Friederike Kitschen: Als Kunstgeschichte populär wurde. Illustrierte Kunstbuchserien 1860-1960 und der Kanon der westlichen Kunst, Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2021, 390 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-87157-256-2, EUR 99,00
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"Kaum eine zweite geisteswissenschaftliche Disziplin investiert so viele Energien in die Herstellung von Populärliteratur wie die Kunstgeschichte", konstatierte Martin Warnke bereits 1971. [1] Gut erforscht sind die illustrierten Kunstbuchserien deshalb aber noch lange nicht. Zwar wurde der Einfluss der Reproduktions- und Illustrationsverfahren auf die Kongruenz von Text und Bild in Überblickswerken näher beleuchtet [2] und als Bestandteil des Künstlermythos analysiert [3], doch blieben monografische Kunstbuchserien, die in hohen Auflagen kursierten, bislang weitgehend unbeachtet, vermutlich, weil ihnen der Hautgout des Unwissenschaftlichen anhaftet. Friederike Kitschen hat sich von der unübersichtlichen Gemengelage aus methodisch fragwürdigen Meisterdiskursen, wechselnden kulturpolitischen Vorgaben, ökonomischen Interessen seitens der Verlage wie des Kunsthandels und wankelmütigen Publikationsstrategien von Kunsthistorikern, die auf ihr Renommee bedacht waren, nicht abschrecken lassen und die zuweilen im "flotten, leichten Plauderton" (100) daherkommenden Serienbände einer systematischen Untersuchung unterzogen.
Anhand ausgewählter Kunstbuchserien, die im Zeitraum von 1860 bis 1960 in Deutschland, England, Frankreich, aber auch in den USA, in Südamerika, Indien, Japan und Australien gedruckt und vertrieben wurden, zeigt sie auf, dass die akademische Disziplin Kunstgeschichte erheblich von drucktechnisch bedingten Bildpolitiken und von der Etablierung nationaler Kanons profitierte. Eingefasst von einem lesenswerten Essay zu den Ingredienzen einer gelungenen Popularisierung - einprägsames Layout, namhafte Autoren und Buchrücken mit snob appeal - und einem Epilog, der eine sich über Jahrzehnte herausschälende Ahnenreihe von zwanzig zu männlichen Helden stilisierten Künstlern, beginnend bei Leonardo da Vinci und endend bei Salvador Dalí, kritisch kommentiert, werden in chronologischer Reihenfolge 48 Kunstbuchserien detailliert vorgestellt.
Schon bei Publikationen, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Verlagsseite konzipiert wurden, fällt es schwer, klare Grenzziehungen zwischen gewitzten Marketing-Strategien, akademischen Disputen und sozialreformerischen oder reaktionären Bildungsprogrammen zu ziehen. So setzte der Kunsthistorische Cyclus, der von 1860 bis 1865 im Photographischen Kunst- und Verlags-Institut Berlin erschien, auf die Mitwirkung seiner anonymen Leserschaft. Der Herausgeber Gustav Schauer, ein Fotograf, der sich auf Reproduktionen von Gemälden und Zeichnungen spezialisiert hatte, legte die Serie nämlich als Alben an. Den sogenannten Laien kam damit die Aufgabe zu, die hochwertigen Abbildungen, die auf Reproduktionsgrafiken basierten, eigenhändig an die dafür vorgesehenen Plätze auf Trägerkartons zu montieren. Auf diese Weise machte Schauer nicht nur die Forschungen des Berliner Kugler-Waagen-Kreises bekannt und versorgte nebenbei eine Reihe von Kunsthistorikern mit Aufträgen, die mit der Revolution von 1848 sympathisierten, sondern legte auch den Grundstein für partizipative hands-on-Ansätze.
Als langlebigste und einflussreichste Kunstbuchserie erwies sich, so Kitschen, die Künstler-Monographie, herausgegeben von Hermann Knackfuß im Verlag Velhagen & Klasing mit Sitz in Bielefeld und Leipzig. Der "Reclam der Kunstgeschichte", der von 1894 bis 1941 erschien, sprach in erster Linie Bildungsbürger an, die sich - kaum anders als heute - von Strategien zur Selbstoptimierung soziale Aufstiegschancen erhofften. Von der Vorstellung geleitet, mit lückenloser Bildung glänzen zu müssen, abonnierten sie die Künstler-Monographie, vertieften sich in Künstlerviten, Kunststile und Malerschulen. Oder studierten, ohne den Texten allzu große Beachtung zu schenken, aufmerksam die Autotypien, um beim nächsten Museumsbesuch beiläufig die richtigen Künstlernamen fallen lassen zu können. Bereits das Pilotprojekt, der vom Maler und Illustrator Knackfuß verfasste Raffael-Band aus dem Jahr 1894, erwies sich als Verkaufsschlager. Die Monografie brachte es auf "insgesamt 16 Auflagen mit mehr als 110.000 Exemplaren." (76) Damit stand das Erfolgsrezept fest: Statt ambitionierter Forschungsergebnisse wurden Kompilationen verbreitet. Und zwar in möglichst geschraubtem Ton. Während Kunstbuchreihen in England und in den USA keineswegs auf wissenschaftliche Apparate verzichteten und ihren Lesern stets auf Augenhöhe begegneten, indem sie eine verständliche Sprache anschlugen und topografische Listen integrierten, die in der Manier von Reiseführern das Aufspüren der kommentierten Kunstwerke erleichterten, zeichnete sich im deutschsprachigen Raum bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine gesellschaftliche Polarisierung ab: Die Gräben "zwischen Populär- und Fachdiskurs" (80) vertieften sich. So verzichtete die Künstler-Monographie auf "leidige Fußnoten" (77), Quellenhinweise und Fachterminologie, während die Fachvertreter, die das von Standesdünkel geprägte Milieu der Kunstgeschichte in Gefahr sahen, mit Hohn und Spott nicht geizten. "Er kenne keinen Kunsthistoriker namens 'Knackwurst'", soll Anton Springer in Anspielung auf Knackfuß' Deutsche Kunstgeschichte aus dem Jahr 1888 gelästert haben (78).
