseldorf 2016, www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_008_2016.pdf [11.04.2019].
Jacopo Ciammariconi