Margaret Connolly / Holly James-MaddocksPearsall / Derek Pearsall (eds.): Scribal Cultures in Late Medieval England. Essays in Honour of Linne R. Mooney (= York Medieval Press; Vol. 3), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2022, XX + 363 S., eine Kt., 72 Abb., ISBN 978-1-843845-75-1, GBP 60,00
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Margaret Connolly / Thomas G. Duncan (eds.): The Middle English Mirror: Sermons from Quinquagesima to Pentecost, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2021
Die hier zu besprechende Festschrift ist in drei Teile gegliedert: Zunächst widmen sich zwei Aufsätze internationalen Perspektiven, vier weitere Autoren befassen sich mit Identitäten und Lokalitäten, worauf dann fünf Beiträge zur Schreiberproduktion folgen. Der Band schließt mit zwei Erörterungen zu Chaucer'schen Kontexten. Ein persönliches Nachwort zur Gefeierten, ein Handschriftenindex, ein allgemeiner Index und eine Tabula Gratulatoria beschließen den Band.
Um genauer auf den Inhalt einzugehen, so wird man sagen dürfen: es geht um Handschriften. Es geht um die Schrift, die sich darin findet, um die Schreiber und die personellen Kontexte, die diese Handschriften produziert haben, schließlich auch um die wahrscheinlichen Entstehungsräume der Codices. Es geht um die Texte in diesen Handschriften und um den Zusammenhang der Handschriften mit Inkunabeln. Es geht um englische oder andere 'Nationalstile'. Chronologisch decken die Beiträge die Zeit vom fortgeschrittenen 14. bis ins 16. Jahrhundert mit einem klaren Schwerpunkt auf dem 15. Jahrhundert ab.
Bei der Lektüre des Bandes wird wieder einmal deutlich, wie international vernetzt auch zu Zeiten vermeintlich geringer Mobilität die mittelalterliche Kultur war. Am Ende ihres einleitenden Beitrags fragt Martha W. Driver (How English is it?, 25-44), man möchte fast sagen 'resigniert': "In this multicultural environment, then, what constitutes an English book?" (44). Die von ihr untersuchten Handschriften und im Fokus stehenden Miniaturen wurden von englischen, französischen und flämischen Schreibern und Künstlern hergestellt.
Der nachfolgende Aufsatz befasst sich mit mittelirisch-englischer Bürokratenliteratur (K. Kerby-Fulton, 45-64) - sicherlich ein Thema für besonders exquisite Geschmäcker, da es sich hier um einen recht eng umrissenen zeitlichen, regionalen und sozialen Rahmen handelt, in dem diese Literatur entstanden ist. Aber sie fügt noch eine weitere Richtung der kulturellen Einflüsse hinzu. Französische Schreiber waren in den 'Behörden' Heinrichs VI. deutlich präsent (S. Sobecki, The Handwriting of Fifteenth-Century Signet Clerks, 82-124). Man mag bei der Lektüre fast den Eindruck gewinnen, dass der Band in dieser Ausrichtung auch ein Kommentar zu aktuellen politischen und sozio-kulturellen Diskussionen ist.
Ein Schwerpunkt des Wirkens der Jubilarin Mooney lag auf der Londoner Gildenhalle, in deren Umfeld sich zahlreiche Personen finden lassen, die entweder unmittelbar Literaturschaffende waren oder wesentlich zur Vervielfältigung dieser Werke beigetragen haben. Somit tritt auch dieses bürgerliche Londoner Zentrum recht häufig in Erscheinung und wird von E. V. Stubbs (Seeking Scribal Communities in Medieval London, 125-145) ausdrücklich in das Zentrum ihrer Überlegungen gestellt.
Auffällig ist indes, dass eine ganze Reihe Beiträge relativ unbeschadet von modernen Überlegungen zu didaktischem Textaufbau sind. So beginnt der alte Weggefährte Mooneys D. W. Mosser (When is a 'Canterbury Tales Manuscript' not Just a Canterbury Tales Manuscript?, 285-311) recht unvermittelt mit der Erörterung der Mitüberlieferung in den Handschriften der Canterbury Tales. Nach etwa zehn Seiten Text mit Aufzählungen folgen dann etwa 15 Seiten Anhänge. Ähnlich scheint M. G. Sargent (Manuscripts of Walter Hilton's Scale of Perfection, 183-199) eine recht präzise Vorstellung seiner Zielgruppe zu haben: Die Einleitung bleibt sehr knapp.
