Rezension über:

Thorsten Loch: Deutsche Generale 1945-1990. Profession - Karriere - Herkunft (= Deutsch-deutsche Militärgeschichte; Bd. 2), Berlin: Ch. Links Verlag 2021, 652 S., 56 s/w-Abb., ISBN 978-3-96289-090-2, EUR 55,00
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Rezension von:
Hermann Wentker
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Wentker: Rezension von: Thorsten Loch: Deutsche Generale 1945-1990. Profession - Karriere - Herkunft, Berlin: Ch. Links Verlag 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 12 [15.12.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/12/35501.html


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Thorsten Loch: Deutsche Generale 1945-1990

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Auf den ersten Blick erscheint eine vergleichende Untersuchung der Generalität der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee (NVA) wenig sinnvoll. Denn die Unterschiede zwischen den westdeutschen, stärker in der historischen Kontinuität deutscher Streitkräfte stehenden Generalen und den ostdeutschen, die trotz Übernahme einer Reihe von Wehrmachtoffizieren in ihre Reihen in den 1950er Jahren bewusst mit dieser Tradition zu brechen versuchten, liegen auf der Hand. Thorsten Loch hat jedoch zu diesem Thema eine auf einer Fülle von Archivalien aus staatlichen und nichtstaatlichen Archiven beruhende Habilitationsschrift verfasst, die über diese Feststellung weit hinausgeht. Eine zentrale Quellenbasis sind die Personalakten von etwa 1000 Heeresgeneralen der Bundeswehr, der NVA und der Wehrmacht. Loch fragt zunächst nach der sozialen Herkunft und den Karrierestrukturen in beiden Armeen. Dabei legt er das professionelle Tätigkeitsbild eines Generals in Ost und West zugrunde und untersucht des Weiteren die Anforderungen, die daraus erwuchsen. Der Fragestellung entsprechend, zerfällt die Studie in zwei große Teile.

Im ersten Teil geht Loch anhand einer sozialwissenschaftlichen Datenanalyse ausführlich auf die sozialstatistischen Merkmale der Herkunfts- und Karrierestrukturen seiner Untersuchungsgruppe ein. Seine Ergebnisse bestätigen zwar die These der Elitenkontinuität zwischen der Bundeswehr und den früheren deutschen Streitkräften. Die westdeutschen Generale wurden aus ganz Deutschland rekrutiert, waren vorwiegend städtisch geprägt, gehörten mehrheitlich der evangelischen Kirche an und hatten eine bürgerliche, staats- und bildungsnahe Herkunft. Damit wiesen sie eine große Nähe zu den Sozialstrukturen der bisherigen Militär- und Verwaltungseliten auf. Diese Kontinuität war aber nicht, wie vielfach behauptet, auf den Sozialprotektionismus vordemokratischer Kreise zurückzuführen, sondern vielmehr darauf, dass das Abitur oder Fachabitur als Schulabschluss eine zwingende Voraussetzung für eine Generalskarriere war. Dieser Bildungsabschluss war zwar seinerseits an eine höhere soziale Herkunft gebunden; entscheidend für eine entsprechende Karriere war indes das Prinzip der Leistungsauslese. Demgegenüber spiegelte sich der Anspruch der DDR, nach sowjetischem Vorbild eine reguläre Armee neuen Typs zu schaffen, auch in der Herkunft ihrer Generalität wider. Deren Sozialstruktur unterschied sich nicht von der des übrigen Offizierkorps - und der anderen Führungskader des DDR-Staatsapparats -, so dass auch die Generale von einfacher, bildungs- und staatsferner Herkunft und konfessionslos waren. Dabei ging bei der ersten und zweiten Generalsgeneration politische Zuverlässigkeit oft auf Kosten der fachlichen Qualifikation. Das änderte sich mit der dritten Generation, so dass diese Generale nun eine loyale Elite darstellten, "die einem auf Bildung basierenden Leistungsgedanken folgte" (275).

