Patrizia Mainoni / Nicola Lorenzo Barile (eds.): Comparing Two Italies. Civic Tradition, Trade Networks, Family Relationships between the Italy of Communes and the Kingdom of Sicily (= Mediterranean Nexus 1100-1700; 7), Turnhout: Brepols 2020, 260 S., 3 s/w-Abb., 1 Tbl., ISBN 978-2-503-56976-5, EUR 85,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Maria Teresa Gigliozzi / Mariella Nuzzo (a cura di): Terracina nel Medioevo. La cattedrale e la città. Atti del Convegno internazionale di studi (Terracina, 9-10 febbraio 2018), Roma: Viella 2020
Jacopo Paganelli: Dives episcopus. La signoria dei vescovi di Volterra nel Duecento, Roma: Viella 2021
Daniele Edigati / Lorenzo Tanzini (a cura di): Il Comune dopo il Comune. Le istituzioni municipali in Toscana (secoli XV-XVIII). Atti della giornata di studi Montevarchi, 22 maggio 2021, Florenz: Leo S. Olschki 2022
"Comparing Two Italies" - der Titel des zu besprechenden Sammelbandes ist vielversprechend für alle, die sich mit der Geschichte Italiens im Hoch- und Spätmittelalter beschäftigen. Vergleichende Studien sind nämlich höchst selten. Bis heute konzentrieren sich viele Forschende entweder auf das 'kommunale Italien' im Norden und im Zentrum oder auf das 'monarchische Italien' der Normannen, Staufer, Anjou und Aragonesen im Süden. Die zweigeteilte Forschungslandschaft lässt sich durch vielfältige Unterschiede in den historischen Entwicklungen, den in den Quellen erkennbaren politischen und institutionellen Strukturen und der Überlieferungssituation begründen. Sie basiert ganz maßgeblich aber auch auf einem politischen Schlagwort des Risorgimento, dem bis heute große politische und gesellschaftliche Relevanz innewohnt: Die sogenannte questione meridionale, die Frage, warum der italienische Süden in seiner sozio-ökonomischen Entwicklung dem Norden hinterherhinke, beschäftigte auch die mediävistische Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts, die glaubte, die Zweiteilung des Landes bis ins Mittelalter zurückverfolgen zu können. Besonders wirkmächtig erwies sich dabei David Abulafias wirtschaftsgeschichtliche Studie "The Two Italies" [1], erschienen 1977. Diese lieh dem vorliegenden Sammelband nicht nur den Titel, sondern diente auch explizit als Referenz- und Ausgangspunkt, wie Patrizia Mainoni in ihrer Einleitung (7-26), die auch eine umfassende Darstellung der Forschungsgeschichte enthält, deutlich macht. In Abgrenzung und Ergänzung zu Abulafias These einer dualistischen Weichenstellung bereits im 12. Jahrhundert wolle die Publikation mithilfe der Themenfelder "Civic Tradition", "Trade Networks" und "Family Relationships" einen neuen Blick auf die jeweiligen Phänomene in Nord-, Mittel- und Süditalien erlauben und damit Vergleiche ermöglichen (11).
Der titelgebende Vergleich gelingt auf den ersten Blick jedoch nur bedingt, obwohl die einzelnen Beiträge durchweg von hoher Qualität sind und neue Perspektiven auf ihren jeweiligen Gegenstand eröffnen. Rasch entsteht der Eindruck, dass sich aus vielen Artikeln mehr Erkenntnisse zu Nord- und Mittelitalien gewinnen lassen als zum sizilianischen Regno, was in erster Linie der Quellenlage geschuldet ist. So beschäftigen sich die kenntnisreichen Beiträge von Paola Guglielmotti, die die eheliche und innerfamiliäre Verteilung von Besitz anhand der reichen Notariatsakten aus Ligurien im 12. und 13. Jahrhundert untersucht (167-187), und von Alessandra Bassani, die ähnlichen Fragen auf Grundlage der in der Lombardei verfassten Gutachten des Rechtsgelehrten Baldo degli Ubaldi (ca. 1327-1400) nachgeht (189-210), ausschließlich mit norditalienischen Kontexten.
Isabelle Chabot, die sich ebenfalls mit der Problematik des Besitzes und der wirtschaftlichen Ausstattung von Frauen in der Ehe und innerhalb der Familie auseinandersetzt und hierzu eine große Zahl entsprechender Regelungen in kommunalen Statuten versammelt (211-232), konzentriert sich aufgrund der Überlieferungslage ebenfalls auf Norditalien und die Toskana. Sie flankiert ihre detaillierte Quellenanalyse mit einigen allgemeinen Bemerkungen zum Regno, ohne näher auf die süditalienischen Quellen eingehen zu können. Auch Gianmarco De Angelis, der das Mehrheitsprinzip in der städtischen Entscheidungsfindung untersucht (27-60), kann quellenbedingt nur recht wenig zu den süditalienischen universitates sagen. Seine fundierten Ausführungen zur Entwicklung verschiedener Beschlussmodi in städtischen Gremien bleiben damit, abgesehen von einigen grundlegenden Überlegungen, auf die nord- und mittelitalienischen Kommunen beschränkt.