Der Verbindung von handschriftlicher Überlieferung und frühen Drucken gehen insbesondere zwei Aufsätze nach: H. James Maddocks (Scribes and Booklets: The 'Trinity Anthologies' Reconsidered, 146-179) und S. Horobin (Cambridge, Trinity College, Ms R.3.15 and the Circulation of Chaucerian Manuscripts in the Sixteenth Century, 312-328). Auch S. Powell (Founders' Book of Tewkesbury Abbey, 259-282) schlägt diese Brücke, wobei es bei ihr eher um Seicentinen eines nicht zeitgenössisch überlieferten Textes geht.
Bemerkenswert ist auch, dass es eine interne Kleinauseinandersetzung über den Grad der paläographischen Erkenntnismöglichkeiten zu geben scheint, wenn R. Hanna moniert, dass Versuche, individuelle Züge einer Hand zu identifizieren, häufig zur Verwechselung eines individuellen Merkmals mit grundsätzlichen Gegebenheiten der Schrift führen (71): "Appeals narrower than this attention to 'general visual aspect' [...] tend to confuse features generic to a script with features individual to a hand." Dahingegen baut S. Sobecki seinen ganzen Beitrag um genau solch ein Bemühen um die Identifikation individueller Hände auf, wenn er insgesamt 16 Schreiber aus zwei unterschiedlichen 'Behörden' des englischen Königreichs im späten 15. Jahrhundert mit ihrer Schrift vorstellt. Hanna zeigt sich als Verfechter einer sehr klassischen Didaktik der Paläographie, was, dieser persönliche Einschub sei gestattet, doch recht befremdlich anmutet: Unter Verweis auf zweifelsohne sehr erfolgreiche Paläographen verschreibt er sich in Form persönlich gehörter Äußerungen der 'Na, das sieht man doch!'-Didaktik. Ich halte es für einen großen Fortschritt des Lehrbuchs von Albert Derolez, dass er soweit als möglich transparent gemacht und beschrieben hat, wie welche Schrift aussieht, um die Zuweisung einer Schrift nach Möglichkeit auf einzelne diskutierbare Argumente zurückzuführen. [1]
Bei Sobecki ist mit Rücksicht auf Freunde der rheinischen Kirchengeschichte eine kleine Korrektur anzubringen: Die Urkunde Kurköln 1927 wird nicht mehr in Düsseldorf, sondern in Duisburg aufbewahrt. [2]
Der vom bibliophilen Standpunkt aus durchaus ansprechend gestaltete Band enthält, wie schon angedeutet, eine ganze Reihe Aufsätze mit recht hohen Zugangshürden, die einleitungslos an anderer Stelle geführte Diskussionen weiterführen - oder sogar völlig selbstgenügsam sind: Nicht immer erschließt sich das Ziel und der Gewinn eines Aufsatzes ohne mehrfache Lektüre und ruminatio des Gelesenen. Das ist letztlich bedauerlich, wird doch so die profunde Gelehrsamkeit der Beiträger schwer zugänglich. Dafür kommt stellenweise eine etwas sehr persönliche Zugangsweise zum Tragen, wenn etwa der Autor in seinem Beitrag referiert, was er ausrief, als die Jubilarin ihm eine Schriftprobe vorlegte, die zu einem für ihre Forschung wichtigeren Fund führte (72): "OMG. Congratulations."
Heterogen ist der Verweis auf Digitalisate: In manchen Beiträgen werden die Digitalisate der Handschriften oder mindestens ihrer Katalogeinträge in Fußnoten gegeben, recht häufig indes nicht.
Schlussendlich wäre zu überlegen, welche deutschen Bibliotheken angesichts knapper Mittel diesen Band anschaffen sollten. Eine ausgeprägte anglistische Mediävistik, die viel mit den Hilfswissenschaften kooperiert, sollte wohl vorhanden sein. Die Heroen des spätmittelalterlichen englischen Literaturbetriebs von Wyclif über Chaucer zu Gower dürften fast alle Erwähnung gefunden haben.
Anmerkungen:
[1] Albert Derolez: The Palaeography of Gothic Manuscript Books. From the Twelfth to the Early Sixteenth Century (Cambridge Studies in Palaeography and Codicology, 9), Cambridge 2003.
[2] https://www.archive.nrw.de/archivsuche?link=VERZEICHUNGSEINHEIT-Vz_65c30202-391f-4749-8b63-38a8abb12bbd (Abruf am 10.11.2022).
Andreas Kistner