William A. Allen: The Bank of England and the Government Debt. Operations in the Gilt-Edged Market, 1928-1972 (= Studies in Macroeconomic History), Cambridge: Cambridge University Press 2019, XIV + 260 S., 23 s/w-Abb., 27 Tbl., ISBN 978-1-108-46952-4, GBP 29,99
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Die Geschichte von Staatsschulden und der Rolle von Zentralbanken erfährt seit einigen Jahren ein anhaltend großes Interesse. [1] Der britische Ökonom William A. Allen, dessen 2019 erschienenes Buch "The Bank of England and the Government Debt. Operations in the Gilt-Edged Market, 1928-1972" hier besprochen wird, war selbst als Zentralbanker (1972-2004) tätig. Er hat auch bereits zuvor zur Geschichte der Bank of England (BoE) veröffentlicht. [2] Es gibt wohl wenige Menschen, die so vertraut mit der Entwicklung dieser Institution sind. Damit verbunden sind neben einer Reihe von Vorteilen aber auch Nachteile. Allens Studie gibt äußerst interessante Einblicke in den Mikrokosmos britischer Zentralbanker in einer Zeit, die in mehrfacher Hinsicht ganz anders war als die heutige und trotzdem zahlreiche Parallelen zu heutigen Diskussionen und Problemen erkennen lässt.
Ein Leitmotiv von Allens Analyse findet sich in dem folgenden Zitat: "The risk of markets becoming illiquid is a real one" (196). Zu diesem Schluss kommt Allen vor allem aufgrund seiner akteurszentrierten Perspektive, die ein willkommenes Gegengewicht zu den teilweise makroökonomisch abstrakt gehaltenen Darstellungen der historischen Entwicklung von Staatsschulden darstellt. "Real" war dieses Risiko vor allem deshalb, weil die in den An- und Verkauf von Staatsanleihen involvierten Akteure - innerhalb der Londoner Börse die sogenannten Jobber, außerhalb der Börse die zeitweise wichtigen Discount Houses - in Zahl und Kapitalstärke limitiert waren. Allen kann minutiös zeigen, wie Marktveränderungen, insbesondere die Anhebung des Diskontsatzes, diese Akteure in Bedrängnis brachten, so dass die Bank of England immer wieder aushelfen musste. Solche Interventionen spiegelten letztlich aber keinen ausgefeilten Masterplan wider. Allen erklärt die historischen Veränderungen vor allem im Sinne eines (von ihm so nicht genannten) "learning-by-doing". Die Zentralbank reagierte pragmatisch - und nur teilweise gestützt durch ökonomische Expertise - auf Konvertibilitäts- und Geldwertkrisen und den strukturellen Wandel in den Finanzmärkten.
Das 260 Seiten umfassende Buch ist in 16 teilweise recht kurze Kapitel eingeteilt, von denen die ersten vier Kapitel einen hilfreichen Einblick in die Funktionsweise des Marktes für Britische Staatsanleihen und dessen Entwicklung vor 1928 geben. Hier beschreibt Allen die Rolle eines "market makers" im Markt für Staatsanleihen und die Rolle des Ersten Weltkriegs für die Zerstörung der ursprünglichen Verbindung von Geld- und Anleihemarkt. In den folgenden Kapiteln untersucht Allen den Markt für Staatsschulden zwischen 1928 und 1939 und die Rolle des "Currency and Bank Notes Act" von 1928, der die eigentliche Grundlage für die finanziellen Interventionen der BoE bildete. Er reflektiert den Lernprozess der im 1. Weltkrieg gemachten Fehler und die Umsetzung der Vorschläge von Clay und Keynes im Sinne möglichst niedriger Zinssätze. Anschließend beschreibt Allen den schwierigen Übergang nach dem 2. Weltkrieg, in dem die Labour-Regierung die Politik von "cheap money" unter Finanzminister Hugh Dalton forcieren und verstetigen wollte ("ultra-cheap money") und damit scheiterte. Die BoE hielt, wie Allen zeigt, bis 1949 an ihrer grundsätzlichen "hands-off"-Policy - mit pragmatischen Ausnahmen in besonderen Situationen - fest, auch in der Anfangszeit des mit Staatsanleihen finanzierten Nationalisierungsprogramms der Labour-Regierung. Etwas merkwürdig für Allens akteurszentrierte Perspektive ist seine Nicht-Erwähnung des zu dieser Zeit amtierenden Gouverneurs der BoE, Lord Catto.
Das achte Kapitel thematisiert die Entwicklung des Marktes zwischen 1951 und 1960 mit Blick auf das Verhältnis der BoE zu den Jobbern, die zunehmende Bedeutung der Discount Houses sowie die Bedeutung von Informationsasymmetrien und "insider-trading". Darauf aufbauend widmet sich Allen den alternden, bis 1966 mit dem eigenen Vermögen haftenden, und von Kapitalengpässen geplagten Jobbern. Aus diesen Partnerschaften wurden in den späten 1960er Jahren kapitalstarke öffentliche Unternehmen mit beschränkter Haftung. Allen diskutiert im Anschluss die zunehmenden Interventionen der BoE in den Markt für Staatsanleihen seit den frühen 1960er Jahren im Kontext der Wechselkurskrisen. Seit 1962 umfassten die Interventionen auch verstärkt langfristige Anleihen. Zudem diskutiert Allen die Bedeutung der 1965 eingeführten Capital Gains Tax, die von den Zeitgenossen als Ursache einer von Allen spannend geschilderten Krise im Anleihemarkt verantwortlich war. Sie hatte einen weiteren Bailout der Jobber durch die BoE zur Folge.
