Rezension über:

Stefan Bauer: The Invention of Papal History. Onofrio Panvinio between Renaissance and Catholic Reform (= Oxford-Warburg Studies), Oxford: Oxford University Press 2019, VIII + 262 S., ISBN 978-0-19-880700-1, GBP 70,00
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Rezension von:
Stefan Benz
Didaktik der Geschichte, Universität Bayreuth
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Benz: Rezension von: Stefan Bauer: The Invention of Papal History. Onofrio Panvinio between Renaissance and Catholic Reform, Oxford: Oxford University Press 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 4 [15.04.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/04/34131.html


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Stefan Bauer: The Invention of Papal History

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Stefan Bauer, derzeit am Department of History der University of Warwick, legt mit dieser Monografie über den Augustinereremiten Onofrio Panvinio (1530-1568) eine Abhandlung über einen der großen Namen römischer Historiografie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts neben Carlo Sigonio oder Cesare Baronio vor. Während der sicher bekanntere Annalist Baronio am Ende der von ihm gepflegten historiografischen Gattung steht und gerne epitomisiert, aber selten zitiert und noch seltener gelesen wurde, vermittelt Panvinio die Gattung Papstgeschichte zwischen der Renaissance mit Bartolomeo Platina (gest. 1481) und der Neuzeit mit Ludwig von Pastor oder Leopold von Ranke. Unzählige Historiker, Prediger, Theologen, Juristen und Wissenschaftshistoriker arbeiteten sich an diesem Thema ab, und meist ruhten sie auf dem Werk von Panvinio, das bis heute in zahlreichen historischen Ausgaben erhältlich ist, Beleg seiner einst weiten Verbreitung.

Demgegenüber ist die Historiografiegeschichte des Gegenstands, immerhin auch theologisch über die apostolische Sukzession ein Fundament der katholischen Kirche, als Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses der Institution und damit ihrer Geschichtskultur kaum bearbeitet. Umso wichtiger ist diese Monografie, die Panvinio in den römischen und reformatorischen Kontext seiner Zeit einordnet, seine mittelalterlichen Quellen in die Untersuchung miteinbeziehend, die übersichtlich gegliedert ist und über einen Personenindex über beachtliche 14 Spalten verfügt. Die informative Dichte des gut lesbaren Texts ergibt sich auch aus dem Quellenverzeichnis, das Materialien aus Bibliotheken und Archiven zahlreicher europäischer Staaten, vor allem natürlich Italiens und des Vatikans, nachweist und kurz charakterisiert, so dass die Weiterarbeit in Spezialuntersuchungen deutlich erleichtert wurde. Dass diese an unterschiedlichen Orten entstehen, hat der Verfasser erst jüngst in einem Heft der Renaissance Studies beweisen können.

Bereits die einleitende Einordnung Panvinios in die Geschichtskultur seiner Zeit umreißt nicht nur dessen tatsächlich viel breiteres Œuvre, sondern auch die Ambivalenz des Protagonisten. Dieser bewies mit Quellen, was nicht zu beweisen war, aber geglaubt wurde und von römischen Familien dringend bewiesen gesehen wollte, womit er an den durchaus kreativen Umgang vieler Humanisten mit der ihnen als Historiker anvertrauten Vergangenheit erinnert. Andererseits erwies er sich als kritischer und durchaus schonungsloser Historiker der Geschichte der Papstwahlen. Indem er die stattgehabten Veränderungen dieses Prozedere aufzeigte, setzte er den Wandel explizit auf die Agenda des historischen Schreibens. Dies beweist bei einem so heiklen Gegenstand - im Zeitalter der Reformation - einen erstaunlichen Mut, waren doch die von der römischen Kirche behauptete Invarianz der Lehre und die mutabilia (142) des menschlichen und damit geschichtlichen Erfahrungsraums, wozu die Papstwahlen gehörten, so auseinanderzuhalten, dass der Nimbus des Papstamts selbst nicht beschädigt würde.

Dass Panvinio zwar immer wieder in den Strudel römischer Ereignisse, kurzer Pontifikate und der Gunst unterschiedlicher Gönner geriet, dabei aber stets weiterarbeiten konnte, zeigt die Biografie, die die ersten zwei Teile des Buchs bildet. Neben den Verbindungen zu römischen Familien (Cibo, Savelli, Massimo) werden auch die Verbindungen zu den Kaisern Ferdinand I. und Maximilian II. dargestellt, die dazu führten, dass römische Gegner Panvinios Werke als zu prohabsburgisch einschätzten, während man ihn im Reich vielfach für kurial gesonnen hielt. Im Mittelpunkt stehen jedoch neben Familie und Ausbildung der Wandel seiner historischen Arbeit weg von der römischen Antike über die Ordensgeschichte hin zur Kirchengeschichte, dem begabten Mönch aufgetragen von seinen römischen, kirchlichen Förderern. Der Paradigmenwechsel mündete 1563 in einem breve apertum (66), womit Papst Pius IV. dem Historiker alle Archive und Bibliotheken aufschloss.

