Peter Van Nuffelen / Lieve Van Hoof: Clavis Historicorum Antiquitatis Posterioris. An Inventory of Late Antique Historiography (A.D. 300-800) (= Corpus Christianorum. Claves - Subsidia; 5), Turnhout: Brepols 2020, CXVI + 1079 S., ISBN 978-2-503-55295-8, EUR 295,00
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Philippe Blaudeau / Peter Van Nuffelen: L'historiographie tardo-antique et la transmission des savoirs, Berlin: De Gruyter 2015
Peter Gemeinhardt / Lieve Van Hoof / Peter Van Nuffelen (eds.): Education and Religion in Late Antique Christianity. Reflections, Social Contexts and Genres, London / New York: Routledge 2016
Lieve Van Hoof / Peter Van Nuffelen (eds.): Literature and Society in the Fourth Century AD. Performing Paideia, Constructing the Present, Presenting the Self, Leiden / Boston: Brill 2014
Die Clavis Historicorum Antiquitatis Posterioris (CHAP) ist das Ergebnis der Projektarbeit eines 12-köpfigen Teams unter der Leitung von Peter Van Nuffelen und Lieve Van Hoof. Sie enthält nach einer Einleitung mit ausführlicher Bibliographie (XI-CXV) ein Verzeichnis der bezeugten spätantiken Geschichtswerke in griechischer, lateinischer, syrischer, armenischer, koptischer, hebräischer, mittelpersischer, arabischer und georgischer Sprache (3-745), die zwischen 300 und 800 entstanden sind. Von den aufgeführten 733 Werken können 502 einem Autor zugewiesen werden, während die restlichen anonyme Verfasser haben bzw. nur erschlossen sind. Dieses Verzeichnis ist auch online zugänglich und durchsuchbar (https://www.late-antique-historiography.ugent.be/database/). In der Druckfassung folgen umfangreiche Indizes der Autoren und der Titel (749-1008), die jeweils nach Namen, Sprache, Genre, Jahrhundert etc. geordnet werden; ein nach den Aufbewahrungsorten gegliedertes Verzeichnis der zitierten Manuskripte schließt das Werk ab (1009-1076).
Nach einigen äußerst kurzen Erläuterungen über die Gestaltung der einzelnen Lemmata (XII-XVI) ist der Rest der Einleitung der Definition der verschiedenen Genera und Untergenera gewidmet. Den Begriff ἱϭτορία (historia) als rein "rhetorical concept" (XX) zu deuten, wird aber weder dem Begriff der ionischen ἱϭτορίη noch den Reflexionen besonders in dem (von CHAP nicht zitierten) 9. Kapitel von Aristoteles' Poetik gerecht.
Es ist zu begrüßen, dass die Herausgeber bei der Definition der verschiedenen zur Geschichtsschreibung gehörenden Gattungen eine "emic perspective" (XVI) einzunehmen versuchen. Doch reichen die von der spätantiken historiographischen Reflexion gelieferten Gattungsbegriffe wie historia oder chronica nicht einmal für eine grobe Einteilung in die vier Hauptgattungen Profan-, Kirchengeschichte, biblische Heilsgeschichte ("sacred history") und Chroniken aus. Noch viel mehr gilt dies für die jeweiligen Untergattungen, die teils auf der Grundlage formaler bzw. stilistischer (so die Breviarien), teils inhaltlicher (so antiquarische und lokalgeschichtliche Werke) Kriterien erfolgen. Richtig ist die Ablehnung moderner Kategorien wie faktual oder fiktional, um die Geschichtsschreibung von anderen narrativen Genres abzugrenzen. Dasselbe gilt für den schwammigen Begriff der sogenannten klassizistischen Geschichtsschreibung, da auch in der Spätantike die sprachliche und gedankliche Gestaltung des Stoffes sich mehr oder minder nach klassischen Vorbildern richtete (XXVIII-XXXIII). An dieser Stelle hätte die Einführung des Konzepts der Intertextualität anstelle von "literary mimēsis" (XXXIII) den an sich nachvollziehbaren Gedankengang deutlicher machen können.
Ausgewogen ist die Diskussion der verschiedenen zu den Chroniken gehörenden Gattungen, die sich zwar auf die Ergebnisse anderer Gelehrter stützt [1], aber bei der Definition der Untergattungen eigene Akzente setzt. Die Entscheidung, auch Werke anderer Genres (wie Biographie, geographische Literatur und fiktionale Erzählungen), die sich mit historischen Themen befassen, zu berücksichtigen, ist richtig.
