Lothar Machtan: Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck, Berlin: Duncker & Humblot 2021, 300 S., 34 Ill., ISBN 978-3-428-18394-4 , EUR 29,90
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Stephan Malinowski: Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration, Berlin / München: Propyläen 2021, 752 S., ISBN 978-3-549-10029-5, EUR 35,00
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Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, 3., durchges. Aufl., Berlin: Akademie Verlag 2003
Lothar Machtan: Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin / München: Propyläen 2008
Es ist das Buchduell des Jahres: Zwei Historiker legen ihre Forschungsergebnisse über den Ex-Kronprinzen Wilhelm vor. Lothar Machtans Der Kronprinz und die Nazis wurde von Georg Friedrich Prinz von Preußen finanziert. Stephan Malinowskis Die Hohenzollern und die Nazis hingegen durchlief das Lektorat eines Rechtsanwalts, um potentielle juristische Angriffe zu erschweren.
Die "Geburtshelfer" der beiden Werke kommen also aus zwei verschiedenen Welten, und auch die Bücher weisen, neben einigen Gemeinsamkeiten, viele Unterschiede auf. Schon die Buchumschläge geben uns einen ersten Hinweis darauf. Lothar Machtans farbenfrohes Cover zeigt den Kronprinzen als Luftikus in Uniform, in der Hand lässig eine Zigarette haltend. Die Hakenkreuzbinde an seinem Arm ist kaum erkennbar, im Bildhintergrund lachen ein paar fidele Matronen. Auf Malinowskis schwarz-weißem Cover hingegen lacht keiner. Hier sieht man Wilhelm bei der Abnahme einer SA-Parade 1933. Er ist im Zentrum des Geschehens, seine Uniform mit Hakenkreuzbinde frisch gebügelt, der Blick entschlossen. Was bei Machtan nur die verrutschte Armbinde eines Filous ist, wird auf Malinowskis Cover also zentral. Diese unterschiedlichen Bilder spiegeln sich auch in den Büchern der beiden Autoren wider. Für Machtan ist "Wilhelm Kronprinz" ein Soloentertainer, der auf mehreren Hochzeiten tänzelte, während er bei Stephan Malinowski Gruppentänze bevorzugte. Der in Edinburgh lehrende Historiker behandelt darüber hinaus eine lange Zeitspanne von fast 100 Jahren. Ihn interessiert die gesamte Familie Hohenzollern und das feinmaschige Gewebe ihres sozialen und politischen Umfelds. Lothar Machtans Blick hingegen ist sehr viel enger. Ursprünglich hatte er Anfang 2019 geplant, eine Drehbuchfortsetzung seines Films Kaisersturz zu schreiben. [1] Im Mittelpunkt sollte nicht mehr Wilhelms II. Abdankung stehen, sondern eine andere "Schicksalswende" der Hohenzollerndynastie, das Jahr 1932/33. Als die Filmfinanzierung scheiterte, änderten sich Machtans Pläne. Der "Drehbuchblick" blieb ihm jedoch erhalten, der größte Teil seines 300 Seiten langen Textes bezieht sich auf den kurzen Zeitraum zwischen den Vorbereitungen auf die Reichspräsidentenwahlen 1932 und der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933. Der Kronprinz wird durch diese Verkürzung zu einem Mann ohne Vergangenheit. Auch seine Aktivitäten nach 1935 werden nur noch kursorisch abgehandelt.
Malinowski hingegen glaubt an die Wichtigkeit des Vor- und Nachspiels. Sein Kronprinz ist ein Mann, der schon vor dem Ersten Weltkrieg Kontakte zur radikalen Rechten pflegte, was sein Handeln in der Zwischenkriegszeit erst verständlich macht. Der lange Blick ermöglicht Malinowski, auch in Kapitel 5 die Serie von "Unterwerfungsgesten und Versuchen der Besitzsicherung" von Seiten der Hohenzollern nach 1934 detailreich zu belegen.
