Renate Oldermann: Leveke von Münchhausen- von Hammerstein (1614-1675). Eine Frau in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021, 169 S., 70 Farbabb., ISBN 978-3-412-52058-8, EUR 25,00
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"Historische" Literatur mit weiblichen Protagonistinnen hat Konjunktur. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls in vielen Buchhandlungen, wo stapelweise Geschichten von "Wanderhuren" und anderen fiktiven weiblichen Persönlichkeiten zum Verkauf ausliegen. Sie prägen das populäre Bild von Frauenleben in Mittelalter und Früher Neuzeit. Renate Oldermann setzt gleichsam einen realhistorischen Kontrapunkt in dieser Bücherwelle. Dazu greift sie auf das in Adelsarchiven außerordentlich vielfältig vorhandene Quellenmaterial zurück, das von Briefen, Leichenpredigten und biografischen Aufzeichnungen über Verträge bis hin zu Rechnungsbelegen reicht, und zeichnet den Lebensweg der Leveke von Münchhausen (1614-1675) nach. Darüber hinaus standen mit Familienporträts, Epitaphien, Wappensteinen und Rittergütern weitere Quellen für die Darstellung adliger Lebenswelten zur Verfügung, sie tragen zur Anschaulichkeit der Arbeit bei. Bei aller Detailtreue, so schreibt sie in ihrer Vorbemerkung, sei es aber notwendig gewesen, "einige fiktive Elemente" einzufügen, um eine lesenswerte Darstellung zu erhalten.
Der Lebensweg der Leveke von Münchhausen beginnt kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg im Weserraum. Sie entstammt einer dort in zwei Linien beheimateten großen Familie mit zahlreichen Wohnsitzen, die nicht nur den "Lügenbaron", sondern viele Staatsmänner und Stiftsdamen hervorgebracht hat. Ihrem Vater, Ludolf von Münchhausen, hat Brage Bei der Wieden eine sehr lesenswerte wissenschaftliche Ausarbeitung gewidmet, sie bildet eine wichtige Basis für die Biografie der Tochter. [1]
Die Darstellung setzt mit dem vorübergehenden Eintritt der dreizehnjährigen Leveke von Münchhausen in das Stift Fischbeck ein, dem zwischen 1630 und 1636 die Phase einer relativ eigenständigen Haushaltsführung in einem Wohnsitz der Familie in (heute Hessisch) Oldendorf folgte. Hier lernte die Adlige ihren zukünftigen Ehemann, den bürgerlichen Obersten Christian Bessel, kennen, den die Familie als nicht standesgemäß ansah. Vor allem die Unsicherheiten des Dreißigjährigen Kriegs, aber auch das Einsehen der Mutter führten dazu, dass Leveke von Münchhausen ihren Wunsch durchsetzen und Bessel heiraten konnte. Neun Jahre später war sie Witwe mit zwei Töchtern, eine Tochter war bereits verstorben. Ihre zweite Ehe schloss sie zwei Jahre später mit dem 34 Jahre älteren Landdrosten Hans Adam von Hammerstein. Nach der Geburt von fünf Söhnen war sie nach zehn Jahren erneut Witwe. Seitdem lebte sie auf einem Sitz der Familie und kümmerte sich um Ausbildung und Versorgung von Kindern und Stiefkindern. Als sie 1675 starb, waren von den acht Kindern, die sie geboren hatte, nur noch vier am Leben, davon starben zwei nur ein bzw. zwei Jahre nach ihr.
Die einzelnen Lebensstationen werden anschaulich dargestellt und mit verschiedenen Themen rund um adliges Leben im 17. Jahrhundert verbunden. So geht es um finanzielle Handlungsspielräume von Frauen, ihre Versorgung und damit eng verknüpft ihre Netzwerke, aber auch um Ausbildungswege junger Adliger, den hohen Anteil an Militärs im Adel, Sterblichkeit in den Familien, Schilderungen von konkreten Kriegsgeschehen und deren Auswirkungen auf die Region sowie Einblicke in die materielle Ausstattung adliger Haushalte inklusive der Lebensmittelversorgung. Dabei wird Leveke von Münchhausen als eine eigenständige und tatkräftige Person klar erkennbar, die im Rahmen der ihr zugewiesenen Rolle durchaus Handlungsoptionen hatte und diese auch nutzte, wie nicht zuletzt ihre Eheschließungen belegen.
Einmal mehr wird mit dieser grundsätzlich quellennahen Darstellung deutlich, wie stark die Polarisierung der Geschlechtscharaktere seit etwa 1800 (Karin Hausen) lange Zeit den Blick auf Handlungsspielräume von Frauen in der Frühen Neuzeit vernebelt hat. Heide Wunder hat mit der grundlegenden Aufarbeitung der Geschlechterverhältnisse in "Er ist die Sonn', sie ist der Mond" [2] bereits 1992 den Schleier gelüftet, in der Folge sind zahlreiche Arbeiten zu Frauen, darunter nicht wenige zu solchen aus dem hohen und niederen Adel entstanden. Renate Oldersmann hat diesen Werken die Biografie einer Angehörigen des niederen Adels hinzugefügt, die stellenweise, insbesondere durch die Zitate aus den Briefen, nah an Persönlichkeiten der Frühen Neuzeit heranführt. Die stilistische Gestaltung stärker erzählerisch geprägter Abschnitte überzeugt nicht durchgehend und macht die Schilderungen nicht lebendiger, als es die - allerdings mitunter sprachlich recht schwer erschließbaren - historischen Zitate tun. Zugleich ist es schwierig, zwischen den fiktiven und den auf Quellen basierenden Stellen zu unterscheiden; es steckt auch in den Passagen ohne Belege mehr Quellenmaterial, als die Anmerkungen suggerieren. Dies mindert aber die Zitierfähigkeit der Arbeit, die wiederum eine wichtige Grundlage dafür wäre, das Leben der Leveke von Münchhausen in größere Zusammenhänge einzuordnen. Dass dies in der biografisch angelegten Arbeit nicht erfolgt ist, liegt nachvollziehbar an dem Interesse, hier den Lebensweg einer bestimmten Frau zu würdigen - übrigens offenbar mit großer Unterstützung der Nachfahren der Leveke von Münchhausen, was zu einem etwas kurios anmutenden "Doppelnamen" im Titel geführt hat. Aufschlussreich wäre es nun, einmal zu überprüfen, ob der gewählte "gemischte" Zugang etwa auch Leser:innen der eingangs erwähnten populären Literatur anspricht. Und ob dann irgendwann niemand mehr überrascht ist, dass adlige Frauen sich ihr Vermögen - hier geht es immerhin um 2 000 Reichstaler - "mit muhe undt fleis zusammen" sparten und einsahen, dass es ungünstig war, dies "in kassen steihen" zu haben, und entsprechend anders damit operierten (131).
Anmerkungen:
[1] Brage Bei der Wieden: Außenwelt und Anschauungen Ludolf von Münchhausens (1570-1640) (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. XXXII), Hannover 1993.
[2] Heide Wunder: "Er ist die Sonn', sie ist der Mond." Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992.
Anke Hufschmidt