Matthias Deinert / Uwe Hartmann / Gilbert Lupfer (Hgg.): Enteignet, entzogen, verkauft. Zur Aufarbeitung der Kutlurgutverluste in SBZ und DDR (= Provenire; Bd. 3), Berlin: De Gruyter 2022, XXIII + 324 S., ISBN 978-3-1107-4450-7, EUR 39,95
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Paul Kaiser / Mathias Lindner / Holger Peter Saupe (Hgg.): Schicht im Schacht. Die Kunstsammlung der Wismut. Eine Bestandsaufnahme, Chemnitz: Neue Chemnitzer Kunsthütte 2013
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Während zu DDR-Zeiten Eigentumsfragen keine herausragende Rolle spielten, sind Kulturgutverluste durch willkürliche und unrechtmäßige Enteignungen in der SBZ/DDR heute in kulturgutverwahrenden Einrichtungen vor allem in den ostdeutschen, aber auch in den westdeutschen Bundesländern von gesamtgesellschaftlicher Relevanz.
2011 brachte die Potsdamer Konferenz mit dem Titel "Kunst gegen Valuta" das Thema erstmals in die Öffentlichkeit und schuf mit der Potsdamer Erklärung für Museen eine erste Hilfe zur Selbsthilfe. Bis 2017 blieb aber das zunehmend generierte Wissen um Kulturgutentzug in der SBZ/DDR weitestgehend Insiderwissen und wurde von Expertinnen und Experten der Provenienzforschung nur anlassbezogen in den Fokus der Forschung genommen. Das änderte sich, als der Stiftungsrat des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste (DZK) 2017, also fast drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung Deutschlands, den Auftrag erteilte, Pilotprojekte zur Grundlagenforschung zu diesen Forschungsfeldern zu starten. Der für die Herbstkonferenz 2020 des DZK geplante und jetzt erschienene Band versteht sich ausdrücklich als eine Zwischenbilanz angesichts der immer noch fortwährenden Grundlagenforschung.
Zwischen 2017 und 2020 initiierte das DZK mit Kooperationspartnern 13 grundlegende Projekte, darunter die Untersuchung der MfS-Aktion "Licht" von 1962, die in großem Umfang Safes und Schließfächer auf das Vorhandensein von Kunst- und Kulturgut überprüfte, die Erstellung eines Spezialinventars für Aktenbestände des MfS zu den Entziehungen von Kunst und Kulturgut in der SBZ/DDR sowie mehrere Projekte zum Umgang mit entzogenen Kulturgütern in brandenburgischen Museen, der Moritzburg in Halle, dem Staatlichen Museum Schwerin und dem Museum für Deutsche Geschichte der DDR. Neuland betraten außerdem zwei Projekte, die ihren Blick auf Institutionen im Westteil Deutschlands richteten und sich mit den Verkäufen gegen Devisen beschäftigten sowie grundlegende Aktenbestände zum Kunsthandel erschlossen. Auf Proveana, der Forschungsdatenbank des DZK, werden die Forschungsergebnisse dokumentiert und mit anderen Datenbanken verknüpft.
Ulrike Schmiegelt-Rietig schildert in dem vorliegenden Band exemplarisch das bewegte Schicksal mehrfach, also sowohl in der NS-Zeit als auch in der SBZ/DDR enteigneter Objekte am Beispiel der Kunstsammlung von Philipp und Irene Beran, Textilunternehmer aus Brünn. Zeitliche, geographische und politische Überlagerungen machen das Forschungsfeld äußerst komplex, aber auch umso spannender. Die Autorin geht davon aus, dass die Kunstsammlung verwertet wurde und in die Hände eines Kunsthändlers im östlichen Teil Deutschlands gelangte. 1950 übernahmen die Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci über das Brandenburgische Handelskontor ein 1948 am Kontrollpunkt Wittenberge von der Sowjetischen Militäradministration beschlagnahmtes Konvolut von Gemälden und Grafiken. Darunter befanden sich zwei Kunstwerke von Hugo von Habermann und Thomas Theodor Heine aus der Sammlung Beran, die dank der intensiven Provenienzforschung zu dem Konvolut inzwischen restituiert werden konnten.
Thomas Rudert beschreibt grundlegend die 1150 Schlösser, Guts- und Herrenhäuser betreffende sogenannte Schlossbergung in Sachsen durch Mitwirkung von wegen NSDAP-Mitgliedschaft oder Nähe zum NS-Regime aus dem Museumsdienst entlassenen Fachleuten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Sachsen, wie in der gesamten SBZ, die Eigentümer von Grundstücken von mehr als 100 Hektar in der Bodenreform von 1945 bis 1948 entschädigungslos enteignet. Mehrere Tausend Objekte waren so nach Dresden gelangt, wo über ihre weitere Verwendung entschieden wurde. Die Verantwortung für das enteignete bewegliche Inventar lag beim Volksbildungsministerium und die Verwertung bei den Ressorts für Finanzen und Land- und Forstwirtschaft. Damit war der Grundkonflikt zwischen kommerzieller Verwertung und musealer Verwahrung vorgeprägt. Bereits im Januar 1948 entzog die Landesverwaltung dem Ministerium für Volksbildung und damit den Dresdner Sammlungen die Entscheidungsbefugnis über die Objekte der Schlossbergung und übertrug sie der Landesbodenkommission (LBK). Jetzt begann der systematische Abverkauf von Schlossbergungsobjekten im Dresdner Albertinum, zu dem sich Archivalien mit Namen und Preisen sowie Erwerbern für die Jahre 1946 bis 1950 erhalten haben. Heute dienen die überlieferten Sachakten und das Verkaufsbuch als wichtige Quelle bei finanziellen Ausgleichsleistungen für die durch die Bodenreform Geschädigten. Dass Sachsen darüber verfügt, ist ein Glücksfall. Eine derart flächendeckende Erfassung der Objekte hat es in den anderen ostdeutschen Bundesländern nicht gegeben.
