Martin Schmitt: Die Digitalisierung der Kreditwirtschaft. Computereinsatz in den Sparkassen der Bundesrepublik und der DDR 1957-1991 (= Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert; Bd. 15), Göttingen: Wallstein 2021, 672 S., ISBN 978-3-8353-3371-0, EUR 58,00
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Christoph Boyer (Hg.): Zur Physiognomie sozialistischer Wirtschaftsreformen. Die Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, die DDR und Jugoslawien im Vergleich, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2007
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Der Titel dieser Dissertation klingt sehr viel spezieller, als das Thema tatsächlich ist. Martin Schmitt untersucht die Einführung und den Durchbruch der elektronischen Datenverarbeitung in einem großen Sektor der Kreditwirtschaft. Für die Auswahl der Sparkassen als Anwendungsbereich der Computertechnologie spricht neben der guten Quellengrundlage das föderale Organisationsprinzip des Sparkassensektors, der aus selbstständigen lokalen Instituten, regionalen Girozentralen und einem Zentralverband besteht. Aus wirtschaftsgeschichtlicher Sicht wirkt der Vergleich mit dem zentralistischen Sparkassenwesen der DDR wegen der fehlenden Autonomie der Kreditinstitute, der nicht vergleichbaren zentralplanwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung und der fehlenden Konkurrenz im Kreditwesen auf den ersten Blick nicht zwingend - aus technikgeschichtlicher Sicht hingegen schon.
In der deutschsprachigen Forschung ist Schmitts Buch die erste monographische Publikation über die Technik- und Wirtschaftsgeschichte der Digitalisierung. Auf der Basis gründlicher Archivrecherchen lässt er das Computerzeitalter im Unterschied zur bisherigen Forschung nicht erst in der Durchbruchphase des Computereinsatzes in den 1970er-Jahren starten, er verortet den Beginn der Digitalisierung vielmehr in den späten 1950er-Jahren. Das Kapitel über die Initialisierung der Datenverarbeitung beginnt um das Jahr 1960, als die ersten bundesdeutschen Sparkassen wegen der starken Zunahme des Zahlungsverkehrs und der Vervielfachung der Buchungsvorgänge nach der Einführung der bargeldlosen Lohnauszahlung zwecks Personaleinsparung die erste Generation programmierbarer Computer einsetzten.
Die dezentrale Struktur der autonomen Sparkassen manifestierte sich in der Anschaffung unterschiedlicher Hardware und in der Eigenentwicklung der Software bei den digitalen Pionieren des Sparkassensektors. Trotz ihrer geringeren Größe und Investitionsspielräume lagen die Sparkassen in der Digitalisierung nicht hinter den Großbanken zurück. Obwohl das zentralistische Bankenwesen der DDR mit der Staatsbank als steuerndes Zentralinstitut deutlich bessere institutionelle Bedingungen für Entwicklung und Durchsetzung der Computertechnologie bot und die Staatsbank die Computerisierung des Bankenwesens frühzeitig förderte, verzögerte sich der Beginn der Computerisierung wegen der Vernachlässigung der nichtproduzierenden Wirtschaftssektoren in der zentralistischen Wirtschaftsplanung um Jahre.
Der hohe Kapitalaufwand für die Computerbeschaffung und die hohen Kosten für den Kauf und die Weiterentwicklung der zunächst noch nicht standardisierten Software zwang die Sparkassen zu neuartigen Formen der Kooperation. Bis zur Gründung zentraler Rechenzentren in den regionalen Sparkassenverbänden zwischen 1969 und 1975 organisierten die bundesdeutschen Sparkassen informelle Buchungsgemeinschaften, die überschüssige Rechenkapazitäten verkauften und eine höhere Computerauslastung bei geringerem Kapitalaufwand ermöglichten. Bis in die 1980er-Jahre wurden die Daten noch nicht durch digitalen Datentransfer, sondern in physischer Form auf Speichermedien wie Magnetbändern zu den Rechenzentren transportiert. Die Integration der IT in den Alltag verlief für die Sparkassenbelegschaften und ihre Kunden jedoch zeitversetzt. Während die Angestellten im back office ohne Kundenkontakt seit den 1960er-Jahren mit Computern arbeiteten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sparkassenfilialen in den 1970er-Jahren mit der Arbeit an Computerterminals vertraut wurden, kam die Kundschaft erst in den 1980er-Jahren durch die Einführung von Geldautomaten und Kontoauszugsdruckern mit der IT des Banksektors in Kontakt.
Schmitts Studie öffnet eine neue Perspektive auf die Geschichte der Produktinnovation im Bankwesen, die in der unternehmensgeschichtlichen Forschung noch nicht beachtet wurde. Ohne den zunehmenden Computereinsatz für die Verarbeitung von Kundendaten wären kommerzielle Innovationen wie die Einführung von Sparplänen nicht realisierbar gewesen. Die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs in der zweiten Phase der Computerisierung setzte einheitliche Standards bei der Codierung und Erfassung der Überweisungsbelege für die gesamte Bankbranche voraus und erforderte langwierige Standardisierungsverhandlungen. Die dezentral organisierte und marktförmig durchgesetzte Automatisierung des Zahlungsverkehrs verlief langsamer, als es in einem zentralistischen und planwirtschaftlichen Kreditwesen möglich gewesen wäre.
Die Studie überzeugt durch Gründlichkeit, profunde Sachkenntnis und durch ihre Anschlussfähigkeit an die Wirtschaftsgeschichte. Während die Darstellung gelegentlich zu lang und zu detailliert gerät, ist sie durch ihren flüssigen Stil und trotz aller IT-technischen Details durch ihre Allgemeinverständlichkeit leserfreundlich.
Christopher Kopper