Rezension über:

Grit Schorch / Brigitte Klosterberg (Hgg.): Mission ohne Konversion? Studien zur Arbeit und Umfeld des Institutum Judaicum et Muhammedicum in Halle (= Hallesche Forschungen; Bd. 51), Wiesbaden: Harrassowitz 2019, 266 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-11080-8, EUR 54,00
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Rezension von:
Hans-Martin Kirn
Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Martin Kirn: Rezension von: Grit Schorch / Brigitte Klosterberg (Hgg.): Mission ohne Konversion? Studien zur Arbeit und Umfeld des Institutum Judaicum et Muhammedicum in Halle, Wiesbaden: Harrassowitz 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 3 [15.03.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/03/34694.html


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Grit Schorch / Brigitte Klosterberg (Hgg.): Mission ohne Konversion?

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Der Sammelband dokumentiert das lebendige Forschungsinteresse unterschiedlicher Disziplinen am ersten protestantischen Institut zur organisierten Mission unter Juden und Muslimen. Gerade jene Disziplinen, die wie Religionswissenschaft, Judaistik und Orientalistik hierbei die Geschichte ihrer eigenen Entstehung mitreflektieren, erweitern und vertiefen mit ihren Analysen die kirchen- und theologiegeschichtlichen Deutungshorizonte. Wie relevant das Thema von Mission und Konversion für Kernfragen zum Verhältnis von Pietismus und Aufklärung und damit auch für eine Theorie der Moderne ist, umreißt die Einleitung auf vorbildliche Weise.

Zur Vorgeschichte des 1728 von Johann Heinrich Callenberg im Rahmen des Hallischen Pietismus gegründeten Missionsinstituts gehört das bereits 1702 in Halle eingerichtete Collegium Orientale Theologicum. Christoph Bochingers kundige Motivanalyse zeigt, dass die am Collegium intensiv geförderte Ausbildung in orientalischen Sprachen und ihre Krönung in der Herausgabe einer kritischen hebräischen Bibelausgabe (1720) ganz im Rahmen des universal angelegten Hallischen Reformprogramms zu deuten sind, Philologie und Mission also von vornherein aufeinander bezogen waren.

Anke Költsch erweitert den Blick auf die Vorgeschichte durch ihren gründlichen Beitrag zu den missionarischen Bestrebungen am Gothaer Fürstenhof unter Ernst I. (dem Frommen), von dem prägende Einflüsse auf den Hallischen Pietismus ausgingen. Bereits hier gehörten Sprachenstudium, Orientinteresse und die Versorgung von armen jüdischen Taufanwärtern und Konvertiten zusammen. Selbst Pläne für eine reichsweit zugängliche lutherische Proselytenstiftung wurden geschmiedet. Spannend sind hierbei die Beobachtungen zur gelungenen Integration wenigstens eines Teils der jüdischen Konvertiten in die christliche Mehrheitsgesellschaft. [1]

Die Beiträge des zweiten Teils sind den Strategien und Praktiken des Callenberg'schen Instituts gewidmet. Zu diesen zählt die umfängliche Publikations- und Verteilpraxis jiddischer und hebräischer Drucke, in die Heike Tröger bündig einführt. Die Traktatmission spielte auf den Missionsreisen der Hallischen "Studiosi" in osteuropäische jüdische Siedlungsgebiete eine zentrale Rolle. Dies lag mit daran, dass Konversionen offenbar nicht in erster Linie von missionarischen Gesprächen, sondern von gottgewirkten Leseerlebnissen erwartet wurden.

Wiederholt wird der Umgang mit der offenkundigen Spannung zwischen den messianisch-eschatologisch begründeten hohen Konversionserwartungen und den geringen Erfolgen thematisiert. Christoph Rymatzki geht der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in einer sorgfältigen Bestandsaufnahme der Taufpraxis in den Anfangsjahren des Instituts (1728-1736) nach. Die Diskrepanz wird sachgerecht als eine doppelte, qualitative und quantitative, erfasst. So leitete sich etwa der qualitative Anspruch von der pietistischen Buß-, Bekehrungs- und Wiedergeburtslehre her, die Taufanwärter und Konvertiten mit unerfüllbar hohen Ansprüchen an persönliche Bekehrungserfahrungen konfrontierte. Plausibel wird dargelegt, wie Callenberg auf einen pragmatischen Umgang mit dem Dilemma hinwirkte. Dies entspricht der dynamischen Anpassung an die Umstände, die auch Bochinger betont: Man konzentrierte sich zunehmend auf die Fürsorge für bereits Konvertierte und die Befriedigung innerchristlich-pietistischer Erbauungsanliegen. Dennoch, und das sollte nicht vergessen werden, hielt man an den universalen Horizonten der theologischen Grundüberzeugungen fest. Eine ähnliche Wendung nach innen lässt sich im Übrigen auch in der Geschichte der Judenmission des 19. Jahrhunderts beobachten.