Mehr auch zur Situation in Süditalien erfährt man naturgemäß aus den Beiträgen von Nicola Lorenzo Barile (117-138) und Eleni Sakellariou (139-165), die die Handelsbeziehungen zwischen dem Regno und verschiedenen italienischen Kommunen in den Blick nehmen. Während sich in den Quellen Bariles zu den Aktivitäten venezianischer Händler im Königreich Sizilien Abulafias These eines starken Ungleichgewichts zwischen Norden und Süden für den Kreditmarkt eher bestätigen lässt, erlaubt die Überlieferung, die Sakellariou untersucht, einen anderen Blick: Auf der Ebene der Kleinhändler, die in einem begrenzten regionalen Rahmen Waren transportierten, zeigt sich für das 15. Jahrhundert eine hohe Reziprozität im Handel. Einen fast ausschließlichen Fokus auf den Mezzogiorno legt Maria Teresa Dolso, die die Ausbreitung der Franziskaner in Süditalien (89-116) untersucht und damit den reichen Forschungsstand zum Norden der Halbinsel ergänzt: Sie kann anhand eines recht neuen Quellenfundes zeigen, dass sich der Franziskanerorden, mehr aber noch die nicht-institutionalisierte Verehrung des Heiligen aus Assisi, deutlich schneller auch im Regno ausbreitete als bisher angenommen.
Giovanni Araldi schließlich nimmt mit den städtischen Statuten des Jahres 1203 aus Benevent (61-88) eine Stadt in den Blick, die sich der klassischen Zweiteilung Italiens gänzlich entzieht: Geographisch im Regno gelegen und kulturell, wirtschaftlich und sozial eng mit dessen Akteuren verknüpft, gehörte Benevent politisch zur weltlichen Herrschaft der Römischen Kirche und damit eigentlich zu einem dritten Italien, was sich, wie Araldi überzeugend darlegt, auch im Handlungs- und Entwicklungsspielraum der Kommune ausdrückte.
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer historiographischen Zweiteilung der italienischen Halbinsel stellt dann auch Paolo Grillo in seiner Zusammenfassung (233-242): Wolle man politische Einheiten als Kriterium anlegen, müsse man eigentlich von drei italienischen Großregionen sprechen. Große Teile Mittelitaliens gehörten seit dem frühen 13. Jahrhundert zum Patrimonium Petri, einem Herrschaftsgebiet, das trotz vielfacher Verbindungen und Analogien zu den italienischen Teilen des mittelalterlichen Reichs auch durch die päpstliche Politik und die päpstliche Administration geprägt wurde (238-239). In einem zweiten Schritt stellt Grillo dann zur Debatte, ob der dualistische Blick auf Italien nicht grundsätzlich den Blick verstelle auf die vielfältigen lokalen Realitäten, die in einzelnen Bereichen bereits kleinräumig so viele Unterschiede aufwiesen, dass ein Vergleich zwischen Norden und Süden wenig gewinnbringend sei (241-242).
Damit formuliert Paolo Grillo zugleich das große Verdienst des Sammelbandes: Dass in vielen Beiträgen auf einen klassischen komparatistischen Ansatz zugunsten einer tiefgehenden Analyse einzelner Quellenkorpora und lokaler und regionaler Rahmenbedingungen verzichtet wurde, ist nur auf den ersten Blick ein Defizit. Dies zeigt sich insbesondere in den Artikeln zum Thema "Family Relationships", die alle zu ähnlichen Ergebnissen kommen: So gab es überall in Nord- und Mittelitalien die Tendenz, durch Einschränkungen und Verbote der Morgengabe und ähnlicher Praktiken die nicht patrilineare Weitergabe familiären Besitzes zu verhindern, womit Frauen zunehmend aber auch ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit verloren. Im Einzelnen drifteten im Feld der familiären Besitz- und Erbregelungen die lokalen Gesetzgebungen und Praktiken jedoch so weit auseinander, dass man, so Isabelle Chabot, eher von hunderten, denn von zwei Italien sprechen müsse. Ein der neueren Geschichte geschuldetes dualistisches Blockdenken homogenisiert damit möglicherweise Befunde, die auch innerhalb der beiden Großregionen stark abweichen. Allein aufgrund dieser Erkenntnis ist dem Sammelband in seinem Gesamtaufbau eine breite Rezeption zu wünschen. Dass fast alle Artikel, inklusive der Zitate aus der italienischen Forschung, ins Englische übersetzt wurden, ist in dieser Hinsicht sicherlich von Vorteil.
Anmerkung:
[1] David Abulafia: The Two Italies. Economic Relations between the Norman Kingdom of Sicily and the Northern Communes (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought; 9), Cambridge 1977. Italienische Übersetzung: Le due Italie. Relazione economiche fra il regno normanno di Sicilia e i comuni settentrionali, Napoli 1991.
Christina Abel