Rezension über:

Nikolai Okunew: Red Metal. Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR, Berlin: Ch. Links Verlag 2021, 334 S., 120 s/w-Abb., ISBN 978-3-96289-138-1, EUR 25,00
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Rezension von:
Peter Wurschi
Erfurt
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Empfohlene Zitierweise:
Peter Wurschi: Rezension von: Nikolai Okunew: Red Metal. Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR, Berlin: Ch. Links Verlag 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 6 [15.06.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/06/36447.html


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Nikolai Okunew: Red Metal

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Die Analysen zur subkulturellen Wirklichkeit in der DDR verdichten sich. Nach Wolf-Georg Zaddach [1] legt Nikolai Okunew mit seinem auf einer Dissertation beruhenden Werk "Red Metal" die zweite Monografie zur Entstehung und Bedeutung der Heavy-Metal-Subkultur in der DDR vor. Lange blieb die wissenschaftliche Analyse zu den ostdeutschen Schwermetallern im Hintergrund - die Punks und die Blueser standen vorrangig im Fokus der Untersuchungen. Mit den nunmehr vorliegenden Büchern wird diese Wissenslücke deutlich verkleinert.

Okunews Monografie schließt an die bereits vorliegenden historisch-soziologischen Untersuchungen zur Bedeutung von Pop(kultureller) Musik in der DDR und ihren Beitrag zur Emanzipation der Gesellschaft an. Sein Fokus liegt erstens auf den subkulturellen Praktiken der Metaller, zweitens auf den Wechselwirkungen der Szene mit der Medienlandschaft der DDR und drittens auf dem Agieren sogenannter hybrider Akteure (konkret auf den Radiomoderatoren Leo Gehl, Matthias Hopke, Jens Molle beziehungsweise den Produzenten Walter Cikan und Jürgen Makowski). Damit wird diese Subkultur auffallend eng mit der Hegemonialkultur in der DDR verwoben.

Diese klare Struktur wird in den fünf folgenden Kapiteln nicht immer stringent durchgehalten - was sicher aber auch der komplexen Lebenssituation der Heranwachsenden in den 1980er Jahren entspricht. Die Entwicklung der Subkulturen war in einer Wechselwirkung stets eng an die Ansprüche der Herrschenden, das Agieren der Anderen (Hegemonial- und/oder andere Subkulturen) und mediale (westliche) Einflüsse gekoppelt. So analysiert das erste Kapitel Metal in den Selbstbeschreibungen seiner Fans, das zweite die Musik, das dritte deren Rolle im Rundfunk der DDR, das vierte Heavy Metal-Konzerte, ein weiteres szeneinterne Gewaltpraktiken sowie das Schlusskapitel den Niedergang des Ost-Metals.

Der Autor zeichnet sich durch einen souveränen Umgang mit den verschiedenen Quellen aus. Die Passagen der geführten 21 Einzel- und zwei Gruppeninterviews mit Zeitzeugen sind gut verwoben mit den archivalischen Quellen. So entsteht ein Erzählfluss, der gerahmt durch methodische Bewertungen und kontextualisierende Einordnungen die Szenerie des Heavy Metal in den 1980er Jahren gut nachvollziehbar macht.

Die im Fazit noch einmal herausgestellte These, der zufolge Heavy Metal Teil der DDR war, nicht deren Gegenteil, zieht sich durch das gesamte Buch. Die Bruchstellen zwischen Subkultur und Staatsmacht werden deutlich markiert: Seien sie durch Selbststigmatisierung der Jugendlichen (lange Haare und Kleidung) selbst gewählt und/oder einem generationellen Konflikt zwischen den Alten (bei der Staatssicherheit) und den Jungen (auf der Tanzfläche) innewohnend. Mit den Beinen im Sozialismus zu stehen und mit den Ohren Teil einer (weltweiten) Jugendbewegung zu sein - dieses Schicksal verband die roten Metaller in den 1980er Jahren mit ihren Altersgenossen aus anderen Subkulturen. Und zumindest das MfS zeigte auch hier seine strukturelle Überforderung, mit Phänomenen jenseits des Wörterbuchs der Staatssicherheit umzugehen. Bei einem Konzert der Gruppe Macbeth im Erfurter Stadtgarten notierten die Späher des Systems, dass es zu "extasehaften [sic!] Ausschreitungen" beim Publikum kam und der Sänger durch "unartikuliertes Schreien und Gebärden" auffiel (99).