Dieser Aspekt interessiert Machtan nicht. Er möchte beschreiben, wie "der reißende Strom der Zeit den Kronprinzen mitgezogen hat" (9). Diese Fragestellung deutet bereits eine passive Rolle Wilhelms an. Interessanterweise haben auch die Schwester und ein Sohn des Kronprinzen dieses Bismarckzitat ("Der Mensch kann den Strom der Zeit nicht schaffen und nicht lenken, sondern nur auf ihm fahren und steuern") für ihre Rechtfertigungsbücher nach 1945 benutzt. Mit ihren Memoiren Im Strom der Zeit segelte die Hohenzollernprinzessin und ehemalige Ribbentrophelferin Viktoria Luise 1974 in die deutschen Bestsellerlisten. Fast zehn Jahre später begab sich der Sohn des Kronprinzen Louis Ferdinand mit seinen geschönten Erinnerungen Im Strom der Geschichte ebenfalls in dunkle Gewässer. [2]
Um den Weg des Kronprinzen durch die vielen Stromschnellen der historischen Zeitläufte genauer zu untersuchen, kündigt Machtan an, auf Rankes Spuren zu wandeln. Er will die Quellen sprechen und damit die Subjektivität seiner Autorenposition zurücktreten lassen (eine erstrebenswerte, aber, wie wir wissen, leider unerreichbare Ambition). Eine Nähe zu Quellen (Machtan nennt sie "Ego-Dokumente") ist zwar durchaus erstrebenswert, aber in seinem Fall führt es dazu, dass Kontext und Analyse zu kurz kommen: Da wird ein Brief geschrieben, dann wird er abgeschickt, dann gibt es ein Treffen, dann ein Gegentreffen, und schließlich werden obskure Leute zitiert, die aus dritter Hand gehört haben, dass es so oder vielleicht auch ganz anders gewesen ist.
Machtans Zugang zum Hausarchiv hat ihm jedoch einen interessanten Fund ermöglicht: die Briefe von Kronprinzessin Cecilie. Sie zeigen, was sich bereits aus anderen Nachlässen andeutete, wie politisch ambitioniert die Kronprinzessin war und wie intensiv sie mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitete. Im April 1932 schrieb sie an ihren Sohn Louis Ferdinand: "Ich glaube ja nun einmal, dass die Auffassung der Nazis in reinster Fassung unsere Rettung und Zukunft bedeutet." (104) Machtan erwähnt im Folgenden jedoch nicht, was Malinowski uns in seinem Buch erklärt: dass der Adressat Louis Ferdinand die Einstellung der Mutter teilte, die NSDAP wählte und in Amerika Reklame für sie machte.
Trotz einiger interessanter Quellen hat Machtan die "smoking gun" - wie er es bei seiner Buchpräsentation im August 2021 ausdrückte - im Hausarchiv indes nicht gefunden. Stephan Malinowski hingegen war sehr viel kreativer. Er nutzte viele internationale Archive und erhielt Zugang zu John C. G. Röhls großem Vorlass, der Material aus 185 Nachlässen enthält. Malinowski verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung von Röhls großer Biographie Wilhelms II. und versteckt auch die Arbeiten seiner Kollegen nicht in den Anmerkungen. [3] Dies unterscheidet ihn von Machtan, dessen Buch überraschenderweise kein Quellen- und Literaturverzeichnis hat. Ein Grund hierfür könnte sein, dass Machtan die Ansicht vertritt, sich als erster mit dem Kronprinzen-Thema beschäftigt zu haben. Er ignoriert damit unter anderem Paul Herres bereits in den 1950er Jahren erschienenes Verdikt über den Kronprinzen: "Vor der Öffentlichkeit galt er als Gefolgsmann Hitlers. [...] Er nahm nun ohne Scheu an nationalsozialistischen Veranstaltungen teil und empfing Parteiführer bei sich. Auch die Kronprinzessin stand im Lager Hitlers und suchte den General von Schleicher, der sich nach wie vor ablehnend verhielt, zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Mit vollem Erfolg." [4] Herre wusste, wovon er sprach, er kannte den Kronprinzen noch persönlich.