Die anschließenden beiden Teile fokussieren die gedruckte Papstwahlgeschichte und die ungedruckt gebliebene allgemeine Kirchengeschichte in Hinblick auf Quellennutzung (zum modernen Konklave war Panvinio selbst enger Zeitzeuge), die Problematik der Zeitgeschichte, römische Zensur und die theologischen Implikationen. Hinsichtlich des damals stark debattierten Verhältnisses zwischen den mittelalterlichen Kaisern und Päpsten nahm Panvinio eine ausgewogene Haltung ein, die sich bemühte, die Quellen sprechen zu lassen, was als multiperspektivisches Verfahren auch bei der gleichzeitigen spanischen Historiografie zur Neuen Welt zu beobachten ist. Problematischer waren die aktuellen Papstbiografien, die immer wieder umgearbeitet werden mussten, um den Kontrast zwischen liberaleren und reformstrikten Päpsten nicht zu groß werden zu lassen. Zur Frage der Zensur geht Bauer besonders auf den spanischen Kanonisten Francisco Peña ein, der in Rom als Indexkonsultor damit betraut war. Welche Autorität Panvinio schon bald nach seinem Tod zukam, bewies seine Nutzung durch den Jesuiten Jakob Gretser (gest. 1625), der in Ingolstadt unermüdlich Quellen zur historischen Verteidigung der Päpste und der katholischen Kirche publizierte.

Das Schlusskapitel und der Epilog verfolgen nicht die Verbreitung der Werke Panvinios, ihre Ausbeutung und Umnutzung, sondern ordnen sein Werk in den historiografischen Zeithorizont ein, den bekannten Clash zwischen den Magdeburger Zenturiatoren und Kardinal Baronio, und referieren die spätere, römische Papstgeschichtsschreibung sowie einige sehr ausgewählte Urteile der Nachwelt. Hier mag man manches auch anders sehen, etwa zur Rolle der Jesuiten in der Geschichtsschreibung. Faktisch waren diese als Historiker gefragt, wurden an Fürstenhöfen immer wieder erfolgreich mit Geschichte beauftragt, und gerieten früh in den Ruf, in ihren Schulen gute Historiker zu ziehen. Eine Edition des Papstwahldekrets von 1059 schließt die sehr ausgewogene, informierte und wohlgelungene Darstellung ab.

Deren Relevanz liegt nicht nur im Gegenstand begründet. Vielmehr werden zahlreiche Aspekte etwa der Buch- und Mediengeschichte behandelt: Im Hinblick auf die Geschichte der Buchillustration, der Wahl geeigneter Verleger (Köln oder Venedig?) und natürlich, wie genannt, zur Geschichte der Zensur. Zudem gelingt es, einen Beitrag zur Entfaltung der geschichtswissenschaftlichen Methode vorzulegen, der seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert verstärkt aufgegeben war, Texte kritisch als Quellen einzuschätzen, wie einst der Mediävist Werner Goez an Giovanni Nanni (Annius von Viterbo, gest. 1502 in Rom) zeigte und vermeintliche ältere Innovatoren wie Lorenzo Valla (gest. 1457 in Rom) entthronte. Dass Geschichte für den, der sie wie Panvivnio außerhalb des Elfenbeinturms schreibt, prekär sein kann, weil sie zugleich als aktuelles Argument in Machtkämpfen dient, ist nicht überraschend, da bis heute üblich, wenn auch mit anderen Themen.

Wer Papstgeschichte schreibt, wird stets Stefan Bauers grundlegende Monografie konsultieren müssen, um sich selbst zu verorten. Aber auch für die Geschichte der Papstwahlen, die Historiografiegeschichte und zur Wissensgeschichte Roms in der Mitte des 16. Jahrhunderts liegt eine bedeutende Studie vor. Hat sich nun das breve apertum für das Papsttum, die Indienstnahme der Geschichte samt der eher genommenen als gewährten relativen Redefreiheit ausgezahlt? Panvinios Offenheit, gepaart mit Akkommodation an die gegenüber 1500 deutlich kritischeren Standards der Geschichtsforschung, bewahrte dem Papsttum die Deutungshoheit über den sehr heiklen Punkt der Papstwahlen, die anders als die Frage der Kaiserwahl und der Entstehung des Kurkollegs kaum mehr die konfessionskritischen Gemüter erregen würden.

Stefan Benz