Obwohl 70 der 122 Bände von promovierten Kunsthistorikern verfasst worden waren - darunter viele unterbezahlte Privatdozenten und Museumsassistenten -, kokettierte die Künstler-Monographie mit einer Spielart des Anti-Intellektualismus, trug offensiv eine antifranzösische Haltung zur Schau und stellte sich in den Dienst des Deutschnationalen. 'Deutsche Künstler' wurden skrupellos in Epochen aufgespürt, in denen das Konstrukt von Nationalstaaten noch gar nicht existiert hatte, und wenn nichts anderes half, so wurden Künstler wie der belgische Bildhauer Constantin Meunier dreist als "germanisch geprägt" etikettiert (74). Ähnliche Ressentiments schürten auch die Künstler-Mappen, die von 1901 bis 1925 unter Leitung von Ferdinand Avenarius vom Kunstwart-Verlag in München herausgegeben und für den Kunstunterricht an Schulen herangezogen wurden. Um die Schüler nicht mit "kunsthistorischen Spezialfragen zu verwirren" (193), legte man ihnen das Betrachten von Abbildungen im Modus sprachloser Einfühlung nahe. Die handlichen Kleinen Delphin-Kunstbücher wiederum, die von 1915 bis 1926 im Delphin-Verlag in München erschienen, landeten während des Ersten Weltkriegs an der Front. Die "Lieben daheim" schickten sie als aufmunternden Heimatgruß per Feldpost an die Soldaten (211).
Aufwind erhielten progressive Kräfte in der Kunstwissenschaft durch die Junge Kunst, die von 1919 bis 1933 von Georg Biermann bei Klinkhardt & Biermann in Leipzig und Berlin ediert wurde. Die Serie setzte auf Autoren wie Will Grohmann, August Hoff, Carl Justi, Max Osborn und Benno Reifenberg, berücksichtigte Künstlerinnen wie Emmy Roeder und richtete ihr Programm am Bildungsanspruch der Weimarer Republik aus. Wegweisend war auch ihr Erscheinungsbild. Die Einbände, die mit zackigen Formen und knalligen Farbkontrasten die Blicke auf sich zogen, wurden entsprechend der damaligen Grundsätze der Schaufensterkunst [4] in Buchhandlungen präsentiert. NS-Kulturpolitiker stuften die Junge Kunst als gefährliches bolschewistisches Machwerk ein, das ihnen allerdings als "Orientierungshilfe bei den Beschlagnahmungen moderner Kunst in deutschen Museen" (301) durchaus willkommen war. Die Bände wurden im Museum Breslau konfisziert, ihr Verlag stand im Rahmen der Schandausstellung "Entartete Kunst" als Beispiel für die "Verantwortungslosigkeit der literarischen Zuhälter der beamteten Museumsleiter und Referenten" am Pranger (310).
Friederike Kitschen liefert in ihrer aufschlussreichen Studie Material in Hülle und Fülle für weitergehende Diskursanalysen und Revisionen von hegemonialen Kanonbildungen. Zumal sich im Verlauf der Lektüre der Verdacht einstellt, dass nicht nur die Abhängigkeit von technischen Reproduktionsverfahren, sondern auch eine devote Publikationspraxis, die auf ein breites Publikum abzielte, die Methoden der Kunstgeschichte erheblich beeinflusst haben dürften. Populär wurde die Kunstgeschichte innerhalb von hundert Jahren um den Preis, begleitet von einer immensen Presseresonanz öffentlich Schlammschlachten um Händescheidungen und Zuschreibungen aufführen, ans Herz gehende Legenden vom Künstler als Märtyrer erzählen und kleinen Leuten große Kunst unter den Weihnachtsbaum legen zu müssen.
Anmerkungen:
[1] Martin Warnke: Weltanschauliche Motive in der kunstgeschichtlichen Populärliteratur, in: Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung, hg. von Martin Warnke, Gütersloh 1970, 88-108, hier 88.
[2] Robert Trautwein: Geschichte der Kunstbetrachtung. Von der Norm zur Freiheit des Blicks. Köln 1997; Katharina Krause / Klaus Niehr / Eva-Maria Hanebutt-Benz (Hgg.): Bilderlust und Lesefrüchte, Mainz 2005.
[3] Joseph Imorde / Andreas Zeising (Hgg.): Billige Bilder. Populäre Kunstgeschichte in Monografien und Mappenwerken seit 1900 am Beispiel Albrecht Dürer, Siegen 2016.
[4] Nina Schleif: SchaufensterKunst. Berlin und New York, Köln / Weimar / Wien 2004.
Annette Tietenberg