Rezension über:

Daniel Gehrt / Kathrin Paasch (Hgg.): Friedrich Myconius (1490-1546). Vom Franziskaner zum Reformator (= Gothaer Forschungen zur Frühen Neuzeit; Bd. 15), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 392 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-12626-7, EUR 66,00
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Rezension von:
Martin H. Jung
Institut für Evangelische Theologie, Universität Osnabrück
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Martin H. Jung: Rezension von: Daniel Gehrt / Kathrin Paasch (Hgg.): Friedrich Myconius (1490-1546). Vom Franziskaner zum Reformator, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 3 [15.03.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/03/34347.html


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Daniel Gehrt / Kathrin Paasch (Hgg.): Friedrich Myconius (1490-1546)

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Zugegeben: Friedrich Myconius gehört nicht zu den Gestalten der Reformation, die man kennt und für die man sich interessiert, es sei denn, man interessiert sich für die Reformation in Gotha, aber auch das dürfte eher die Ausnahme sein. Doch dem von zwei in Gotha wirkenden Wissenschaftlern herausgegebenen Sammelband gelingt es zu zeigen, dass auch die Beschäftigung mit Nebenschauplätzen etwas zum Verstehen der Hauptschauplätze beitragen kann, ja, dass es für die Reformationsforschung geradezu sinnvoll und zukunftsweisend sein könnte, sich nunmehr vermehrt mit Nebenschauplätzen zu beschäftigen, um so, und nicht durch die immer wieder neue, aber im Kern redundante Beschäftigung mit den Hauptschauplätzen, ein neues Licht auf die Reformation zu werfen.

Friedrich Myconius war ein, nur wenig jüngerer, Zeitgenosse Luthers, der wie dieser aus dem Mönchtum kam und sich unter dem Einfluss Luthers der Reformation zuwandte und in steter enger Verbindung mit Luther und Melanchthon die Reformation in deren Kernländern mitgestaltete. Er starb im gleichen Jahr wie Luther, nur wenige Zeit später. 1518 waren sich die beiden erstmals begegnet, als Luther im Weimarer Franziskanerkloster übernachtete, eine engere Beziehung bestand aber erst von 1525 an. Noch intensiver als zu Luther waren freilich die Beziehungen Myconius' zu Melanchthon.

Wie viele Sammelbände geht auch dieser zurück auf eine Tagung, die in diesem Fall von der Forschungsbibliothek Gotha im Jahre 2016 durchgeführt worden war. Keiner der Beiträge hat jedoch Vortragscharakter, sondern alle stellen solide ausgearbeitete wissenschaftliche Aufsätze dar und alle bereichern die Forschung.

Die insgesamt sechzehn Beiträge erhellen das Leben und Wirken von Friedrich Myconius, der 1490/91 als Friedrich Mekum in Lichtenfels in Franken geboren worden war, und die Reformationsereignisse in und um Gotha, behandeln damit aber gleichzeitig Themen von allgemeinem Interesse wie Mönchtum und Reformation am Beispiel des Franziskanerordens, der sowohl entschiedene Anhänger als auch vehemente Gegner der Reformation hervorbrachte, Kommunikations- und Organisationsstrukturen der Reformation, das Visitationswesen usw. Myconius' Bericht über seine Visitation des Amtes Tenneberg im März 1526 zeigt, wie schlecht es in den Dörfern um die geistliche Versorgung im evangelischen Sinn noch bestellt war, wie wenig qualifiziert die Pfarrer und wie prekär ihre privaten Lebensverhältnisse noch waren.

Besonders interessant sind auch die Einblicke in die Schwierigkeiten beim Aufbau eines ländlichen Schulwesens - eine Zentralidee Luthers und der Reformation - und in dessen späte Erfolge in den 1560er (!) Jahren. Thematisiert werden auch der Bauernkrieg und die Täuferbewegung sowie die Reformation in Leipzig und im Herzogtum Sachsen.

Myconius nahm auch an Religionsgesprächen, unter anderem in Marburg 1529, teil, worüber leider nur wenige, dafür aber im Einzelfall umso interessantere Details vorliegen. In Marburg bat er Johannes Brenz aus Schwäbisch Hall, Andreas Osiander aus Nürnberg und Stephan Agricola aus Augsburg um einen Eintrag in seine Handbibel, die er offenbar, und auch das ist interessant, als Album amicorum benutzte. Zwingli - der neben Luther prominenteste Teilnehmer - wurde von ihm anscheinend nicht um einen solchen Eintrag ersucht. Deutlicher hätte man die theologische - und menschliche - Distanz nicht zum Ausdruck bringen können.

Myconius war literarisch sehr produktiv. Es gibt von ihm eine postum veröffentliche Reformationsgeschichte, ein Beispiel für eine von einem Zeitgenossen und Beteiligten vorgenommene Deutung des Reformationsgeschehens, und einen Katechismus speziell für "Einfeltige[...]" und Kranke, ein frömmigkeitsgeschichtlich interessantes Beispiel reformatorischer Ars-moriendi-Literatur vergleichbar mit Luthers Sterbesermon, aber aus späterer Zeit (1539/40). Interessant in diesem Zusammenhang und ebenfalls ein kleiner Beitrag zu einer nach wie vor aktuellen Diskussion: Myconius berichtet nichts von einem Thesen-"Anschlag", nur von einer schnellen Verbreitung von Luthers Thesen im Druck.

Der Band bietet auch eine Bibliografie der gedruckten und der ungedruckten Schriften Myconius' (bei den Drucken leider ohne Besitznachweise) sowie einen detaillierten Überblick über seinen umfangreichen Briefwechsel (816 Briefe). Wünschenswert wäre auch ein Überblick über den Forschungsstand, eine Bibliografie der bisherigen Myconius-Literatur gewesen, die man aus den in den Anmerkungen angeführten Titeln leicht hätte erstellen können. Ferner enthält der Band ein Personenregister - wünschenswert wäre auch ein Ortsregister gewesen.

Die Forschungsbibliothek Gotha besitzt 278 Briefe des Reformators Friedrich Myconius, darunter 70 Originale. Viele von ihnen wurden inzwischen in "Melanchthons Briefwechsel" (MBW) neu ediert. Die Bibliothek besitzt ferner die erwähnte Handbibel, die noch aus vorreformatorischer Zeit stammt. Mit der Ausrichtung der Myconius-Tagung 2016 und dem nun vorgelegten außerordentlich ertragreichen Sammelband leistete die Forschungsbibliothek einen beachtenswerten Beitrag zur Reformationsforschung und profilierte sich damit in der Wissenschaftslandschaft.

Martin H. Jung