Rezension über:

Jonas Kreienbaum: Das Öl und der Kampf um eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Die Bedeutung der Ölkrisen der 1970er Jahre für die Nord-Süd-Beziehungen, Berlin: de Gruyter 2021, VIII + 354 S., ISBN 978-3-11-076970-8, EUR 59,95
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Rezension von:
Marie Huber
Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
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Marie Huber: Rezension von: Jonas Kreienbaum: Das Öl und der Kampf um eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Die Bedeutung der Ölkrisen der 1970er Jahre für die Nord-Süd-Beziehungen, Berlin: de Gruyter 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 12 [15.12.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/12/37020.html


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Jonas Kreienbaum: Das Öl und der Kampf um eine Neue Weltwirtschaftsordnung

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Jonas Kreienbaum untersucht in seinem Buch die Auseinandersetzungen um die New International Economic Order (NIEO) am Beispiel der beiden Ölkrisen 1973 und 1979/80. Er plädiert dafür, diesen Zeitraum als eigene, entscheidende Periode zu betrachten. Im Kern der NIEO standen das Argument, dass die ökonomischen Probleme der sogenannten Dritten Welt Folgen von kolonialer und neokolonialer Ausbeutung seien, und der Anspruch, diese Strukturen mit den Mitteln der internationalen Politik zu verändern. Diese Forderung bildete von den 1950er bis Ende der 1970er-Jahre die Basis, auf der sich die Gruppe der Entwicklungsländer sammeln und gemeinsam agieren konnte. Kreienbaum stellt die Idee der Solidarität ins Zentrum, anstatt sich auf einzelne Programmpunkte zu stützen. Letztlich erreichte die Solidarität der Entwicklungsländer erst durch die Ölmacht der Organisation of Petroleum Exporting Countries (OPEC) und der ihr angehörigen Staaten genügend Bedeutung, um die NIEO (wenn auch nur für kurze Zeit) ernsthaft auf den Verhandlungstisch zu bringen.

Im Wechsel widmen sich die Kapitel den großen internationalen Foren der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), der Treffen der Blockfreien Staaten und der OPEC sowie der Analyse der nationalen Auswirkungen und politischen Reaktionen. Die erste Hälfte der Kapitel ist der Genese der Forderungen nach Strukturveränderungen nach 1945 sowie den Folgen der ersten Ölkrise und dem Erstarken der Position der "Dritten Welt" auf der internationalen Bühne gewidmet. Die zweite Hälfte beschreibt, wie die zunehmend disparaten Interessen und Problemlagen der Länder zu Brüchen in der Solidarität führte, und wie die Verschärfung ökonomischer Probleme durch die zweite Ölkrise letztlich zu einem Scheitern der Forderungen nach einer gerechteren internationalen Handels- und Währungspolitik führte.

In den letzten Jahren haben die Geschichte internationaler Organisationen und der Nord-Süd-Beziehungen sowie auch die Geschichte globaler Süd-Süd-Solidaritätsbewegungen verstärkt Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren. Eine tiefergehende Erforschung der NIEO fehlte jedoch bislang. Dass die Auseinandersetzung um die NIEO länger und tiefgreifender die internationale Agenda bestimmt hat, als bisher in der Forschung angenommen, vermag Kreienbaums transnationale Studie überzeugend aufzuzeigen. Sie nimmt die globale Wirkung der Ölkrise als Ausgangspunkt und zeigt, wie viele Regionen betroffen waren. Die detailreiche Analyse demonstriert, dass die NIEO nie ein konkretes, fixes Programm, sondern ein sich wandelnder Katalog von Forderungen und Deutungen war, der zwischen Reform und Revolution des bestehenden kapitalistischen Systems oszillierte.

