Anja Laukötter: Sex - richtig! Körperpolitik und Gefühlserziehung im Kino des 20. Jahrhunderts, Göttingen: Wallstein 2021, 544 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3898-2, EUR 46,00
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Sex - richtig! ist ein faszinierendes Buch. Es liefert nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Sexualität und des Körpers in Deutschland vom Ersten Weltkrieg bis in die 1980er Jahre hinein, sondern auch zur boomenden Emotionsgeschichte, zur Filmgeschichte und zur Geschichte visueller Kulturen. Gekonnt verknüpft Laukötter diese Forschungsfelder produktiv miteinander und verankert ihre Analyse methodisch im Kontext des um die Dimension der Rezeptionskultur erweiterten Konzepts des Kino- und Filmdispositivs.
Zentrales Anliegen ist es, die sexuellen und emotionalen Skripte ausgewählter Aufklärungsfilme herauszuarbeiten (einige der Filme sind in einer Datenbank zugänglich [1]). Laukötter begreift diese Skripte "als Instrumente für das performative Einüben von Emotionen" (15), die wesentlich waren für das körperliche Selbst des modernen Subjekts. Es geht ihr mithin um die Wechselverhältnisse von (sexuellem) Wissen und Emotionen. Sie schlägt vor, dass wir statt von einer Wissens- von einer "Emotionsgesellschaft" (37) sprechen sollten.
Die Autorin zeigt zudem, wie Diskurse über Aufklärungsfilme und ihre Infrastrukturen in Deutschland im Sinne einer sich im 20. Jahrhundert konstituierenden "globalen Mediengesellschaft" (36) international vernetzt waren und die "Grenzen des Zeigbaren" neu definierten. Als Vergleichsbeispiele zieht sie französische und amerikanische Filmproduktionen heran. Im Gegensatz zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lasse sich der Einfluss der internationalen Vernetzung in der Bundesrepublik und der DDR jedoch kaum noch nachweisen.
Sex - richtig! ist entlang der politischen Systeme chronologisch organisiert. Laukötter will so die Funktion und den Status von Aufklärungsfilmen in Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Bundesrepublik und dem Staatssozialismus der DDR verdeutlichen. Allerdings birgt so eine pragmatische Gliederung die Gefahr, wichtige (auch personelle) Kontinuitäten zu überdecken. Auch wenn Laukötter einige der Kontinuitäten hervorhebt, erscheinen mir diese doch stärker zu sein, besonders vom Nationalsozialismus in die westdeutsche Nachkriegszeit.
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg (Kapitel 1) entdeckten Gesundheitserzieher in Deutschland, Frankreich und den USA den Film als Medium für die Aufklärung über Geschlechtskrankheiten. Ihre Filme arbeiteten mit dem Prinzip der Abschreckung durch Angst. Sie machten unsittliches Verhalten und den Verfall der Sexualmoral für die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten verantwortlich. Die neu entstandene soziologische und psychologische Zuschauerforschung betonte den "erzieherischen Wert von Lehrfilmen" (99), äußerte aber bereits Bedenken gegen das Abschreckungsprinzip.
Die für das 20. Jahrhundert richtungsweisenden hybriden Aufklärungsfilme der Weimarer Republik (Kapitel 2) verknüpften dramatische Spielhandlungen mit dokumentierenden Sequenzen (Einblendungen von Statistiken, Bildern von Moulagen, mikroskopischen Aufnahmen, Trickbildern etc.). Sie wurden oft von medizinischen Vorträgen begleitet und etablierten sich als fester Bestandteil der Gesundheitspolitik. Einige Filme waren so wirkmächtig, dass sie starke emotionale Reaktionen hervorriefen und die Filmzensur einschritt. Die hybriden Aufklärungsfilme veränderten das Kino von "einem Ort der Zerstreuung und Lust" (151) zu einem der Belehrung, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und den USA.
Im Nationalsozialismus (Kapitel 3) wurden Aufklärungsfilme nicht mehr für die allgemeine Öffentlichkeit, sondern für die Wehrmacht zur Belehrung von Soldaten produziert. Das Repertoire der die Weimarer Republik dominierenden Emotionen Angst, Scham und Ekel wurde jetzt von positiven Emotionen ersetzt. Aufklärungsfilme, auch solche über Geschlechtskrankheiten, sollten nunmehr an Kameradschaftsgefühle appellieren. Die in sich widersprüchliche Sexualmoral des Nationalsozialismus ordnete dabei moralische Fragen bio-rassistischen Zielen unter.
