Martin Scheutz / Alfred Stefan Weiss: Das Spital in der Frühen Neuzeit. Eine Spitallandschaft in Zentraleuropa (= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband; 64), Wien: Böhlau 2020, 725 S., 36 Tbl., 138 Farbabb., ISBN 978-3-205-20945-4, EUR 100,00
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Die Geschichte des Hospitals, das vor allem in Süddeutschland, der Schweiz und in Österreich kurz 'Spital' genannt wird, gehört keineswegs zu den unbearbeiteten Forschungsfeldern. Schon im Jahr 2000 konnte Axel Hof eine Bibliografie von über 600 Seiten vorlegen. [1] Seitdem hat die Fülle der Publikationen zum Thema eher noch zugenommen. Neben den meist gut erhaltenen Hospitalarchiven, die inzwischen auch digital recherchierbar sind, sind es vor allem sozial- und neuerdings auch medizingeschichtliche Fragestellungen, welche das Hospital über die Lokal-, Rechts- und Baugeschichte hinaus in neuer Weise in den Fokus der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung rücken. Keineswegs geht es dabei nur um Armutsgeschichte, vielmehr spiegelt das Hospital durch Angebote zur Alters-, Waisen- und Krankenversorgung (auch für Bemittelte) sowie als Herberge für Reisende und als Geburtsklinik eine breite Nachfrage nach entsprechenden Leistungen. Während Monografien zu einzelnen Hospitälern (und ihren Jubiläen) eine längere Tradition besitzen, sind vergleichende Studien mit systematischen Fragestellungen, Arbeiten zu einer Region und nicht zuletzt länderübergreifende Betrachtungen noch selten. Kolleginnen und Kollegen aus Österreich leisten (neben dem Archiv des St. Katharinenstiftung in Regensburg) für dieses erweiterte Betrachtungsfeld bereits seit rund zwanzig Jahren Pionierarbeit, indem sie immer wieder zu äußerst anregenden Tagungen einladen und Tagungsbände von hervorragender Qualität veröffentlichen. Verwiesen sei insbesondere auf den Band "Europäisches Spitalwesen" von 2008. [2] Für die Frühe Neuzeit traten dabei immer wieder besonders Martin Scheutz (Universität Wien) und Alfred Stefan Weiß (Universität Salzburg) mit thematischen Beiträgen und umfangreichen Quelleneditionen hervor. Beide haben nun gemeinsam ein wahres 'opus magnum' vorgelegt, einen in vielerlei Hinsicht schwergewichtigen Band.
Thema sind die (exemplarisch näher untersuchten) Hospitäler im Bereich des heutigen Bundeslandes Österreich. Ob sie auch im engeren Sinne eine 'Spitallandschaft' bildeten, darf als Fragestellung verstanden werden. Der Hinweis auf 'Zentraleuropa' im Buchtitel erscheint insbesondere angesichts der Nähe zu Osteuropa, zum Osmanischen Reich und der Mittelmeerregion für Überlegungen zur Besonderheit dieser 'Landschaft' interessant. In diesem Band werden allerdings vor allem Verbindungen zu Süddeutschland und zur Schweiz gezogen. Das Umschlagbild aus dem Jahre 1620 mit einem gelähmten Tischler, der nur noch ein Skelett ist, wirkt düster, es verweist auf die Individualität und das Leid der im Hospital versorgten Männer, Frauen und Kinder.
Inhaltlich beginnt der Band mit einem Forschungsüberblick, der das methodische Herangehen diskutiert und Desiderata (zum Beispiel die Geschlechtergeschichte) als Herausforderung 'künftiger Spitalforschung' formuliert. Auch die Hinweise für Archivbesuche dürften für jüngere Historiker/innen sehr hilfreich sein.