Michael Busch erläutert am Beispiel des Museums Schwerin und dem dortigen "Fall Bausch" die irritierende Thematik des "Zuvielbesitzes". Fünf Porträts wurden 1987 aus den VEB-Feinpapierfabriken Neu Kaliß mit der Vorprovenienz Bausch im Zugangsbuch verzeichnet. Die Papierwerke bestanden seit 1872 und wurden im März 1946 auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zunächst demontiert und dann mit dem Wiederaufbaubefehl Nr. 159 wieder in Betrieb genommen, nachdem die Ingenieure unter Viktor Bausch alle verfügbaren Ersatzteile aus der SBZ zusammengezogen hatten. Kurz nach der geglückten Inbetriebnahme wurde die Familie enteignet und mit einem vermeintlichen Steuerverfahren zur Flucht in den Westen gedrängt. Nach 1990 stellte die Familie Restitutionsanträge für die verlorenen Immobilien und die Fabrik. Die Porträts konnten bislang mangels rechtlicher Grundlage nicht zurückgegeben werden. Der Autor fordert hier dringend eine Anpassung der Washingtoner Erklärung für vergleichbare Fälle von Eigentumsentzug.
Cora Hall beschreibt aus juristischer Sicht Fälle von Kulturgutentziehungen während der DDR-Zeit, die die Klassik Stiftung Weimar beschäftigen. Im Haus der Stiftung begann die systematische Provenienzforschung zu den Zugängen zwischen 1945 und 1990 erst im Jahr 2020. Am Beispiel der "Republikflucht" der Familie Lemke wird aufgezeigt, dass die Stiftung sowohl direkt von der Familie vor der Flucht als auch im Rahmen der Ausreisevorbereitung Objekte von der Stadt Römhild erwarb. Nach der "Republikflucht" verblieben diese im Besitz der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der Klassischen Literatur in Weimar (heute Klassik Stiftung Weimar), weil sie dort bereits zur Ansicht lagerten. Für letztere, die zahlenmäßig den größten Bestand ausmachen, existiert keinerlei Vereinbarung für den Erwerb beziehungsweise Verbleib in der Sammlung. Die komplexe Rechtslage im Fall Lemke führte zu vier unterschiedlichen Entscheidungssträngen und dank den Ergebnissen der Provenienzforschung zur Rückgabe von 290 Objekten an die Rechtsnachfolger sowohl nach dem Vermögensgesetz als auch auf zivilrechtlicher Grundlage. Der Beitrag zeigt damit grundsätzliche Lösungswege für vergleichbare Konflikte in anderen Sammlungen auf.
Die Verkaufswege von angehaltenen und zurückbehaltenen Kulturgütern aus dem Eigentum von Geflüchteten sind Thema mehrerer Beiträge und erschließen den Forschungskomplex um die Institution Kunsthandel in der DDR. Uwe Hartmann beschreibt den Spagat zwischen Plan- und Mangelwirtschaft. Jan Scheunemann verfolgt den Weg eines Aquarells von Adolf Hitler aus der Moritzburg in Halle bis in die USA, vermittelt durch die Kunst- und Antiquitäten (KuA) GmbH. Christopher Jütte untersucht Objekte in den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums mit der Provenienz KuA GmbH. Schon 2015 hatte die Neue Züricher Zeitung "Kunst gegen Devisen" getitelt und damit auf die Machenschaften der geheimen Abteilung "Kommerzielle Koordinierung" (KoKo) im Ministerium für Außenhandel der DDR berichtet. Der ostdeutsche Außenhandelsbetrieb (AHB) und die KuA GmbH verkauften in den 1970er und 1980er-Jahren unzählige Kunstwerke und Antiquitäten aus DDR-Sammlungen in den Westen. Die Objekte waren für die Abnehmer im Westen wie für die DDR als Verkäufer bis zur Liquidierung der GmbH 1989 mehr als lukrativ. Käufer waren unter anderem westliche Auktionshäuser, darunter auch das Auktionshaus Christie's.
Matthias Deinerts Konferenznachlese beschließt den Band mit der Forderung nach einer gesamtdeutschen Übernahme der Verantwortung für diese Problematik. Ulrich Bischof erweiterte diese um eine politische Erklärung, die mangels juristischer Grundlage eine Rückgabe von Werken aus diesen Unrechtskontexten ermöglichen würde. Das DZK wiederum plant die Beauftragung eines Rechtsgutachtens, um die Eigentumsfrage für Museen auf eine juristische Grundlage stellen zu können.
Die Provenienzforschung zu Objekten in öffentlichen Sammlungen mit DDR- bzw. SBZ-Provenienz hat dank der vorliegenden Publikation eine solide Basis. Denn Berechtigte können nur zurückfordern, was bekannt, also erforscht ist. Parallel zur Konferenz des DZK wurde am 14. September 2020 die sogenannte Arbeitsgruppe SBZ/DDR gegründet. Mittlerweile zählt die AG 36 Mitglieder und sie engagiert sich für kontinuierliche Forschungsförderung zu den Themenfeldern DDR und SBZ und systematische Überprüfungen von Sammlungsbeständen in öffentlichen Einrichtungen. Eine Publikation seitens dieser Forscherinnen und Forscher zu Sammlerinnen und Sammlern in der DDR, Kunsthandelnden mit Westkontakten und nicht zuletzt westlichen Abnehmern wäre ein möglicher Folgeband, der sich vor allem auch an westliche Einrichtungen richtet und initiale Wirkung haben könnte.
Andrea Christine Bambi