Rezension über:

Agostino Paravicini Bagliani / Francesco Santi (a cura di): La situazione degli studi sul Medioevo latino. In memoria di Peter Stotz, a vent’anni da un incontro a Zurigo. Con la bibliografia dello studioso (= mediEVI; 34), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2022, XI + 133 S., ISBN 978-88-9290-156-8, EUR 26,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Patrick Breternitz
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Patrick Breternitz: Rezension von: Agostino Paravicini Bagliani / Francesco Santi (a cura di): La situazione degli studi sul Medioevo latino. In memoria di Peter Stotz, a vent’anni da un incontro a Zurigo. Con la bibliografia dello studioso, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2022, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 10 [15.10.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/10/36972.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Agostino Paravicini Bagliani / Francesco Santi (a cura di): La situazione degli studi sul Medioevo latino

Textgröße: A A A

Der von Agostino Paravicini Bagliani und Francesco Santi herausgegebene Sammelband zur aktuellen Situation der Mittellatinistik ist dem 2020 verstorbenen Mittellateiner Peter Stotz gewidmet. Zum einen greift der Band die von Stotz organisierte Züricher Tagung "Die Erforschung des lateinischen Mittelalters an der Schwelle zum neuen Jahrtausend. Bilanz und Ausblick" auf, deren Ergebnisse im Mittellateinischen Jahrbuch veröffentlicht wurden. [1] Zum anderen beginnt das Buch mit einem Nachruf aus der Feder Paravicini Baglianis und die beiden Beiträge von Gerlinde Huber-Rebenich und Martina Hartmann gehen auf Stotz' Verdienste um sein Fach ein. Schließlich enthält das Buch noch ein Schriftenverzeichnis des Verstorbenen.

Michael Lapidge beklagt in seinem Beitrag zur Situation des Faches in der englischsprachigen Welt, dass mittellateinische Werke englischer Autoren von der gebildeten Öffentlichkeit kaum rezipiert würden, in den Schulen kaum noch Latein gelehrt werde und das Studium des Mittellateinischen an den Universitäten, wo es ohnehin nur noch eine marginalisierte Rolle habe, zugunsten von in seinen Augen Zeitgeistthemen noch weiter verdrängt werde. Als positives Gegenbeispiel lobt Lapidge das hohe Niveau der Mittellateinausbildung in Toronto und Notre Dame.

Enrico Menestò widmet seinen Beitrag der mittellateinischen Philologie in Italien im letzten Jahrzehnt. Hervorgehoben wird natürlich die herausragende Rolle der Società Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino und des von ihr herausgegebenen Medioevo Latino für die Mittellatinistik in Italien und weltweit. Zudem betont er die Leistungen italienischer Philologen bei der Edition mittellateinischer Texte und auf dem Gebiet der Digitalisierung (z.B. MIRABILE). Menestò hofft, dass die fruchtbare Arbeit, die sich in zahlreichen Kooperationen und Projekten zeige, in Zukunft fortgesetzt werde.

Da die iberische Halbinsel bei der Tagung von 2000 nicht berücksichtigt wurde, geht Paolo Farmhouse Alberto in seinem Bericht zur Situation der Mittellateinischen Philologie in Spanien und Portugal weiter zurück. Insbesondere die Verdienste von Manuel Díaz y Díaz seit den 1950er-Jahren hebt er hervor. Für die westgotischen und mozarabischen Autoren sei die Editionslage mittlerweile sehr gut. Große Fortschritte seien auch auf dem Gebiet der regionalen Lexikographie zu konstatieren. Insgesamt blickt Alberto eher positiv in die Zukunft, was die Mittellatinistik in den iberischen Ländern betrifft.