Im Unterschied zu anderen Subkulturen positionierten sich die Metaller jedoch nicht bewusst gegen das System. Sie nahmen die staatlichen Identifikationsangebote wie zum Beispiel Betrieb und Arbeit an, ohne diese jedoch zu verinnerlichen. Viele Metaller waren gute und integrierte Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich durch ihr Äußeres vom Mainstream der DDR unterschieden und am Wochenende komplett privatisierten: Konzerte und Freunde standen dann im Mittelpunkt. Bands gründeten sich, erhielten die Spielerlaubnis und füllten am Wochenende vor allem im Süden der Republik die (Dorf-)Säle. Es ist eine der Stärken des Buches, die Integration der handelnden Akteure in das System der DDR zu analysieren. Dabei wird auch immer wieder die Wechselwirkung zwischen den gesellschaftlichen (subkulturellen) und staatlichen Personen deutlich: hier die Ost-Metaller, die in ihrem (durch den Mangel an westlichen Distinktionsgütern) selbst empfundenen Authentizitätsrückstand dem vermeintlich raueren, ehrlicheren (Arbeiter-)Metall frönten (228) - und dort die FDJ-(Kultur-)Funktionäre, die dieser Subkultur in der DDR immer wieder neues Leben einhauchten. Sehr detailliert und nachvollziehbar wird dies im Kapitel zum Heavy Metal im DDR-Rundfunk geschildert.

Als vermeintliche Spielart des Hard Rock und seitens der staatlichen Radioprogrammmacher, die durchaus den Erfolg des Jugendradio DT64 ins Kalkül zogen, kam es der Metalmusik zu, verstärkt den Westen in den Osten zu lassen. Mit Sendungen wie "Notenbude" und später "Tendenz Hard bis Heavy" wurde die westmusikhungrige Jugend der DDR mit Liedgut versorgt, wobei Metal im Vergleich zu anderen modernen westlichen Musikstilrichtungen überproportional oft erklang.

Dennoch blieb das Auftreten der Metaler eine ästhetische Irritation im sozialistischen Alltag. Die subversive Eroberung des öffentlichen Raumes gehörte genauso zur subkulturellen Strategie wie die Enthemmung bei Konzerten und Partys. Da, wo sich Metaller zum moshen trafen, war der Staat außen vor. Dort konnte der "stolze Paria" (47) mit seinen martialisch anmutenden Insignien (Lederkleidung, Stiefeln, Jeans, Kutte, Nieten, Ketten, Aufnähern) seinen Mann stehen. War beim Tanzen die Aggressivität oft nur gespielt, so konnte sie in Gruppen auf der Straße doch in reale Gewalt umschlagen. Es ist Okunew sehr anzurechnen, dass er sich mit diesem Teil der Szene ebenso auseinandersetzt. Körperliche Gewalt und rassistisches Gedankengut waren auch in der DDR nicht weit auseinander und auch nicht weit vom Heavy Metal entfernt.

Insbesondere das Amalgam zwischen Skins, Hools und Metallern führte Ende der 1980er Jahre vermehrt zu rassistischer Jugendgewalt auf den Straßen der DDR. Hier würde sich eine weiterführende vertiefende Analyse lohnen, nicht nur hinsichtlich der angerissenen These, dass diese von den Subkulturen provozierte Gewalt den Interessen des Staates entsprach: nämlich der weitgehenden Abwesenheit von Vertragsarbeiterinnen und -arbeitern im Straßenbild. Aufschlussreich wäre auch eine Untersuchung über das Jahr 1990 hinweg, die der Frage nachginge, inwieweit die Aggression der subkulturellen Jugendlichen ihren Anteil an den Ausschreitungen Anfang der 1990er Jahre in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft hatte.

Die gut gegliederte Arbeit, deren Anmerkungen zwar etwas gewöhnungsbedürftig platziert, doch durch die Zuordnung zu den Seiten jederzeit gut nachvollziehbar sind, wird durch die Vielzahl an Schwarzweißfotos und eine Farbbildstrecke eindrucksvoll gerahmt. Die Kapitelzusammenfassungen komprimieren die jeweiligen Inhalte sinnvoll, auch wenn eine umfassende Zusammenfassung der Arbeit am Schluss fehlt. Diese wird sicherlich in Aufsatzform noch einmal nachgereicht. Vielleicht ist da dann auch endgültig die Frage zu klären, wer denn nun wem bei der Emanzipation half: Der Heavy Metal dem DDR-Mainstream oder die Umstände in der DDR den Roten Metallern.


Anmerkung:

[1] Wolf-Georg Zaddach: Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken, Bielefeld 2018.

Peter Wurschi