Der zweite Teil versucht eine Typologie, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein reicht und benennt Bürgerspitäler als den Regelfall, daneben Leprosorien und Bruderhäuser für Dienstboten und Handwerksgesellen. Eine Besonderheit Österreichs bildeten zweifellos die Hofspitäler, die Kaiser Maximilian 1519 in seinem Testament stiftete, und von denen bis 1555 neun realisiert wurden, davon das wichtigste erwartungsgemäß in Wien. Diese herrschaftlichen Häuser waren gut ausgestattet und dürften zugleich Vorbild für Hospitalstiftungen des Adels gewesen sein. Der Hinweis auf derartige 'Grundherrschaftsspitäler', die nicht zuletzt der Memoria der Stifter dienten, ist besonders interessant, da über sie auch außerhalb Österreichs wenig bekannt ist. Dass 'Pestspitäler' keineswegs nur der (ausgrenzenden) Krisenbewältigung dienten, sondern bereits eine Akutbehandlung boten, zeigt ein weiterer Abschnitt. Auf eine frühe Krankenbehandlung verweisen ebenso Lazarette. Auch Waisenhäuser waren Hospitäler, was entgegen dem historischen Verständnis gerne übersehen wird. Sie sind in diesem Band in die Darstellung eingebunden. Die mit Manufakturen verbundenen Theresianischen Gründungen erwarteten von den Kindern maximale Arbeitsleistung, was allerdings weder karitativ noch besonders pädagogisch war. Neben der Ökonomie ist auch die Medikalisierung im 18. Jahrhundert deutlich erkennbar. Seit dem 17. Jahrhundert leisteten die Krankenhäuser der Barmherzigen Brüder therapeutische Pionierarbeit. Beim St. Johanns-Spital in Salzburg, das näher vorgestellt wird, sind bereits seit 1700 protoklinische Ansätze deutlich. Schließlich wandelte sich an der Wende zur Moderne auch die allgemeine Armenversorgung durch die Zentralisierung in großen Versorgungshäusern, dies insbesondere in Wien und Umgebung.
Der dritte Teil des Bandes ist der Leitungsebene mit dem Spitalmeister (weniger mit der in vielerlei Hinsicht ebenfalls nicht unwichtigen Spitalmeisterin) gewidmet. Das 'Spitzenamt bürgerlicher Verwaltung' konnte den Höhepunkt einer Karriere bedeuten, war allerdings nicht immer beliebt, wohl weil man zwischen allen Stühlen (städtischer Rat und Insassen) saß. Die Organisation des Hospitals (mit Wirtschaftsbetrieben, Küche, Pflege und Seelsorge sowie Krankenbehandlung und Geburtshilfe) wird im vierten Teil ausführlich auf der Basis normativer Texte vorgestellt, welche in der entsprechenden Edition nachgelesen werden können. [3] Zentral für den Betrieb der Hospitäler waren Hausordnungen, welche relative Ruhe, das vorgeschriebene Gebetsregime, Fleiß sowie möglichst hohe Sauberkeit garantieren sollten; die verhängten Strafen verweisen allerdings auf die Grenzen jeder Disziplin. Obwohl die für Institutionen, besonders aber für Kranke bedeutsame Ernährung (Teil 6) allgemein besser war als das Armenbrot, konnten die Insassen auch schon einmal 'schlechter als ein Hund' (454) verpflegt werden. Der siebte Teil 'Normabweichung als Praxis' verweist auf die Handlungsspielräume innerhalb des Hauses und dokumentierte 'Exzesse' (Sex, Blasphemie, Querulantentum), die bislang noch selten in solcher Breite thematisiert wurden. Der achte Teil geht auf die Spitalwirtschaft und deren umfangreiche Rechungsführung ein - ein Aspekt, ohne den Caritas nicht denkbar ist. Im neunten Teil wird speziell nach der Medizin im Hospital gefragt, die (mit Diätetik, Wundarznei, Apotheke und Badehaus) eine weit größere Rolle als erwartet spielte. Dem Resümee folgt schließlich ein umfangreicher Anhang mit der Chronik der Hospitalgründungen, Personen- und Ortsregister sowie umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnissen. Viele, zum Teil ausführlich erläuterte Fotos und Illustrationen fordern dazu auf, sich auch dem Haus bzw. der Anlage 'Spital' mit Garten und Wirtschaftsgebäuden mit neuem Blick zu nähern.
Die Autoren sind zu dieser großartigen Studie, die thematisch weit über die Landesgrenzen hinausweist, zu beglückwünschen!
Anmerkungen:
[1] Axel Hof: Der soziale Ort der Gesundheit. Topographische Bibliographie zur Sozialgeschichte des Fürsorge-, Hospital-, Medizinal- und Wohlfahrtswesens (= Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens, Schriftenreihe des Archivs des St. Katharinenspitals Regensburg; Bd. 4), Regensburg 2000.
[2] Martin Scheutz [u.a.] (Hg.): Europäisches Spitalwesen. Institutionelle Fürsorge in Mittelalter und Früher Neuzeit / Hospitals and Institutional Care in Medieval and Early Modern Europe (= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Ergänzungsband; 51), Wien / München 2008.
[3] Martin Scheutz / Alfred Stefan Weiß: Spital als Lebensform. Österreichische Spitalordnungen der Neuzeit, 2 Bde. (= Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 15/1-2), Wien / Köln / Weimar 2015.
Christina Vanja