Francesco Petrarca: De remediis utriusque fortune. Heilmittel gegen Glück und Unglück. Band 1: Heilmittel gegen Glück. Übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister. Herausgegeben und kommentiert von Bernhard Huss (= Mittellateinische Bibliothek; Bd. 8/1), Stuttgart: Anton Hiersemann 2021, LXVI + 760 S., ISBN 978-3-7772-2102-1, EUR 119,00
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Wer kennt sie nicht, Sprichwörter der Art: "Jeder ist seines Glückes Schmied" oder "Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige"? In vielen dieser Sprichwörter ist es der Mensch selbst, der sich durch sein Tun und Handeln verantwortlich für den eigenen "glückseligen" Status zeigt. Im späten Mittelalter war dies nicht anders, doch kam hier noch etwas anderes hinzu. Glück wurde nicht allein als Resultat des eigenen Handelns, sondern auch als Ergebnis bloßer Zufälle und des Einwirkens der Fortuna verstanden.
Francesco Petrarca (1304-1374) schrieb darüber eines seiner bekanntesten lateinischen Werke: De remediis utriusque fortunae ("Heilmittel gegen Glück und Unglück"). Beschrieben werden in den 254 Kapiteln dieser 1360 in erster Fassung vorliegenden, endgültig dann 1366 fertiggestellten Schrift Geschicke und Missgeschicke, Glück und Unglück des Menschen. Während im ersten, aus 122 Kapiteln bestehenden Teil die personifizierte Vernunft (Ratio) davon zu überzeugen sucht, dass alles Glück eitel und kaum von Dauer sei, warten die 132 Kapitel des zweiten Teils mit einer Art Bewältigungsstrategie auf, die vielfältigen Trost gegen das vermeintliche Unglück bereithält. Dies alles geschieht in z.T. hitzigem Austausch zwischen Personifikationen der "Freude" (gaudium), "Hoffnung" (spes) und "Vernunft" (ratio) im ersten bzw. des "Schmerzes" (dolor), der "Furcht" (metus) und der "Vernunft" im zweiten Teil. Wie auch in den Rerum memorandarum libri der Fall, dienen die Dialoge moralischen und erzieherischen Zwecken und präsentieren sich als Möglichkeit, mit Gutem und Schlechtem, mit Glück und Unglück umzugehen. Der Text verspricht - so Bernhard Huss in seiner Einleitung - "eine Medizin für den eigenen angemessenen Umgang mit dem Leben, nämlich für das richtige Verhalten in "glücklichen" und "unglücklichen" Lebenssituationen." (VII) Dafür argumentiert Ratio stets gegen diejenigen affektiven Grundbefindlichkeiten, denen die jeweiligen Dialogpartner das Wort reden. Seelische Ruhe und Zufriedenheit seien jedenfalls nicht - so Ratio - aus Anlässen ableitbar, die den Menschen gemeinhin Freude und Hoffnung schenkten.
Das Werk traf den Nerv der Zeit, es "kam an", etablierte Petrarca als moralphilosophische und humanistische Autorität und wurde in vielen Handschriften - derzeit sind 160 vollständige bekannt - überliefert. Übersetzungen in die Volkssprachen erfolgten rasch, ins Französische bereits 1378, ins Deutsche um 1400, 1427 ins Italienische. Der Erstdruck erfolgte 1470/1474 in Straßburg. Huss weist völlig zu Recht darauf hin, dass Petrarca (ungeachtet des Entstehungskontextes am Mailänder Hof der Visconti und der Widmung an den "despotisch orientierten Machtpolitiker" (XI) Azzo da Correggio) mit seiner Schrift auf ein breites Publikum abzielte - oder doch auf ein solches Publikum, dessen Bildungsgrad für die Rezeption des Textes ausreichte.
Das Werk beruht auf Petrarcas eigenen Lesefrüchten. Höchstwahrscheinlich hatte er über längere Zeit thematische "Karteikarten" für die einzelnen Dialogthemen gesammelt und diese später zusammengeführt und verarbeitet. Petrarcas Lieblingsautoren sind mit einer verschwenderischen Zitatfülle vertreten: Plinius (Naturalis historia) und Sueton (De vita caesarum libri) ebenso wie Cicero (Tusculanae disputationes) oder Seneca (Ad Lucilium). Traditionelle Fortuna-Motive finden sich hingegen nicht. Fortuna steht nicht stellvertretend für eine launische Macht, agiert nicht als Glücks- oder Unglücksgöttin: Fortuna wird bei Petrarca zum abstrakten Konzept, das die "Unmöglichkeit menschlicher Kontrolle über die äußeren Lebensbedingungen" (XX) versinnbildlicht. Dass die Dialogpartner von Fortuna die vier Affekte von Hoffnung, Freude, Furcht und Schmerz symbolisieren, ist kein Zufall: Petrarca weiß, dass der Mensch grundsätzlich dazu neigt, Kontingenzerfahrungen mittels Affekten zu bewerten bzw. zu bewältigen. Positiv bewertet wird dieses Streben von ihm nicht, eher im Gegenteil: Er will den Einfluss der Affekte im Bereich der Kontingenzbewältigung so weit wie möglich einschränken, Affekt soll der Vernunft untergeordnet werden.