Jean-Yves Tilliette beleuchtet die Situation des Faches in Frankreich und kann gegenüber einem gleichartigen Bericht von 1993 Verbesserungen feststellen [2], auch wenn die Karriereaussichten für französische Mittellatinisten weiterhin bescheiden seien. Entscheidende Bedeutung misst er der zunehmenden Öffnung anderer Disziplinen wie der Klassischen Philologie und der Mittelalterlichen Geschichte für mittellateinische Themen bei. Eine Liste der an der École des chartes zwischen 2000 und 2019 abgeschlossenen mittellateinischen Thèses, immerhin 61 von insgesamt 514 in dem Zeitraum abgeschlossenen Arbeiten, unterstreicht die Bedeutung dieser Ausbildungsstätte für die Mittellateinische Philologie in Frankreich.

Für die Schweiz kann Gerlinde Huber-Rebenich eine stabile Situation der mittellateinischen Philologie konstatieren. Sie betont die enge Verzahnung des Faches mit nationalen und internationalen Kooperationen und eine Vorreiterrolle im Bereich der Digital Humanities. Dem Fach komme auch eine große Bedeutung für die Erschließung des kulturellen Erbes der Schweiz zu (z.B. Schriften von Zwingli). Allerdings muss Huber-Rebenich auch einige Rückschläge bei der Finanzierung mittellateinischer (Langzeit-)Projekte durch den Schweizerischen Nationalfonds beklagen. Bei vielen der vorgestellten Projekte und Initiativen sei auch Peter Stotz beteiligt und engagiert gewesen, dessen Bedeutung für das Fach in der Schweiz die Autorin herausstellt.

Martina Hartmann befasst sich mit der Rolle von Mittellateinern als Zentraldirektoren der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Bedeutung für die Geschichte der Monumenta allgemein. Eine Philologisierung der Monumenta zu Beginn des 20. Jahrhunderts stuft sie als wichtigen Schritt zur Qualitätssicherung der Editionen ein. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkten Ludwig Traube und Karl Strecker als Zentraldirektoren und betätigten sich als Editoren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hingegen legten die Mittellatinisten unter den Zentraldirektoren (Paul Lehmann, Bernhard Bischoff und Peter Stotz) keine eigenen MGH-Editionen mehr vor, trugen aber durch ihre beratende Tätigkeit viel zum Gelingen mancher Edition bei.

Insgesamt zeigt sich in den verschiedenen untersuchten Ländern eine sehr unterschiedliche Situation der Mittellateinischen Philologie. Das Spektrum reicht von einem mehr oder weniger Ende der Disziplin in den englischsprachigen Ländern über eine stabile Situation in der Schweiz bis hin zu einer eher günstigen Lage in den romanischen Ländern. Wichtige Länder Europas wurden im Sammelband allerdings nicht berücksichtigt, so dass das Buch keine Gesamteinschätzung des Zustandes der Mittellatinistik ermöglicht. Der Gesamtschau hätte ein Blick auf die übrigen deutschsprachigen Länder, Belgien, die Niederlande und den skandinavischen Raum nicht geschadet. Der dem Andenken an Peter Stotz gewidmete Band würdigt die großen Verdienste des Züricher Philologen in angemessener Weise.


Anmerkungen:

[1] Peter Stotz: Die Erforschung des lateinischen Mittelalters. Ein Symposium in Zürich, in: Mittellateinisches Jahrbuch 36 (2001), 295-296; Paul Gerhard Schmidt: Die Philologen an der Krippe. Zur Situation des Faches Mittellatein im deutschen Sprachgebiet, in: ebd., 297-304; Claudio Leonardi: La tradizione mediolatina en Italia, in: ebd., 305-308; François Dolbeau: Les études médiolatines en France. Ombres et lumières, in: ebd., 309-324; Jean-Yves Tilliette: Pour une rapproche littéraire des textes latins du Moyen Âge, in: ebd. 325-335; David Vitali: Zusammenfassung der Diskussion, in: ebd., 335-336.

[2] Jean-Yves Tilliette: La philologie médiolatine en France au XXe siècle, in La filologia medievale e umanistica greca e latina nel secolo XX, Rom 1993, 505-528.

Patrick Breternitz