Von besonderer Bedeutung für die Forschung waren von Anfang an die Reisetagebücher der Missionare. Lutz Greisiger geht im Anschluss an Debatten über deren Quellenwert auf die Selbst- und Fremdbilder ein, die sie erkennen lassen. Grundlage sind die Gesprächsprotokolle in den Tagebüchern der Missionare Widmann und Manitius, entstanden bei deren erster Polenreise 1730/1731. Überzeugend wird dargelegt, dass die Texte zwar altbekannte Formen antijüdischer Vorurteile weitertragen, doch zugleich auch ein aufrichtiges Interesse am real existierenden Judentum erkennen lassen. Die Missionare gelten entsprechend als "Proponenten einer postmillenaristischen inklusivistischen Utopie" (97). Man könnte auch sagen: Es war die Imagination einer gemeinsamen Zukunft im messianischen Friedensreich (vgl. Jes 11,6), welche die religiösen Gegensätze inklusivistisch zu überbieten erlaubte.

Wie die Forschungen zum Callenberg'schen Institut die Orientalistik berühren, zeigt der grundlegende Beitrag von Ralf Elger zum Reisebericht des noch wenig gewürdigten Stephan Schultz über den Nahen Osten (1752-1756). Alles deutet darauf hin, dass Schultz zumindest für den Orientdiskurs des 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielte.

Der dritte Teil des Bandes widmet sich dem spannenden Thema der Interaktion von Christentum und Judentum im Umfeld des Missionsinstituts. Yaacov Deutsch untersucht auf schlüssige Weise die hebräische Übersetzung des Lukasevangeliums mit Kommentar durch den Konvertiten Heinrich Chr. I. Frommann. Es fällt auf, dass der Kommentar die jüdische Traditionsliteratur als Wegweiser zum christlichen Glauben empfahl und nicht, wie es oft bei Konvertiten der Fall war, rundweg ablehnte. Freilich war der Gebrauch jüdischer Literatur und Gelehrsamkeit zu christlichen Zwecken keine Neuigkeit.

Dirk Sadowski führt in seinem anregenden Beitrag zu den beiden Proselyten-Druckern Moses ben Avraham Avinu und Israel bar Avraham in einen noch ungenügend ausgeleuchteten Raum jüdisch-christlicher Interaktion ein, den des hebräischen Buchdrucks. Der wohl in Amsterdam zum Judentum konvertierte Moses ben Abraham Avinu wirkte bekanntlich eine Zeitlang in Halle, wo er unter anderem am Waisenhaus den Druck der hebräischen Bibel verantwortete. Israel bar Avraham war in Mittel- und Norddeutschland tätig. Wichtige Impulse für die Entstehung der jüdischen Aufklärung (Haskala) kamen aus seiner Druckerei.

Rebekka Voß und Avraham Siluk gehen in ihrem wegweisenden Beitrag zu den bislang vernachlässigten jüdischen Reaktionen auf den Pietismus jenseits von Mission und Konversion nach. Beispielhaft wird hierzu die jiddische Moral- und Reformschrift "Libes briv" (Liebesbrief, 1748/49) des gebildeten Celler Kaufmanns Isaak Wetzlar einer näheren Analyse unterzogen. Wie plausibel dargelegt wird, griff Wetzlar in seinem Ruf nach einer umfassenden Erneuerung des Judentums charakteristische Elemente der pietistisch-missionarischen Sendschreiben der Zeit auf. Persönliche Kontakte mit Pietisten aus Halle und Herrnhut sind bezeugt. Freilich blieb für Wetzlar der Rückbezug auf genuin jüdische Traditionen kennzeichnend, so vor allem auf die Frömmigkeitsideale der oft als "pietistisch" bezeichneten mittelalterlichen Chasidei Ashkenaz. Weitere Forschungen zur jiddischen Moral- und Reformliteratur verheißen vielversprechende Erkenntnisse, um das Verhältnis von frühneuzeitlichem Pietismus und jüdischen Reformbestrebungen bis hin zur frühen jüdischen Aufklärung weiter zu erhellen und einseitig strukturanaloge Begrifflichkeiten zu vermeiden.

Am Ende des Bandes finden sich zwei vereinzelte Ausblicke auf die Wirkungsgeschichte des Instituts. Giuseppe Veltri präsentiert Johann Gottfried Herders Abkehr vom Gedanken religiöser Konversion im Sinne Halles zugunsten des Rufs nach einer "politischen Konversion" des Judentums im Horizont kulturnationaler Humanitätsideale. Yaakov Ariel schlägt den Bogen zum weiten Feld der im Evangelikalismus beheimateten Gesellschaften zur Judenmission in England und Angloamerika im 19. und 20. Jahrhundert, für welche Halle eine Art Vorläufer war. Auf diesem Gebiet wird noch viel zu leisten sein. [2]

Es bleibt zu hoffen, dass der lesenswerte Band den interdisziplinären Austausch und weitere einschlägige Untersuchungen befördert.


Anmerkungen:

[1] Vgl. hierzu künftig Anke Költsch: Konversion und Integration. Konversionen vom Judentum zum Luthertum im frühneuzeitlichen Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg, Berlin [2021].

[2] Auf zwei weitere anregende Beiträge zu Konversion und Mission jenseits von Halle sei am Rande hingewiesen: Jan Doktór analysiert die bemerkenswerten Bemühungen der katholischen Kirche in Polen, mit Hilfe der frankistischen Bewegung eine antirabbinische Reform des osteuropäischen Judentums ins Werk zu setzen. Hans-Jürgen Schrader schärft anhand eines Textes des Quietisten Charles Hector de Marsay den Blick für die Vielgestaltigkeit radikalpietistischer Erweckungs- und Bekehrungsvorstellungen.

Hans-Martin Kirn