In seinem Vorwort (I.11) spricht Petrarca davon ein "schnelles Heilmittel gegen jedes Übel und schädliches Gut sowie gegen Glück und Unglück" liefern zu wollen, eine Art Hausapotheke aus moralphilosophischen Texten. Interessant immerhin, dass Ratio im Zwiegespräch mit den Affekten zwar regelmäßig das letzte Wort behält, dabei aber nicht immer ganz klar ist, ob sie tatsächlich auch in jedem Fall den Sieg davonträgt. Petrarca lässt seine Leser an einem Zwiegespräch seelischer Facetten untereinander teilnehmen - das Ergebnis dieses Zwiegesprächs kann dabei durchaus offen bleiben. Anders ausgedrückt: Ratio gelingt es in den Dialogsituationen nicht immer, Affekte zu eliminieren und Petrarca selbst ist klar, dass dort, wo eine Beseitigung (extirpare) nicht gelingt, man sich zumindest um eine Dämpfung (mollire) bemühen soll.
Eine kritische lateinische Edition von De remediis existiert noch immer nicht. Die vorliegende Parallelversion mit dem lateinischen Text auf der linken, der entsprechenden deutschen Übersetzung auf der rechten Seite greift auf die stark überarbeitete, von Lucio Ceccarelli und Emilio Lelli 1997 erstellte und auf bibliotecaitaliana.it abrufbare Textfassung zurück, die jedoch als "aus philologischer Sicht nicht brauchbar" (XLIII) charakterisiert wird. Korrigiert wurde sie deshalb auf Grundlage der wichtigsten heute bekannten Handschriften mit dem Codex Venedig, Marcianus Zanetti lat. 475 (einer 1398 erstellten Abschrift aus Petrarcas 1366 abgeschlossenem Originalmanuskript) im Zentrum.
Die nun vorliegende, von Ursula Blank-Sangmeister besorgte Übersetzung des ersten Teils, dem Glück gewidmet, liest sich hervorragend. Man stolpert höchstens gelegentlich über Hochfrequenzpronomina wie quodammodo ("in gewisser Weise"), die mitübersetzt wurden und den Satzfluss doch nur unnötig stören. Mitunter zögert man angesichts einiger Entscheidungen der Übersetzerin: Gibt im Kapitel zur Musik (De dulcedine musica, I, 23) der Begriff "Charme" das lateinische dulcedo tatsächlich angemessen wieder? Angesichts der insgesamt bewältigten Textfülle sind diese Einzelfälle jedoch vernachlässigbar.
Horaz' Devise eines "Lerne, großes Glück gut zu ertragen" wird für Petrarca zur Richtschnur (Bene ferre magnam disce fortunam). Gewarnt wird vor den verweichlichenden Tendenzen und Gefahren, die einem Leben "im Glück" innewohnen. Dabei kommt dem Konzept eines Ne quid nimis besondere Bedeutung zu, egal ob dies die "unermesslich vielen Bücher" betrifft, deren Besitz sich "Gaudium" rühmt oder die exquisite Kleidung, mit der sich "Freude" gerne schmückt. Das Zitat von Terenz (aus seiner Andria, 1.1.61), nachgewiesen im sorgfältig gearbeiteten Sachapparat, wird, wie der Leser dort erfährt, von Petrarca noch einmal in De remediis und in den Familiares (11.3.3) explizit verwendet, scheint implizit jedoch, wen könnte es erstaunen, in vielen anderen Stellen durch. Denn eines ist dem poeta laureatus wichtig: wenn eine Tugend sicher durchs Leben trägt, dann ist es die Mäßigung, diese von Ovid in seinen Metamorphosen geadelte Vorstellung eines in medio tutissimus ibis. Auch Bibliophilen, zu denen er selbst gehörte, redet er eindringlich ins Gewissen: Der Wunsch, große Buchmassen anzuhäufen sei zwar verständlich, doch bestehe dabei die große Gefahr, den Geist nicht "durch Schriften zu nähren, sondern ihn durch die Masse der Texte umzubringen und ihn darunter zu begraben." (I, 43).
Die Familie mit ihren vielfältigen Sozialbeziehungen nimmt in der Darstellung breiten Raum ein - von den "Liebesfreuden" und der "Geburt der Kinder" über "schöne Kinder" bis hin zum "mustergültigen Schwiegersohn" und "Adoptiv- und Stiefsohn". Des Öfteren wird davor gewarnt, sich durch ein "zu viel" der Lächerlichkeit preiszugeben: "Eine zu auffällige Kleidung und eine Körperpflege, die bloß Kosmetik ist, ruft nur Gelächter hervor." (I, 20).
Die Gliederung, die Petrarca seinem Werk zugrunde legt, regt mitunter selbst zur Interpretation an. Weshalb etwa stehen die Ausführungen zum Papsttum (De pontificatu, I, 107) in einem inhaltlichen Kontext, der sich am Begriff der Hoffnung (spes) ausrichtet?
Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit dem lateinischen Text, wovon nicht zuletzt der umfangreiche Sachkommentar ein beredtes Zeugnis ablegt. Der eingängigen, leicht rezipierbaren deutschen Übersetzung ist weite Verbreitung zu wünschen. Eine inspirierende Lektüre - und man wünscht sich, Politiker hätten sich im Laufe der Jahrhunderte bis in die unmittelbare Gegenwart hinein an Petrarcas Mahnungen orientiert: "Hüte dich davor, im Vertrauen auf deine Kräfte etwas in Angriff zu nehmen, was dann deine Schwäche offenbart." (I, 5)
Ralf Lützelschwab