Bei aller Kritik kann man Machtan jedoch nicht vorwerfen, die politischen Einstellungen und Handlungen Wilhelms zu verschweigen. In diesem Punkt sind sich beide Autoren einig. Sie beschreiben den Kronprinzen als einen überzeugten Feind der Republik, der mit vielen Punkten des NS-Programms übereinstimmte und sich von einer Herrschaft der Nationalsozialisten persönliche Vorteile erhoffte. Wilhelms bekannter Wahlaufruf für Hitler 1932 wird in beiden Büchern erörtert. Machtan sieht die Wahlempfehlung Wilhelms für Hitler eindeutig als "Zugewinn" für die Nationalsozialisten (100). Der Kronprinz hoffte, "seine und Hitlers politische Ambitionen zu synchronisieren" (94). Rollenvorbilder für eine solche "Synchronisation" bot etwa die Monarchie im faschistischen Italien.
Auch von der "Querfrontthese" in der jüngsten Lesart von Wolfram Pyta und Rainer Orth halten beide Autoren wenig. Das im Herbst 2019 geleakte Gutachten von Pyta und Orth endete mit dem Satz, der Kronprinz habe "einen überaus aktiven Part bei der Verhinderung einer Kanzlerschaft Hitlers gespielt [...] und von Anfang an den sich formierenden Widerstands-Netzwerken nahe[gestanden]". [5] Dieses Kartenhaus lassen Machtan und Malinowski einstürzen.
Die Finanzierung von Lothar Machtans Arbeiten durch Georg Friedrich Prinz von Preußen hat Aufsehen erregt, aber aus Malinowskis Buch lernen wir, dass Machtan damit in einer langen "Spin-Tradition" der Hohenzollern steht: "Dazu gehörten in den letzten hundert Jahren der Einsatz erheblicher finanzieller Mittel, die Organisation von Autobiografien und Auftritten in Massenmedien sowie für oder mit der Familie arbeitende Juristen, Historiker, Ghostwriter und PR-Fachleute." (598) Falls der Prinz also eine Reinwaschung seines Urgroßvaters erwartet hätte, müsste er sein Geld zurückverlangen. Allerdings hilft Machtan ihm auf andere Weise. Er porträtiert den Kronprinzen als eine "Luftnummer" (11) und stellt den Zeitraum seiner Hilfe für die Nationalsozialisten als kurz dar. Interessant ist auch, was Machtan in seinem Buch auslässt. Während Malinowski sich intensiv mit dem symbolischen Kapital des Kronprinzen auseinandersetzt und die unzähligen Presseberichte über seine Auftritte kontextualisiert, interessiert Machtan dieser Aspekt nicht. Adels- und Mediengeschichte scheinen nicht seine Stärken zu sein (er macht sogar aus dem legendären britischen Journalisten Sefton Delmer einen "amerikanischen Journalisten", 174). Dadurch kommt er auch zu dem Fehlschluss: "alles was er [der Kronprinz] unternimmt, spielt sich in den Kulissen der Macht ab, nicht auf offener Bühne" (241). Das ist eine atemberaubende Behauptung, wenn man die unzähligen Fotos betrachtet, die Wilhelm auf offener Bühne im Propagandaeinsatz für die NSDAP zeigen.
Am Ende ist dieses Duell der Bücher eindeutig zu entscheiden. Wer eine brillant geschriebene und innovative Monographie lesen will, greife zu Malinowskis Die Hohenzollern und die Nazis.
Anmerkungen:
[1] Email von Lothar Machtan an Karina Urbach, 12.2.2019.
[2] Herzogin Viktoria Luise: Im Strom der Zeit, Göttingen 1977; Louis Ferdinand, Prinz von Preußen: Im Strom der Geschichte, München 1983.
[3] Besonders wichtig ist hier der dritte Band: John C.G. Röhl: Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund 1900-1941, 3., durchges. Aufl., München 2018.
[4] Paul Herre: Kronprinz Wilhelm. Seine Rolle in der deutschen Politik, München 1954, 210 f.
[5] Zit. nach Malinowski, Hohenzollern, 618.
Karina Urbach