In Kapitel 11 fokussiert Allen auf die großformatigen Stützungsmaßnahmen der BoE zwischen 1967 und 1970 im Kontext von Sterling-Abwertung, inflationären Erwartungen und Konflikten mit dem IMF bezüglich der richtigen Policy. Interessant ist die zeitgenössische Selbsteinschätzung der BoE. Aus ihrer Sicht waren solche Interventionen unerlässlich. Sie dienten nicht dazu, die staatliche Schuldenaufnahme per se zu vergünstigen, sondern - allerdings damit zusammenhängend - den Markt für Staatsanleihen liquide zu halten. Indem die BoE als aktiver "market-maker" für Liquidität sorgte und Preise zu stabilisieren suchte, schien sie allerdings zugleich die Erwartungshaltung der Marktteilnehmer auf eine Weise zu beeinflussen, die sie selbst nicht ganz durchschaute. Von der Idee einer "forward guidance" hatte die BoE nach den Erfahrungen in den späten 1940er Jahren, dass sie dem Markt die niedrigen Zinssätze nicht einfach vorgeben konnte, Abstand genommen. Anschließend thematisiert Allen den Strategiewandel der Bank im Jahr 1971. Die BoE zog sich aus den aktiven An- und Verkäufen zurück, übernahm aber weiterhin die Rolle eines Abnahmegaranten in schlechten Zeiten, da die Jobber trotz ihrer neuen Kapitalstärke in Ausnahmesituationen noch immer in ihrer Existenz gefährdet waren.
Die letzten vier Kapitel fassen im Grunde die zentralen Erkenntnisse der Arbeit zusammen. Sie belegen noch einmal quantitativ den Wandel der Interventionsstrategie und ihre Bedeutung in Zeiten von Diskontsatzänderungen und diskutieren kritisch die Rolle der Geheimhaltung, die gleichzeitig auch die schlechte Quellenlage in Bezug auf die beobachteten Interventionen erklärt. Abschließend stellt Allen seine Befunde in den langfristigeren Kontext der britischen Finanzmarktentwicklung und schließt mit einem knappen Ausblick.
Als Einstiegslektüre ist Allens Buch weder geeignet noch gedacht. Die meisten zentralen Begriffe werden zwar erläutert und die Praktiken der Staatsverschuldung grob skizziert. Allerdings unterbleiben potentiell hilfreiche Erklärungen für Nicht-Finanzmarktexpert*innen wie etwa die Berechnungsweise der auf nahezu jeder Seite erwähnten und stetig schwankenden Rendite einer Staatsanleihe. Allens Studie verliert sich immer wieder in Details, deren Relevanz für das Narrativ nicht unmittelbar erkennbar ist. Seine Vorliebe für Statistiken durchzieht den gesamten Text nicht unbedingt im Sinne der besseren Lesbarkeit. Die Unterkapitel sind teilweise nicht länger als eine halbe Seite.
Auch hätte eine insgesamt stärkere Kontextualisierung dem fast ausschließlich auf den Anleihemarkt fokussierten Buch gutgetan. Die Diskussion der stark schwankenden Nominalzinsen und der Diskontsätze findet nahezu ohne jeden Bezug zu der Inflationsentwicklung statt. Der politische Kontext geht kaum über gelegentlich erwähnte Regierungswechsel hinaus. Während die Verstaatlichung der Industrien aufgrund ihrer Finanzierung durch Staatsanleihen eine Rolle spielt, findet die Verstaatlichung der BoE selbst erstaunlich wenig Betrachtung, so dass völlig unklar bleibt, welche Rolle dieser Prozess für die Interventionsbereitschaft gespielt haben könnte. Angesichts aktueller Debatten zur Unabhängigkeit von Zentralbanken ist das etwas schade. [3] Insgesamt liefert Allen aber einen sehr wertvollen Beitrag zur Geschichte des Marktes für britische Staatsschulden, der eindrucksvoll vor Augen führt, dass es diesen Markt ohne die keineswegs leichtherzige Interventionsbereitschaft der BoE so nicht gegeben hätte.
Anmerkungen:
[1] Für zwei Beispiele neuerer Überblicksdarstellungen, siehe Barry Eichengreen / et al.: Public debt through the ages. No. w25494. National Bureau of Economic Research 2019; Olivier Blanchard / Gita Gopinath / Kenneth Rogoff: "Discussion on Public Debt and Fiscal Policy." IMF Economic Review (2020), 1-17.
[2] W. A. Allen: Monetary policy and financial repression in Britain, 1951-59, Basingstoke 2014; W. A. Allen: The British attempt to manage long-term interest rates in 1962-1964, in: Financial History Review 23(1) 2016, 47-70.
[3] Peter Bofinger / u.a.: Gefahr für die Unabhängigkeit der Notenbank. FAZ, 29.5.2020 (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ezb-warum-die-unabhaengigkeit-der-notenbank-in-gefahr-ist-16790569.html).
Sebastian Teupe