James T. Chlup / Conor Whately (eds.): Greek and Roman Military Manuals. Genre and History (= Routledge Monographs in Classical Studies), London / New York: Routledge 2020, XI + 295 S., eBook, ISBN 978-0-429-44397-8, GBP 36,99
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Benjamin G. Wright III: The Letter of Aristeas. 'Aristeas to Philocrates' or 'On the Translation of the Law of the Jews', Berlin: De Gruyter 2015
Peter J. Rhodes / Robin Osborne (eds.): Greek Historical Inscriptions, 404-323 BC, Oxford: Oxford University Press 2004
Matthias Steinhart (Hg.): Griechische Inschriften als Zeugnisse der Kulturgeschichte. Griechisch-deutsch, Berlin: De Gruyter 2017
Nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 flüchteten sich der Altphilologe Hermann Köchly (1815-1876) und der Militärhistoriker Wilhelm Rüstow (1821-1878) in die Schweiz, wo sie sich als Kollegen in Zürich begegneten. Eine Frucht ihrer Zusammenarbeit war die Sammlung "Griechische Kriegsschriftsteller". In ihr erschienen 1853 zunächst "Aeneias. Von Vertheidigung der Städte" (Aineias, Aeneas Tacticus) sowie "Heron und Philon. Vom Geschützbau", dann 1853 in zwei Abteilungen die "Taktiker" Asclepiodotus (Asklepiodotos), Aelianus (Ailianos) und "Stücke taktischen Inhalts aus Xenophon und Polybios" sowie schließlich "Des Byzantiner Anonymus Kriegswissenschaft". 1860 folgte noch die Edition des "Strategikos" von Onansandros (Onasander) durch Hermann Köchly. Damit war eine Art Kanon der griechischen "Kriegsschriftsteller" angelegt worden, dessen Wirkungsmacht noch nicht abschließend untersucht worden ist; für die meisten Schriften liegen zudem inzwischen neue kritische Ausgaben vor. Die griechischen Werke jenes Kanons waren gemeinsam mit weiteren und mit ähnlichen lateinischen Werken 2016 Gegenstand einer Tagung an den Universitäten von Manitoba und Winnipeg. Auf diese geht nun die vier Jahre später vorgelegte Publikation zurück.
Nach einer klugen Einführung der beiden Herausgeber bietet Conor Whately eine grundsätzliche Untersuchung zu "military manuals" von Aeneas Tacticus bis Moritz von Oranien (1567-1625), in der die Ursprünge, Erforschung, Gattungsfragen, Leserschaft und Geschichte der Werke analysiert genommen werden. Deren Wert als historische Quelle erörtert sodann Hans Michael Schellenberg in dem programmatisch betitelten Aufsatz "The limited source value of works of military literature". Nadya Williams behandelt unter dem Titel "The blind leading the blind?" die Beziehungen der zivilen Autoren zu ihren Leserschaften in der römischen Welt. In einem eindrucksvollen Kapitel untersucht Nicholas Sekunda "Homeric Taktika". Graham Wrightson geht der Frage nach der "guten" Belagerung anhand der Angaben bei Aeneas Tacticus, Philon und Onasander nach und bezieht sie auf die Belagerung von Rhodos durch Demetrios I. Poliorketes. Über Söldner handelt Aaron L. Beek in dem Kapitel "Mercenaries and moral concerns". Xenophons "Peri Hippikes" betrachtet Lucy Felmingham-Cockburn als "equestrian military manual", seine Kyropädie Jeffrey Rob als "manual on military leadership"; in beiden Beiträgen wird deutlich, wie wenig zielführend die enge Definition einer "Gattung" wäre.
Murray Dahm versucht, aus einer witzigen Bemerkung bei Cicero (Ad familiares 9.15.25) die Existenz eines später verlorenen Werk "Tactica" des Lucius Papirius Paetus plausibel zu machen. James T. Chlup zeigt, wie Frontin in der Behandlung von Cannae die Niederlage als Strategem deutet. Jonathan Warner untersucht Vegetius' "regulae bellorum generales"; den Anhang zur Flotte bei Vegetius betrachtet im Blick auf die Seeschlacht bei Kallipolis am Hellespont 324 n. Chr. sodann Craig H. Caldwell. Die Frage, ob Justinians Kriegführung ein Vorbild für die Byzantiner war, untersucht anhand von zeitgenössischen Militärhandbüchern Clemens Koehn, und Meredith L. D. Riedel behandelt schließlich die "ideological distinctives" der mittelbyzantinischen Militärhandbücher.
Diese Übersicht über den Band zeigt die enorme Spannweite des Gegenstands von Homer bis in die byzantinische, ja in die frühe Neuzeit, und demonstriert, wie eine intensivere Beschäftigung mit den diskutierten Werken deren - freilich eher mittelbaren - Wert als historische Quelle herausstellen kann. Die einzelnen Kapitel des Bandes stehen dabei formal jeweils für sich, mitsamt einer je eigenständigen Bibliografie. Dies verschleiert die Leistung der Herausgeber und Autoren der Einführung James T. Chlup und Conor Whately und der Autorin des - weitere Forschungsfelder aufzeigenden - Epilogs, Immacolata Eramo. Bestimmt nämlich können die von der Tagung und den auf sie zurückgehenden Studien angeregten, über das Konzept der "Kriegsschriftsteller" hinausgehenden Forschungen weitere Erkenntnisse zur literarischen Auseinandersetzung mit dem historischen Phänomen der Kriegsführung erbringen. [1]
Anmerkung:
[1] Da der Verlag kein gedrucktes Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat, bezieht sich die Besprechung auf eine elektronische Fassung, die nur auf einer speziellen WWW-Seite zugänglich ist, allerdings - wie der Rezensent aus einer mit einer eigenen Publikation in demselben Verlag gemachten Erfahrung berichten muss - nicht ordentlich zitierfähig ist und nicht dauerhaft bereitgestellt wird. Interessierte können das gedruckte Buch für den stattlichen Preis von GBP 120,00 kaufen oder als elektronische Version für 6 oder 12 Monate oder länger mieten. Mit dieser Veröffentlichungsform ist dem wissenschaftlichen Diskurs nicht gedient, zumal bei einem Band wie diesem, in dem der Forschung neue Wege aufgezeigt werden.
Kai Brodersen