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Marc Thörner: Rechtspopulismus und Dschihad. Berichte von einer unheimlichen Allianz, Hamburg: Edition Nautilus 2021, 177 S., ISBN 978-3-96054-270-4, EUR 16,00
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Rezension von:
Matheus Hagedorny
Potsdam
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Matheus Hagedorny: Rezension von: Marc Thörner: Rechtspopulismus und Dschihad. Berichte von einer unheimlichen Allianz, Hamburg: Edition Nautilus 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 1 [15.01.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/01/36561.html


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Marc Thörner: Rechtspopulismus und Dschihad

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Intellektuelle von Rechtsaußen, die den Taliban zur Machtübernahme in Afghanistan gratulieren? Islamisten, die katholische Ultrakonservative aus Frankreich ausgiebig zitieren? Die Verblüffung darüber ist der erzählerische Antrieb für Marc Thörners Buch "Rechtspopulismus und Dschihad". Der Untertitel verspricht "Berichte von einer unheimlichen Allianz".

Gleich zu Beginn präsentiert das Buch seine These: Islamistische Intellektuelle wie der ägyptische Dschihad-Theoretiker Said Qutb oder der Wegbereiter der Islamischen Republik Iran, Ali Schariati, sind von Vordenkern der europäischen Neuen Rechten inspiriert.

Ein roter Faden der Reportage ist dabei Thörners Auseinandersetzung mit Ernst Jünger, dessen antimoderner Existenzialismus offenbar einen Reiz entfaltete, der bis in die islamische Welt hineinreichte. Ein anderer Fokus ist der internationale Bürgerkrieg in Syrien, den der Machthaber Assad mit Hilfe von Islamisten vorerst für sich entscheiden konnte.

Das Buch ist eine formenstrenge Reportage. Ansprüche auf Vollständigkeit müssen außen vor bleiben. Thörner erzählt bildhaft, spannend und subjektiv von seinen Recherchereisen. Seine Spurensuche führt den langjährigen ARD-Reporter von Deutschland nach Marokko, Syrien, Libanon, Pakistan und Dänemark. Er spricht mit linken, rechten und religiösen Anhängern Assads, ultranationalistischen Ideologen, Islamisten, iranischen Oppositionellen und Ideenhistorikern.

Gleich eingangs befragt Thörner den AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, der Ernst Jüngers vor einem Jahrhundert verkündetes Urteil über den Mangel an Glaubensgewissheit in Deutschland teilt. Nachdem der prominente Nationalkonservative klargestellt hat, wie wenig der Islam zu Deutschland gehöre, beklagt er, in Deutschland gebe es "keine kräftige Spiritualität mehr" (15). Deswegen könnten sich "Kräfte von einer stärkeren Geistigkeit an die Stelle bringen" (16) - der Islam.

Wenn es um Syrien geht, hat die AfD einige Sympathien für das Regime von Bashar al-Assad, gleichwohl dieses mit dem islamistischen Regime des Iran paktiert und für die Flüchtlingsbewegung nach Europa mitverantwortlich ist. Thörner kann zeigen, dass das syrische Regime ein Narrativ gestrickt hat, das auch der AfD genehm ist: Westliche Interventionen im Namen von Demokratie und Menschenrechten stören viele in der Partei genauso wie die Anhänger der Diktatur Assads. Der Säkularismus ist jeweils Fassade: auch hinter dem Ultranationalismus lauert der Wille zum ultimativen Endkampf, der das Opfer des eigenen Lebens miteinschließt.

Doch die Gemeinsamkeiten zwischen Rechten und Islamisten reichen noch weiter und tiefer. Ernst Jünger, der radikale Gegner von Demokratie und Moderne, trifft auch bei einigen radikalen muslimischen Intellektuellen einen Nerv. Auf intellektueller Ebene treffen sich die nur scheinbar gegensätzlichen Lager in der Opposition gegen den angeblichen Verfall von Religion und Tradition. Thörners ideengeschichtliche Suchbewegungen erinnern an den Zugriff von Mark Sedgwicks groß angelegter Traditionalismus-Studie "Gegen die moderne Welt" [1]: Es sind kleine antimoderne Zirkel und Netzwerke gewesen, die Keime für jene faschistischen und islamistischen Ideen gelegt haben, die bis heute die postmoderne Gesellschaft des Westens heimsuchen.

