Andrew Demshuk: Bowling for Communism. Urban Ingenuity at the End of East Germany, Ithaca / London: Cornell University Press 2020, XVI + 253 S., ISBN 978-1-5017-5166-0, EUR 38,50
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Andrew Demshuk hat bereits zahlreiche Studien zur Geschichte Leipzigs in der DDR vorgelegt, in denen er die Architekturgeschichte der ostdeutschen Messemetropole nicht einfach als Herrschaftsdiskurs über die Stadt, sondern als lebendiges urbanes Diskursfeld zwischen (lokalen) Herrschaftsträgern und Stadtbevölkerung untersucht, in dem sich Herrschaft in der DDR ebenso konstituierte wie in den Schaltzentralen des "demokratischen Zentralismus". In seiner neuen Studie verfolgt Demshuk diesen Ansatz konsequent weiter und wendet sich mit der Phase des Spätsozialismus und der unmittelbar folgenden Transformationszeit seit 1990 einer Zeitspanne zu, die aktuell im Zentrum zeithistorischer Debatten steht. Den Dreh- und Angelpunkt der Arbeit bildet der außerhalb zentraler Pläne errichtete und 1987 eröffnete Bowlingtreff, der nicht nur einen der beliebtesten Freizeitorte der Leipziger Bevölkerung darstellte, sondern seinen Besucherinnen und Besuchern für wenige Stunden auch eine Flucht aus dem dystopischen, von Verfall und Luftverschmutzung geprägten städtischen Alltag bot. Der Bowlingtreff dient Demshuk damit auch als Sonde lokaler Debatten über den Zustand und die Zukunft der Stadt Leipzig beziehungsweise des Sozialismus insgesamt. Damit lenkt Demshuk den Blick auch auf spezifisch lokale Dynamiken, die der Revolution von 1989 vorangingen und die Debatten über Leipzigs Weg in die demokratisch-marktwirtschaftliche Zukunft stark mitbeeinflussten. Die städtischen Funktionsträgerinnen und -träger sowie städtebaulich und denkmalpflegerisch engagierte Leipzigerinnen und Leipziger, mit denen Demshuk zahlreiche Interviews geführt hat, hätten in diesen Jahren zunehmend "around the centralized system through enterprising acts of [...] urban ingenuity" (4) lavieren müssen.
In fünf Kapiteln zeigt Demshuk, wie lokale Akteure auf den zunehmenden Verfall historischer Bausubstanz und innerstädtischer Gründerzeitquartiere reagierten, während das Politbüro der SED, das Ost-Berliner Bauministerium und das Baukombinat des Bezirks Leipzig alle Baukapazitäten auf die Hauptstadt und das am Leipziger Stadtrand entstehende zweitgrößte Plattenbaugebiet der DDR Grünau konzentrierten. Auf diesem konfliktiven Nährboden gediehen Eigeninitiative, kollektive Selbsthilfe (auch geduldeter Diebstahl auf Baustellen), Schwarzmärkte und "Schwarzwohnen" - Praktiken, die wesentlich zum Erhalt städtischer Bausubstanz beitrugen, aus denen sich aber auch Dynamiken des Widerstands zunächst gegen den flächendeckenden Abriss ganzer Wohnquartiere, dann gegen den SED-Staat selbst entwickelten. Auch das Schreiben von Eingaben, die Präsentation architektonischer Luftschlösser im Rahmen eines letzten Architekturwettbewerbs im Jahr 1988 oder Rekonstruktionsmaßnahmen im Stadtzentrum mithilfe von Fertigteilen wirkten wenig konfliktmildernd, sondern trugen eher zur Verschärfung des Unmuts in der Bevölkerung bei. Erfolgreicher waren dagegen die vielen "Schwarzbauten", also Bauprojekte außerhalb des Plans, die seit den 1970er Jahren zu einem Signum der Leipziger Kommunalpolitik wurden. Demshuk zeigt, wie sich seit den 1970er Jahren ein eingespieltes Team aus Verwaltungsfunktionären und Architekten des Bezirks und der Stadt Leipzig herausbildete, das über Netzwerke Baumaterialien organisierte, nicht genutzte Gelder umlenkte und "freiwillige", aber de facto gut vergütete beziehungsweise mit Privilegien verbundene Arbeitseinsätze von Leipzigerinnen und Leipzigern organisierte.