Das Verzeichnis selbst enthält für jedes Lemma zunächst, sofern bekannt, die Angabe des Autors, der Religionszugehörigkeit und sozialen Stellung; es folgen Titel des Werks, Gattung, Sprache, Erhaltungszustand, Entstehungsdatum und -ort, Umfang, der vom Werk abgedeckte Zeitraum, Quellen und Benutzer. [2] Alle nicht lateinischen Autoren und Werke werden in Originalsprache und Transliteration wiedergegeben. [3]
Meistens folgen in den "remarks" kurze und präzise Angaben zu wichtigen Forschungsfragen, die relevante Diskussionen zusammenfassen (ausgewogen und konzis etwa bei Johannes Lydus hinsichtlich der Datierung (255), etwas zu kurz bei Philagrios (378), der vielleicht eine Quelle der Historiker Julians gewesen ist). Die Auskunft über die Manuskripte, eine oft bis 2018 aktualisierte Bibliographie der relevanten Editionen und Forschungsliteratur [4] schließen das Lemma jeweils ab.
Hinsichtlich des Erhaltungszustandes gilt für CHAP auch ein Autor bzw. ein Werk, von dem nur Testimonien, aber keine Werkfragmente erhalten sind, als fragmentarisch. Dies hätte man durch eine Sigle T anzeigen können. So ist etwa auf der Grundlage eines einzigen Testimoniums bei Macrob (Sat. 5,19,13), dessen Deutung unklar ist, gar nicht sicher, dass Carminius (Nr. 82 [84-86]) Verfasser eines antiquarischen Werks De Italia war. Ebenso ist bei Priskos der von der Suda angegebene Titel problematisch, was im Lemma (397f.) aber nicht mitgeteilt wird. [5] In solchen Fällen wäre z.B. ein Fragezeichen vor dem Titel bzw. dem Genre hilfreich gewesen. Dasselbe gilt auch für möglicherweise fiktive Quellen des Malalas wie die sonst völlig unbekannten Domninus (Nr. 82 [84-86]) oder Nestorianus (Nr. 317 [325f.]). Zu Recht sind die fiktiven Autoren der Historia Augusta von CHAP nicht als eigenständige Lemmata aufgenommen worden. [6] Hypothetische Quellenwerke wie die Enmannsche Kaisergeschichte oder die Chronographia Scaligeriana werden nur dann berücksichtigt, wenn sie von den meisten Gelehrten akzeptiert werden. Daher bekommt die sogenannte Leoquelle, die zwar mehrmals erwähnt wird (etwa bei Nicomachus Flavianus (332) oder Petros Patrikios [372]), kein eigenes Lemma.
Zum schnelleren Auffinden eines Werks durch den Leser wären im Verzeichnis Verweise nützlich gewesen, etwa von (fiktiven Autoren wie) Aelius Lampridius auf die Historia Augusta, aber auch von Malalas auf John Malalas oder von Rufius Festus auf Festus.
Insgesamt ist CHAP ein monumentales und sehr informatives Kompendium, das sich trotz einiger hier besprochener Probleme, die vor allem als Anregungen dienen mögen, durch große Sorgfalt auszeichnet und wenige Druckfehler enthält. [6] Dieses Standardwerk wird über die Fachgrenzen der Altertumswissenschaften hinaus für alle, die sich mit der spätantiken und frühmittelalterlichen Geschichtsschreibung beschäftigen, von großem Nutzen sein.
Anmerkungen:
[1] R. W. Burgess / M. Kulikowski: Mosaics of Time. The Latin Chronicle Traditions from the First Century B. C. to the Sixth Century A. D., Turnhout 2013.
[2] Nicht immer besteht jedoch eine Korrespondenz zwischen den Quellen und den Benutzern eines Werks: So erscheint Malalas zwar als Quelle des Chronicon Paschale, hingegen fehlt im Lemma Malalas das Chronicon Paschale unter den Benutzern.
[3] Beim Syrischen stützt sich CHAP auf ein nirgends erklärtes, hybrides System von Transliteration und Transkription. Die Vokalisierung erfolgt nach dem Ostsyrischen, aber weder die Gemination (etwa ḥakīmā [29] bzw. ḥakhīmā [124] statt ḥakkīmā) noch die Spirantisierung einzelner Konsonanten wird angegeben (eine Ausnahmen bildet das Wort zaḇnē [XXXIII, Anm. 52]).
[4] Bei Festus vermisst man die ausführlich kommentierte Edition von M. L. Fele: Il breviarium di Rufio Festo, Berlin 2009.
[5] Vgl. z.B. R. Blockley: The Development of Greek Historiography: Priscus, Malchus, Candidus, in: Greek and Roman Historiography in Late Antiquity. Fourth to Sixth Century A. D., hg. von G. Marasco, Leiden 2003, 289-315.
[6] Dazu etwa W. T. Treadgold: The Byzantine World Histories of John Malalas and Eustathius of Epiphania, The International History Review 29 (2007), 709-745.
[7] Druckfehler sind etwa Poprhyry statt Porphyry (XXXIX Anm. 132); Nisibus statt Nisibis (XLVI); Ginzberg statt Ginzburg (LXXI, Anm. 271); ῤωμιακή statt ῥωμαική (212); der Redensatz des Thukydides steht 1,22,1 und nicht 1,21 (LXX, Anm. 268).
Carlo Scardino