Die Impulse, die der französische Medizinnobelpreisträger und spätere NS-Kollaborateur Alexis Carrel (1873-1944) dem Islamismus gab, haben einigen Neuigkeitswert für das deutschsprachige Publikum. Carrels pessimistische Anthropologie beeinflusste den wichtigen Ideologen des sunnitischen Dschihadismus, Said Qutb, wie auch den schiitischen Islamisten und geistigen Vorbereiter der islamischen Revolution im Iran, Ali Schariati. Zugleich wird jener Carell, der für eine mörderische Eugenik mit Gas plädierte und damit Stichworte für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik lieferte, derzeit von Marine Le Pens rechtsradikaler Partei Rassemblement National aufs Schild gehoben.

Gibt es nun jene "unheimliche Allianz" zwischen Rechtsaußen und militanten Islamisten, die der Untertitel nahelegt? Wohl kaum. Thörners Interesse gilt weder konkreten Kooperationen noch Konversionen, zumal diese selten sind. Auch die Islampolitik NS-Deutschlands und ihre Nachwirkungen bis in die Gegenwart sind nicht das Thema des Buches. Im Zentrum stehen ideelle Grundlagen, die Neue Rechte und Islamisten verbinden. Dass der Antisemitismus als verbindendes Element der Weltanschauungen kaum vorkommt, ist allerdings erstaunlich.

Thörner erschließt im Laufe seiner Darstellung, dass unbestimmter Lebensverdruss im modernen Menschen und der Wunsch nach göttlicher Sinnstiftung subjektive Antriebe in beiden Bewegungen ausmachen. Im umkämpften Damaskus fragt sich der Reporter, wie viel von dem Existenzialismus des Kampfes auch in ihm steckt: "Weshalb ist man eigentlich überhaupt hier und nicht in irgendeinem Büro? Nur der politischen Analyse wegen?" (26)

Der Titel "Rechtspopulismus und Dschihad" führt indes zu enttäuschten Erwartungen. Thörners Buch handelt weniger vom Rechtspopulismus als viel mehr von den intellektuellen Netzwerken der Neuen Rechten, die sich gegenüber aufkommenden populistischen Bestrebungen als langlebige "Bewegungselite" verstehen [2]. Denn der Populismus zeichnet sich, wie der Politikwissenschaftler Cas Mudde zeigt, durch eine "dünne Ideologie" aus, die sich sprunghaft an tagesaktuelle Begebenheiten anpasst. Gegen ebensolche diesseitige Beliebigkeit polemisieren sowohl der politische Islam als auch die Neue Rechte.

Insofern bleiben nach der Lektüre viele Fragen offen. Und doch ist es gerade der Subjektivismus des Reporters, der diese gut gesetzten Schlaglichter auf das antimoderne Denken rechter und islamischer Provenienz lesenswert macht. Theoretische Modelle für die ideologische Nähe von Neuer Rechter und Islamismus muss man woanders suchen. Als journalistische Annäherung an die geistigen Ähnlichkeiten zwischen den antidemokratischen Bewegungen hat "Rechtspopulismus und Dschihad" durchaus Erkenntniswert.


Anmerkungen:

[1] Mark Sedgwick: Gegen die moderne Welt. Die geheime Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 2019.

[2] Wolfgang Gessenharter: Neue radikale Rechte, intellektuelle neue Rechte und empirische Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes, in: Ders. / Helmut Fröchling (Hgg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte in Deutschland. Neuvermessung eines politischen Raumes?, Opladen 1998, 22-68, hier 34.

Matheus Hagedorny