Der Bowlingtreff steht am Ende dieser Entwicklung und war letztlich auch das Ergebnis einer über Jahre eingeübten Praxis, in Demshuks Worten gar "the Greatest Schwarzbau Ever" (122). Von den Funktionären der Stadtverwaltung wurde er offiziell als Zeichen eines funktionierenden Sozialismus nach außen verkauft, nach 1990 indes als Triumph über Berlin gedeutet. Der Stadtbevölkerung habe er einen außeralltäglichen Lifestyle geboten, der sich als "imaginary West" in den Köpfen der Besucherinnen und Besucher festgesetzt habe. Als der Westen nach der Revolution von 1989 jedoch Einzug in den Osten hielt, verlor auch der Bowlingtreff rasch an Strahl- und Symbolkraft. Ab 1993 diente er noch als Verkaufsfläche für billige Bekleidung, 1997 schlossen sich seine Türen. Versuche, den noch immer von einer innerstädtischen Brachfläche umgebenen, einst so ikonischen Ort aus seinem Dornröschenschlaf wieder zu erwecken, sind bislang gescheitert. Aber schon vor der Revolution geriet der Bowlingtreff in Diskursräumen der sich formierenden Bürgerinitiativen gegen Verfall und Umweltverschmutzung auch zum Symbol eines Sozialismus, der seine eigentlichen Probleme ignorierte. Auch für die lokalen Zukunftsdebatten nach der Revolution spielte der Bowlingtreff keine Rolle mehr. Vielmehr kreisten die emotionalen Debatten zwischen städtischen Funktionsträgern, Architekten, Bürgerinitiativen und westdeutschen Unterstützern um die Rekonstruktion und den Erhalt der historischen Innenstadt. Einige Bürgerbewegte erlangten durch ihr Engagement in diesen Wochen und Monaten wichtige politische Positionen in der Stadt und prägen die lokale Kultur- und Baupolitik zum Teil bis heute.
In einer gewissen Schieflage zum Inhalt der Studie stehen Buchtitel und -cover, die eher eine Sozial- und Kulturgeschichte von Bowlingbahnen in der späten DDR erwarten lassen. Aber auch für die Argumentation des Buches spielt der Bowlingtreff, dessen Geschichte lediglich auf den Seiten 116 bis 147 erzählt wird, letztlich nicht die entscheidende Rolle. Er erscheint am Ende auch nur als einer von vielen "acts of urban ingenuity", die "isolated victories" (148) blieben, die Leipzig nicht zu retten vermochten. Damit ist ein weiterer Kritikpunkt angesprochen: Demshuks Analyse dreht sich sehr um das architekturgeschichtlich-lokale Narrativ der "Rettung", dessen Normativität und Historizität der Autor nicht hinterfragt. Vielmehr lässt Demshuk selbst eine gewisse Vorliebe für die Bauten der Kaiserzeit durchblicken, während er die Bautätigkeit in der DDR vor allem als Sünde an der städtischen Identität betrachtet. Das wirft die Frage auf, wessen Geschichte hier eigentlich erzählt wird. Demshuks kleine Heldinnen und Helden sind die lokalen Funktionäre, die örtlichen Architekten und die Bürgerinitiativen, die sich allesamt für das Wohl der Stadt aufgerieben, aber vergeblich gegen die Borniertheit und den Dilettantismus der Ost-Berliner Behörden und des Baukombinats angekämpft hätten. Das Handeln ersterer (in Abgrenzung zu Mary Fulbrooks Begriff "participatory dictatorship") als "participation without dictatorship" (5) zu bezeichnen, überzeugt kaum, vielmehr schimmert hier eine definitorische Unklarheit des Diktaturbegriffs durch, die sich auch im allzu unkritischen Umgang des Autors mit den Narrativen seiner Interviewpartnerinnen und -partner bemerkbar macht. Auch hätte die Arbeit für Nicht-Architekturhistorikerinnen und -historiker deutlich gewonnen, wenn die Frage der Partizipation in der DDR besonders vor dem Hintergrund der Demokratisierung nach 1990 konzeptionell stärker problematisiert worden wäre.
Dennoch leistet Demshuks Monographie einen spannenden und unverzichtbaren Beitrag zur Leipziger Stadtgeschichte und ist überdies anschlussfähig an übergreifende Fragen zum Herrschaftsalltag in der späten DDR. Sie zeigt, dass die DDR-Gesellschaft der 1980er Jahre vor Ort keineswegs stagnierte, sondern sich durch lebendiges zivilgesellschaftliches Engagement auszeichnete - nicht nur abgegrenzt von, sondern auch im Austausch mit lokalen Herrschaftsträgern.
Christian Rau