Rezension über:

Géza Pálffy: Hungary between Two Empires 1526-1711, Bloomington, IN: Indiana University Press 2021, XXXIV + 284 S., 49 s/w-Abb., 15 Kt., 3 Tbl., ISBN 978-0-253-05465-4, USD 39,00
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Rezension von:
Márta Fata
Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Márta Fata: Rezension von: Géza Pálffy: Hungary between Two Empires 1526-1711, Bloomington, IN: Indiana University Press 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 7/8 [15.07.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/07/35855.html


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Géza Pálffy: Hungary between Two Empires 1526-1711

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Die in englischer Sprache vorliegende Monographie von Géza Pálffy ist eine Darstellung der Geschichte Ungarns zwischen 1526 und 1711, die neben den eigenen Forschungsergebnissen des Autors, einem der führenden ungarischen Frühneuzeithistoriker, auch die der internationalen und ungarischen Historiographie der letzten zwei Jahrzehnte präsentiert.

Flankiert wird die "Zeit zwischen zwei Reichen" einerseits durch die militärische Niederlage des Königreichs gegen die Osmanen in der Schlacht bei Mohács im Jahr 1526, andererseits durch den Frieden von Szatmár von 1711: Dieser läutete zwischen den nach staatlicher Unabhängigkeit strebenden aufständischen Ungarn und dem Wiener Hof eine langanhaltende Friedensperiode ein.

Das 16. und 17. Jahrhundert gehören zu den am meisten diskutierten Epochen in der Geschichte Ungarns, ist diese Zeit doch scheinbar voller Widersprüche. Pálffy zeichnet im ersten der beiden Hauptkapitel nach, wie dem ungarischen Königreich die Ressourcen und der Zusammenhalt fehlten, um nach seiner verheerenden Niederlage 1526 ein unabhängiger Staat zu bleiben. Ausgearbeitet wird zugleich, warum sich Ungarn als ein lang umkämpftes Grenzgebiet zwischen zwei miteinander rivalisierenden Reichen gegenüber den Staaten auf der Balkanhalbinsel in einer "glücklichen" Lage befand. Im Schatten des osmanisch-habsburgischen Tauziehens blieb nämlich das - zwischen dem habsburgischen und osmanischen Reich sowie dem mit dem den Osmanen tributpflichtigen Siebenbürgen - dreigeteilte Gebiet in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht weiterhin eng miteinander verflochten. Die sich schnell ausbreitende Reformation konnte zudem eine über die neugezogenen Grenzen hinausreichende gesamtgesellschaftliche Sogwirkung entfalten und gleichzeitig alle drei Teile mit den geistigen Zentren Europas verbinden. Die Jahrhundertwende sollte sich sogar als "goldenes Zeitalter" für die ungarische Kultur bzw. der in Ungarn beheimateten Kulturen erweisen.

Den Tribut für die anhaltenden Feindseligkeiten der beiden Reiche mussten die drei voneinander geteilten ungarischen Gebiete im 17. Jahrhundert bezahlen, wie im zweiten Hauptkapitel ausgeführt wird, als der Lange Türkenkrieg von 1591-1606 eine Periode der Zerstörung in Gang setzte. Die wiederholten Feldzüge der Fürsten von Siebenbürgen gegen die Habsburger im sogenannten königlichen Ungarn, die mit dem Dreißigjährigen Krieg eng verknüpft waren, schlugen in Bürgerkriege um. Sie endeten jedes Mal mit Verwüstungen, abwechselnd verübt durch die türkisch-krimtatarischen, siebenbürgischen, ungarischen und kaiserlich-deutschen Truppen sowohl im königlichen Ungarn als auch in Siebenbürgen selbst. Das Ergebnis waren wirtschaftlicher Ruin und gesellschaftliche Erosion. Siedlungen gingen endgültig unter, und die ethnische Zusammensetzung einzelner Gebiete änderte sich durch Flucht der Einheimischen und die Einwanderung von Fremden grundlegend. Infolge dieser Entwicklung wurden bis dahin bestehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen erschüttert, und auch das kulturelle und geistige Leben erlitt große Verluste.

Pálffy bietet eine komplexe Darstellung der beiden Jahrhunderte, indem er nicht nur den militärischen und politischen Kampf um die Befreiung und die Wiederherstellung der Einheit des Königreichs Ungarn schildert. Das Ergebnis ist eine differenzierte Beschreibung der sich entwickelnden Institutionen, der Infrastruktur, der Wirtschaft, des sozialen Gefüges und der demographischen Entwicklung. Analysiert werden auch die wichtigsten religiös-konfessionellen, sprachlich-literarischen und kulturellen Veränderungen. Dabei räumt der Autor mit alten Deutungen über die beiden Jahrhunderte auf. So lehnt er es ab, die Zeit zwischen 1526 und 1711 als "osmanische Periode" oder als die erste Periode der "habsburgischen Herrschaft" in Ungarn zu definieren; noch weniger ist er der Ansicht, sie als die Zeit zwischen "zwei Heiden" zu bezeichnen, wie es in der ungarischen Geschichtsschreibung lange üblich war. Pálffy weist auch die Interpretation zurück, wonach die militärischen Feldzüge der siebenbürgischen Fürsten oder die Aufstände im 17. Jahrhundert ausschließlich als nationale Unabhängigkeits- oder Einheitsbewegungen zu betrachten seien. Er stellt auch in Frage, dass die Errungenschaften der ungarischen Kultur nur von Siebenbürgen aus und durch den Protestantismus initiiert bzw. angestoßen worden seien. Anhand der Ergebnisse seiner sowie der neueren internationalen Forschung stellt Pálffy hingegen fest, dass die Vertreibung der Osmanen und die Wiederherstellung des Königreichs Ungarn nur mit finanzieller und militärischer Hilfe der Habsburger möglich waren. Nach den langen Versuchen der ungarischen und siebenbürgischen politischen Eliten, einen Ausweg aus der nationalen Katastrophe zu finden, war dies nur im Rahmen der Habsburgermonarchie möglich, auch wenn Siebenbürgen von Ungarn getrennt blieb und das Königreich Ungarn seine volle Souveränität für anderthalb Jahrhunderte einbüßte.

Der Leser hält mit dem Buch eine kritische, von nationalen Betrachtungen befreite Darstellung in der Hand. Anzumerken ist nur, dass in diesem großartigen Panorama die alteingesessenen andersethnischen Gruppen und die im 16. und 17. Jahrhundert massenweise einwandernden Fremden wenig Beachtung erfahren. Geschuldet ist dieser Mangel sicherlich nicht nur dem knappen Umfang des Bandes mit 240 Seiten, sondern auch den bislang weitgehend fehlenden Synthesen von neuen Forschungsergebnissen zu den ethnisch-sprachlichen Gruppen im frühneuzeitlichen Ungarn.

Der Band richtet sich sowohl an Historiker und Studierende, die sich für die Geschichte Ostmitteleuropas interessieren, als auch an eine breite Öffentlichkeit, die ihre eigene, durch Verklärungen oder vortheoretische Annahmen verstellte und auf Westeuropa fokussierte Brille ablegen wollen. Hilfreich sind dabei auch die sorgfältig ausgewählten rund 50 Abbildungen, mehr als ein Dutzend Karten, eine ausgewählte internationale Bibliographie von fast einem halben tausend Titeln, eine historische Chronologie, ein Glossar sowie eine Liste von Herrschern und Würdenträgern.

Es ist zu hoffen, dass das Buch zu einem besseren Verständnis der frühneuzeitlichen Geschichte Ungarns auch in Deutschland beitragen wird.

Márta Fata