Die während der alliierten Besatzungszeit in Deutschland (Kapitel 4) in allen Zonen gezeigten Aufklärungsfilme über Geschlechtskrankheiten waren das zentrale Medium der Gesundheitspolitik. Im Kontext des emotionalen Klimas dieser Jahre, das Laukötter als eines der "Scham und Schuld" (255) charakterisiert, müssen neben den sogenannten atrocity-Filmen auch die Aufklärungsfilme verstanden werden. An die Aufführungspraxis der Weimarer Republik anknüpfend wurden die Filme nun wieder von Vorträgen begleitet.
Die zunehmende Vermarktung der Sexualität in der Bundesrepublik (Kapitel 5) bewirkte auch eine Neubewertung des Emotionalen. Aufklärungsfilme lieferten zunehmend Anleitungen zur (sexuellen) Selbstführung sowie Techniken zur "eigenen Verhaltensprävention" (293) und betonten das Gespräch als demokratische Kulturtechnik. Die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verbreiteten Materialien und Filme zur Sexualerziehung dokumentieren diese Verschiebung zur Erziehung zur "Eigenverantwortung" und zu einer positiven Darstellung von Sexualität gegen Ende der 1970er Jahre.
Diese Entwicklung fand jedoch 1982 im Zuge von Helmut Kohls "geistig-moralischer Wende" ihr Ende. Dies führte zu Konflikten, da die offizielle AIDS-Aufklärung erneut mit einer "Mobilisierung von Ängsten und Bedrohungsszenarien [und] Strategien zur Diskriminierung" (362) arbeitete. Sexuelle Themen spielten nun auch in kommerziellen Filmen eine wachsende Rolle. Laukötter veranschaulicht dies anhand einer ausführlichen Analyse des (auch international) erfolgreichen Aufklärungsfilms Helga (1967) und von Oswalt Kolles Sexfilmen der 1970er Jahre.
Die DDR-Aufklärungsfilme (Kapitel 6) müssen als "Gefühlserziehung" (388) im Kontext der Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit gesehen werden. Das DDR-Kino stand damit im Zwiespalt sozialistischer Erziehungsstrategie und "wichtige[r] Freizeitpraxis der DDR-Bürger" (372). Während Geschlechtskrankheiten durch staatliche und medizinische Zwangsmaßnahmen kontrolliert wurden, waren sie jedoch in der Gesundheitserziehung bis zum Beginn der 1980er Jahre kein Thema. Und obgleich die Sexualerziehung ein wichtiges jugendpolitisches Thema war, schwiegen DDR-Aufklärungsfilme der 1960er Jahre zu entscheidenden Fragen sexuellen Wissens (zum Beispiel Kontrazeption).
Laukötter äußert Zweifel an der in der Historiographie betonten "liberalen" Phase in der Sexualerziehung und betont dagegen, dass Sexualerziehung ein Politikum war. Die im Zuge des "Kahlschlagplenums" von 1965 erfolgte Neuorientierung der Sexualerziehung führte dazu, dass bis Anfang der 1980er Jahre keine neuen Aufklärungsfilme mehr produziert wurden. Meines Erachtens übersieht sie allerdings Entwicklungen in der Sexualerziehung außerhalb des Filmsektors. Das 1972 gelockerte Abtreibungsrecht ermöglichte Mädchen ab 16 Jahren Zugang zur Pille. Ostdeutsche Sexualerzieher forderten in den 1970er Jahren, Jugendliche in der Schule über Kontrazeptiva aufzuklären, und nahmen sich des Themas in Texten zur Sexualaufklärung an.
Sex - richtig! ist ein gewichtiger Beitrag, den Historikerinnen und Historiker, die sich für die Geschichte der Sexualität und Emotionen interessieren, nicht ignorieren können. Laukötter analysiert nicht nur exemplarische Filme und deren Infrastruktur im Detail, sondern ordnet die Diskurse über Aufklärungsfilme historisch in einen breiten soziokulturellen und politischen Kontext ein. Ihr gelingt damit eine exemplarische Studie, die auf einer äußerst breiten Quellenlage basiert (das Quellenverzeichnis umfasst über 30 Seiten). Sex - richtig! wird eine Referenzarbeit zur Geschichte des Aufklärungsfilms in Deutschland werden.
Anmerkung:
[1] Filmmaterial zu Sex - richtig!, Medfilm, 01.04.2021; https://medfilm.unistra.fr/wiki/Sex_richtig [04.10.2021].
Lutz Sauerteig