Um den "globalen Schock" der Ölkrise zu verstehen, reicht es nicht zu untersuchen, wie westliche Industrieländer den Schock verdauten und in neue außenpolitische Programme umsetzten. Vielmehr müssen dafür südliche und nördliche Perspektiven in einer Erzählung zusammengeführt werden. Die Schwierigkeit, die sich dabei stellt, ist das Ungleichgewicht der Quellen, das sich auch im Forschungsstand widerspiegelt. Das Fallbeispiel Sambia mit Materialien aus dem dortigen Nationalarchiv dient als analytische Sonde, ergänzt durch Einblicke in die indische und kenianische Situation, die vor allem durch Akten aus dem britischen Nationalarchiv hergestellt werden. Dieses Vorgehen erzeugt eine schlüssige Kontextualisierung, die als Vorbild für zukünftige Arbeiten dienen kann.

Die so erzeugte Multiperspektivität ist sicherlich nicht ausgewogen. Vielmehr zeigt die Untersuchung in einer gut strukturierten, chronologischen Erzählung auf, dass die grobe Einteilung in Nord und Süd oder Entwicklungsländer und Industrieländer nicht für alle Organisationen gleichermaßen passt. Wie eng verbunden und wie ausweglos die Ölkrisen und die immer weiter ansteigende Verschuldung für ein in der Rohstoff- und Energieversorgung extrem abhängiges Land wie Sambia waren, wird eindrücklich vermittelt. Das Ergebnis der Sondierung liefert wichtige Erkenntnisse aus der Perspektive der am stärksten Betroffenen, um die fundamental ungerechte Weltwirtschaftsordnung zu verstehen und die zunehmende Kritik an den internationalen Finanzinstitutionen zu substantiieren.

Leider bleibt das Buch an einer entscheidenden Stelle hinter dem selbst gestellten Anspruch an eine multiperspektivische Erzählung zurück, wenn es die Literaturschau zur sambischen Geschichte mit der Behauptung einleitet, dass es keine "aktuelle allgemeine Geschichte Sambias" (20) gebe. Hier wäre eine differenziertere Konstruktion des Forschungsdesiderats, die sich nicht nur an deutschen disziplinären Grenzziehungen orientiert, angemessen gewesen. Nicht nur gehört Sambia zu den gut beforschten Ländern Afrikas [1], besonders spannende Beiträge kommen in jüngster Zeit aus Sambia selbst. [2]

Das große Verdienst von Jonas Kreienbaums Arbeit ist zu zeigen, dass die Nord-Süd-Beziehungen aus südlicher Perspektive noch viel stärker als konstitutiver Teil der Geschichte des Nordens gesehen werden müssen und dass sie momentan in der Globalgeschichte oder internationalen Geschichte noch zu wenig Beachtung finden. Die angestrebte Multiperspektivität gelingt auch insofern, als dass es möglich ist, das Buch aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu lesen. Die Erzählung verweigert sich einer Entscheidung für eine Hauptursache, stattdessen beschreibt sie sorgfältig und gut nachvollziehbar die wechselhaften Spannungen, die wirtschaftlichen und politischen Dynamiken der Entscheidungsprozesse rund um die beiden Ölkrisen. Besonders die Quellenarbeit mit den Aufzeichnungen zum dritten Treffen der Blockfreien Staaten in Lusaka, der Hauptstadt Sambias, ist hier hervorzuheben. So wird deutlich, wie viel Einfluss Entwicklungsländer zeitweise auf der internationalen Ebene hatten - eine Tatsache, die heute nur allzu leicht nebensächlich erscheint.


Anmerkungen:

[1] Vgl. hierzu beispielhaft: Iva Peša: Mining, Waste and Environmental Thought on the Central African Copperbelt, 1950-2000, in: Environment and History 28 (2022), 259-284; Naomi Haynes: Moving the Spirit - Pentecostal Social Life on the Zambian Copperbelt, Oakland 2017, und Stephanie Lämmert: "Let's Hope There Are Some Good Girls". Sugar Relationships and Feminine Respectability in Post-Independence Zambia, in: L'Homme. European Journal of Feminist History 32.2 (2021), 21-39.

[2] Etwa von Sishuwa Sishuwa: Patronage Politics and Parliamentary Elections in Zambia's One-party State c. 1983-1988, in: Journal of Eastern African Studies 14 (2020), 591-612.

Marie Huber