Nathalie Kálnoky: The Szekler Nation and Medieval Hungary. Politics, Law and Identity on the Frontier, London: Bloomsbury 2020, XVI + 240 S., ISBN 978-1-7883-1482-4, USD 40,95
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Nathalie Kálnoky, Mitglied im Zentrum für Rechtsgeschichte und Anthropologie der Universität Paris-Nanterre und spezialisiert auf die Geschichte des Rechts und der Institutionen in Ungarn und im Fürstentum Siebenbürgen im Mittelalter und in der Neuzeit, bietet mit diesem Werk eine konzise Darstellung der Szekler (Székely) zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen dabei die soziale und rechtliche Organisation dieser Volksgruppe sowie deren Eingliederung im Ungarischen Königreich bis zum Jahr 1562, als Fürst Johann I. von Siebenbürgen das Szekler Recht stark einschränkte.
Die in zwei Hauptteile gegliederte Arbeit basiert im Wesentlichen auf der inhaltlichen und statistischen Auswertung der anhand von Editionen und Regestenwerken zusammengestellten Quellen. Im ersten Teil zeichnet K. ebenso die wichtigsten Theorien zur Herkunft der Szekler nach wie die Etappen ihres Weges von einem militärischen Hilfsvolk innerhalb des Ungarischen Königreichs bis zu ihrer Niederlassung im 13. Jahrhundert im Szeklerland. Wie die Autorin mehrfach (24f., 38) betont, gelang den Szeklern die Wahrung ihrer Unabhängigkeit und Gewohnheiten, während andere militärische Hilfsvölker mit der Zeit assimiliert wurden. Der König wies ihnen im Gegenzug für den von ihnen geleisteten Grenzschutz nicht nur Land im Osten Ungarns zu, sondern bestätigte auch die Beibehaltung ihres auf Militärrecht und Klanstrukturen basierenden Gewohnheitsrechts sowie ihre kollektiven Privilegien, deren Grundzüge im Weiteren von Kálnoky als Basis für den zweiten Teil näher erläutert werden. Dabei skizziert sie die Verwaltung und Organisation der Szekler Nation (u.a. die autonomen Verwaltungseinheiten der sog. Szekler Stühle, Klanstruktur) auch in ihrem Verhältnis zu den Strukturen Siebenbürgens, zur Kirche und zu den königlichen freien Städten.
Im zweiten Teil widmet sich Kálnoky sodann ausführlich dem Gewohnheitsrecht der Szekler in seiner Praxis und Niederschrift. Ausgehend vom zunehmenden Druck von außen und Konflikten innerhalb der Szekler Nation wurden deren Privilegien und die Eigenheiten des mündlich tradierten Gewohnheitsrechts im 15. und 16. Jahrhundert nach und nach schriftlich festgehalten und bestätigt. Die Autorin positioniert sich in ihrer Interpretation dieser Kodifikationen deutlich, indem sie betont, dass diese nicht den Anfang vom Ende der Szekler, sondern die "apotheosis of Szekler law" (73) bedeutet hätten, auf die sich die Szekler zum Schutz ihrer Identität und Privilegien in der Folge immer wieder beriefen. Daran anschließend legt Kálnoky in ihrer Untersuchung des Ablaufs von Rechtsprozessen der Szekler und der Herausarbeitung der für einen Prozess relevanten Akteure überzeugend dar, wie sehr das seit der Landnahme auf komplexen Klanstrukturen und einer militärisch-rechtlichen Doppelspitze basierende Gewohnheitsrecht das Verhältnis dieser Volksgruppe untereinander ebenso wie zu dem ungarischen Adel, dem Woiwoden von Siebenbürgen, den umliegenden Städten und dem König selbst prägte. So entschied etwa die Zugehörigkeit zu einem Klan über den Zugang zum höchsten Richteramt und zu den wichtigsten militärischen Würden innerhalb der Szekler Gemeinschaft. Dabei spricht Kálnoky auch Widersprüche wie z.B. hinsichtlich des für die führenden Klane so wichtigen Primipilats, das heißt des erblichen Besitzes der wichtigsten Gebiete des ursprünglich kollektiv besessenen Klanlandes (113 ff., 133), an oder hinterfragt von der Forschung falsch interpretierte Begriffe wie judex regii ("crown judge", 111f.). Durch die Analyse zahlreicher Rechtsdokumente und -streitigkeiten über Landbesitz gelingt es der Autorin abschließend herauszuarbeiten, wie Einzelpersonen nach und nach - trotz des Szekler Rechts, das Grundbesitz als Kollektivbesitz betrachtete - zu eigenem Besitz gelangen und diesen innerhalb der Familie vererben konnten. Sie zeigt zudem, wie sich Szekler in strittigen Besitzfragen auf ihre kollektiven Privilegien beriefen und so ihren Grundbesitz vor Zugriffen des Königs und ungarischer Adeliger schützten. Besprochen werden in diesem Zusammenhang auch die Regeln hinsichtlich der Vererbung von Besitz an Frauen, die darauf ausgelegt waren zu verhindern, dass der Besitz an Nicht-Szekler fallen konnte.
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich im Wesentlichen um die Übersetzung von Kálnokys 2004 approbierter und zwei Jahre danach publizierter Dissertation. [1] Dies zeigen auch die Bibliografie und der Anmerkungsapparat, in denen kaum eine Publikation aus der Zeit nach 2001 zu finden ist. Lediglich zwei, wohl dem erweiterten Zielpublikum geschuldete, Supplemente zu englisch- und französischsprachigen Veröffentlichungen bieten jüngere Forschungsergebnisse, vor allem jene von Kálnoky selbst. Pluspunkte sind ohne Zweifel die Verweise auf online verfügbare Quellen, Editionen und Regestenwerke, die Übersetzung der Szekler Konstitutionen von Udvarhely und Agyagfalva von 1505 und 1506 sowie die zahlreichen Karten und Tabellen (statistische Darstellungen der Forschungsergebnisse, genealogische Tabellen, Toponyme der Städte Siebenbürgens und der Dörfer der Szekler etc.). Für Einsteiger in die ungarische Geschichte des Mittelalters dürften das Glossar zu den wichtigsten Begriffen und die Liste der ungarischen Herrscher besonders hilfreich sein. Ergänzt wird das Buch durch Illustrationen und einen Index.
Anmerkung :
[1] Nathalie Kálnoky: Les Constitutions et Privilèges de la Noble Nation Sicule. Acculturation et maintien d'un système coutumier dans la Transylvanie médiévale, Budapest u. a. 2004. Ungarische Fassung: Nathalie Kálnoky: A Nemes Székely Nemzet Konstitúciói és Privilégiumai, Csíkszereda 2007.
Sonja Lessacher