Der zweite Teil liefert die plausible Erklärung für diesen grundlegenden Unterschied zwischen Bundeswehr- und NVA-Generalen. Loch greift dafür bis zu den preußischen Militärreformen und zu dem damals wirkenden Carl von Clausewitz zurück. In einem gut durchdachten Teilkapitel, "Den General 'Vom Kriege' her denken", legt er dar, dass dafür letztlich ein spezifisches Kriegsbild verantwortlich war. Da Krieg für Clausewitz nicht planbar war, kam es ihm auf militärische Führung an. Dies war angesichts der preußischen Unterlegenheit gegenüber den Streitkräften Napoleons von besonderer Bedeutung: Der Schwächere, so Clausewitz, müsse seine Kräfte mehr konzentrieren, um einen Gegner punktuell besiegen zu können - und das nicht vor der Schlacht, sondern in der Schlacht. Daher benötigte man befähigte Kommandeure, die ihre Einheit selbstständig führen konnten und gleichzeitig geistig-intellektuell in der Lage waren, im Sinne des Ganzen zu handeln. Daraus ergab sich, dass der preußisch-deutsche General - vom 19. bis ins 20. Jahrhundert - Generalist sein musste, der mithilfe eines Stabes zur selbstständigen Operationsführung befähigt war. Während diese Tradition auch noch in der Bundeswehr lebendig war, orientierte sich die NVA an russisch-sowjetischen Ideen zur Kriegführung. Hier ging es darum, die dem Krieg zugrundeliegenden Gesetze zu erkennen und diesen entsprechend zu planen. Dabei musste der Impuls von einem Zentrum kommen, woraufhin die militärischen Aktivitäten stringent zu koordinieren waren. Befehlsgebende Planung und befehlsempfangende Durchführung mussten dabei ineinandergreifen wie die Teile einer gut funktionierenden Maschine. Dies setzte einen Spezialisten mit hohem Fachwissen als Truppenführer voraus, der dafür sorgte, dass die von oben gegebenen Befehle strikt ausgeführt wurden. Den Überblick über das Ganze hatten nur wenige.

Daraus ergaben sich auch weitere Gegensätze zwischen Bundeswehr- und NVA-Generalen. Während Erstere eine gewisse Homogenität kennzeichnete - die auch auf den von allen besuchten Generalstabslehrgang zurückging -, war die NVA-Generalität sehr viel heterogener. Die Bundeswehr war laut Loch "ein autonomer Sektor des pluralistischen Elitenparadigmas", die NVA hingegen "ein nicht-autonomer Sektor" (497). Das bedeutete, dass der Werdegang eines westdeutschen Generals "einer binnensektoralen Logik" folgte und grundsätzlich "im Rahmen verwaltungsrechtlicher Normen" verlief (499), während parteipolitische Einflüsse dabei von untergeordneter Bedeutung waren. In der DDR war ein solcher Werdegang ebenfalls von militärfachlicher Logik, aber in einem sehr viel stärkeren Maße von dem Einfluss der Partei geprägt.

Der Autor versteht unter "Profession" und "professionell" mehr als handwerkliche Berufsausübung und entsprechende Fertigkeiten. Der Begriff umfasst für ihn darüber hinaus eine hohe Selbstrekrutierungsrate, eine eigene Berufsethik, die Herausbildung von Laufbahnstrukturen und das Streben nach Handlungsautonomie. Daher bezeichnet er "das Militär der Bundesrepublik als eine Profession und das Militär der DDR als eine aus politischen Gründen entprofessionalisierte Armee" (510). Man muss nicht mit dieser Bewertung übereinstimmen, auch wenn sie im Einklang mit Lochs Argumentation steht. Dennoch liegt mit seiner Arbeit, die keine leichte Kost ist und der eine Straffung gutgetan hätte, eine grundlegende Untersuchung zur deutsch-deutschen Militärgeschichte vor, die unseren Kenntnisstand nicht nur über die Generalität, sondern auch über die unterschiedliche Militärkultur in Ost und West wesentlich erweitert.

Hermann Wentker