Klaas Van Gelder (ed.): More Than Mere Spectacle. Coronations and Inaugurations in the Habsburg Monarchy during the Eighteenth and Nineteenth Centuries (= Austrian and Habsburg Studies; Vol. 31), New York / Oxford: Berghahn Books 2021, XII + 326 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-1-78920-877-1, GBP 107,00
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Die Grundthese dieses Sammelbandes ist im Titel schon gültig zum Ausdruck gebracht: Krönungen und Huldigungen sind eben nicht, wie der Aufklärer Johann Heinrich Gottlob von Justi 1758 meinte, "bloß äußerliche Ceremonien", sondern symbolische politische Aktionen, in denen sowohl Hierarchie, Rang und Abstufung der Beteiligten sinnlich zum Ausdruck gebracht werden als auch ein bestimmtes wechselseitiges Verhältnis von König und Untertanen bekräftigt wird. Wenn es nicht gar, nach vorausgegangenen Aushandlungsprozessen, adjustiert oder neu definiert wird. Und diese monarchische und altständische Praxis endet nicht etwa 1789, sondern zieht sich vom 18. Jahrhundert noch weit ins 19. hinüber, wenngleich mit der veränderten Funktion eines intendierten Legitimitätsgewinnes durch öffentliche Darstellung des Konsenses zwischen Herrschern und Beherrschten.
Der vorliegende Sammelband behandelt die habsburgischen Lande, bezieht seinen wissenschaftlichen Wert aber vor allem aus der umfassenden Auslegung dieses Begriffes und der europäischen Klammerfunktion einer Dynastie, die in der hier ins Auge genommenen Epoche neben den habsburgischen Kernlanden auch Böhmen und Ungarn, die österreichischen Niederlande, Teile Italiens und Polens umfasste. Insofern handelt es sich bei den 10 Studien dieses Bandes (nebst Einführung und Nachwort) um eine Komposition weitausgreifender Forschungen, die mit dem Eingehen auf die regionalen historischen Einzelheiten ein gemeinsames Interesse an vergleichbaren Elementen und Funktionen von Krönungen und Huldigungen in verfassungsmäßig unterschiedlich strukturierten Gebieten als Instrument der Analyse einsetzen. Während man also auf den ersten Blick den Eindruck haben mag, Krönungen und Huldigungen verliefen, wenn nicht immer gleich, so doch ähnlich, und seien in ihrer Funktion grundsätzlich analog, lässt sich aus den hier präsentierten Studien über Kaiserkrönungen, Königskrönungen in Ungarn und Böhmen, Joyeuses Entrées in Brabant und Flandern, Huldigungen in Galizien und Tirol sowie eine Krönung in Lombardo-Venetien 1838 schließlich eine überraschende Vielfalt der Formen und Funktionen erkennen.
In Bezug auf die Forschungslage insgesamt lässt sich wohl ein gewisser Boom des Themas Zeremonien etwa seit dem Jahr 2000 erkennen (Harriet Rudolph); doch rechtfertigt der Herausgeber Klaas Van Gelder seine Unternehmung damit, die Habsburger seien dabei nicht genügend berücksichtigt worden.
Während Helen Watanabe-O'Kelly in ihrem Nachwort vor allem auf die Unterscheidung von Krönungen (sakrale Funktion, Salbung) einerseits und Huldigungen (Darstellungen des Verhältnisses von Herrscher und Untertanen, Akklamationen) andererseits Wert legt, unterstreicht Klaas Van Gelder im Vorwort primär den Entwicklungs- und Kontinuitätsaspekt, also sowohl die Epochenspezifik als auch den historischen Wandel von der vorrevolutionären Zeit in die konstitutionelle des 19. Jahrhunderts. Die Verklammerung durch die Dynastie Habsburg bedeutet zunächst forschungspragmatisch eine Eingrenzung des Untersuchungsbereiches, offenbart aber bei genauerer Betrachtung ein staunenswertes Spektrum von Entfaltungsmöglichkeiten.
Nur einige Beispiele. Das simple Faktum einer Krönung ist allein noch nicht sprechend genug; es kommt auch darauf an, wo diese stattfindet, wann und durch wen. In Bezug auf Ungarn lässt sich etwa die Veränderung des Ortes von Székesfehérvár über Buda nach Preßburg feststellen - jeweils im Kontext bestimmter historischer Umstände (Fanni Hende). Dass Karl IV. bereits 1711 zum Kaiser und 1712 zum König von Ungarn gekrönt worden war, aber erst 1723 zum König von Böhmen, hängt mit dem Ausbleiben eines männlichen Erbfolgers und der Durchsetzung der "Pragmatischen Sanktion" zusammen (Petra Vokáčová). Der Integration eines neuen Herrschaftsgebietes in die Habsburgermonarchie diente die Krönung in Lemberg 1773 - in Galizien war zuvor keine solche Zeremonie üblich gewesen (Miloš Řezník). Dass Joseph II. sich zwar 1764 in Frankfurt am Main zum Römischen König krönen ließ, später aber auf weitere Inaugurationszeremonien verzichten zu können glaubte, rächte sich beim Aufstand seiner niederländischen Besitzungen 1789/90 (Klaas Van Gelder). Eine gesonderte Investitur in Tirol hatten die Habsburger durch die Jahrhunderte nicht für nötig gehalten; 1816 wurde sie plötzlich durchgeführt, nachdem Tirol vorübergehend von den mit Frankreich kämpfenden Bayern beherrscht worden war. Die Tiroler erhielten eine Verfassung, wirkten aber eben auch an einer außergewöhnlichen Krönung Franz' I. in Innsbruck mit (William D. Godsey). Eine komplette Neuerfindung einer Tradition schließlich bot die Krönung Ferdinands I. in Mailand 1838. Wenn man diese allerdings als eine manifeste Antwort auf die Krönungen Napoleons versteht, wird auch ihr Charakter als Legitimationsunternehmen einer nicht angestammten Dynastie im Kontext des 19. Jahrhunderts deutlich.
Dies sind nur einige Beispiele aus einem breiten Spektrum von Möglichkeiten, die hier vorgestellt und interpretiert werden. Der sehr sorgfältig gearbeitete Sammelband, an dem überwiegend junge Historikerinnen und Historiker aus einschlägigen Forschungsverbünden an Universitäten, Instituten und vor allem auch Archiven mitgearbeitet haben, zeichnet sich aus durch gleichförmige Gestaltung, in der die übersichtlich gegliederten darstellenden Texte jeweils von kompendiösen Anmerkungsapparaten hinterfangen sind und umfangreiche Literaturlisten den Quellen- und Forschungsbezug transparent machen. Er dokumentiert außerdem die spezifische Internationalität aktueller Forschungsverbünde zum Habsburgerreich, in denen das heute mögliche Zusammenwirken auch mit Forscherinnen und Forschern aus jenen Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches möglich geworden ist, die früher zum "Ostblock" gehörten und einer historischen Deutungsrichtung verpflichtet waren, die an Königen, Ständestaaten und Höfen kein Interesse haben konnte. Die hier versammelten Belgier, Deutschen, Österreicher, Ungarn, Tschechen usw. unterscheiden sich nicht bezüglich ihres Verständnisses von historischer Forschung und Deutung, sondern nur in ihrem jeweiligen Bezug auf bestimmte regionale Archivbestände und historische Ereigniskonstellationen. Ein erfreuliches Ergebnis.
Michael Maurer