Rezension über:

Cornelia Aust / Antje Flüchter / Claudia Jarzebowski (Hgg.): Verglichene Körper. Normieren, Urteilen, Entrechten in der Vormoderne (= Studien zur Alltags- und Kulturgeschichte; Bd. 35), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2022, 264 S., 3 Farb-, 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-13354-8, EUR 58,00
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Rezension von:
Mirjam Janett
Historisches Institut, Universität Bern
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Mirjam Janett: Rezension von: Cornelia Aust / Antje Flüchter / Claudia Jarzebowski (Hgg.): Verglichene Körper. Normieren, Urteilen, Entrechten in der Vormoderne, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/37472.html


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Cornelia Aust / Antje Flüchter / Claudia Jarzebowski (Hgg.): Verglichene Körper

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Der Vergleich hat in der Geschichtswissenschaft Konjunktur. Neben dem klassischen Vergleich gewannen jüngst neuere Ansätze an Bedeutung wie die transnationale Geschichte, die histoire croisée oder die Multi Sited Ethnography. [1] Der vorliegende Sammelband nimmt indes eine andere Perspektive ein: Der Vergleich ist hier nicht Methode, sondern das zu untersuchende Phänomen.

Der Sammelband resultiert aus einer Tagung des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1288 "Praktiken des Vergleichens. Die Welt ordnen und verändern" der Universität Bielefeld. [2] Die Herausgeberinnen Cornelia Aust und Antje Flüchter sind in der Leitungsgruppe des SFB vertreten, Claudia Jarzebowskis Arbeiten sind einschlägig für die Körpergeschichtsforschung der Frühen Neuzeit. Der Band untersucht, wie Körpervergleiche seit dem 12. Jahrhundert hierarchisch Wissen ordneten, neu zusammensetzten und damit Verhältnisse von Welt modifizierten. Menschen verglichen Menschen etwa hinsichtlich ästhetischer Kriterien, sozialer Praktiken wie Hygiene, aber auch reproduktiver Eigenschaften. Unter dieser Perspektive ist der Körper nicht mehr der "unhinterfragte Ausgangspunkt" der Diskurse, sondern "selbst Ort und Objekt des Handelns", wie der Historiker Philipp Sarasin formuliert hat. [3] Körperpraktiken, also zum Beispiel die Art und Weise sich zu kleiden oder den Körper wahrzunehmen, sind damit historisch nicht nur kontingent, sondern durchwoben von Machtverhältnissen und -praktiken, was sie interessant für eine politische Geschichte des Körpers macht. Der Körper, so die Herausgeberinnen, sei in jüngster Zeit jedoch oft ausschließlich als Konstrukt untersucht worden und nicht hinsichtlich seiner Materialität. Diese nimmt der Band in den Blick, um zu prüfen, welchen Stellenwert Körperlichkeit bei "der (Ein-) Ordnung der Menschen" (12) zukam.

Die zehn Beiträge, die chronologisch gegliedert sind, beleuchten transepochal historische Vergleichspraktiken verschiedenster Akteur:innen an Fürstenhöfen, von Reisenden oder Soldaten in kolonialen Kontexten, aber auch in den medizinischen Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit bis in die sogenannte Moderne. Die Herausgeberinnen ziehen aus den unterschiedlichen Fallbeispielen die These, dass der Körper im Laufe der Vormoderne an Bedeutung gewann, um das als fremd oder anders Wahrgenommene in die eigene Deutung von Welt zu integrieren und das daraus abgeleitete Wissen (hierarchisch) zu ordnen. Zwar zielten die Praktiken auf Abgrenzung, dennoch beruhte die Operation des Vergleichs auf einer prinzipiellen "Gleichartigkeitsannahme" (16), wie die Herausgeberinnen betonen; Vergleichspraktiken würden sowohl Differenz markieren als auch eigene Zugehörigkeit sichern. Die Beiträge zu kolonialen Kontexten und zur Geschlechterordnung unterstreichen, wie Vergleichspraktiken zu einer "Entrechtung von Körpern" (20) führten. In kulturellen Kontaktzonen dominierten hingegen selbstreferenzielle Vergleiche, wie die Aufsätze von Malte Wittmaack zum Osmanischen Reich und von Antje Flüchter zu Reiseberichten aus Indien im 16. und 17. Jahrhundert verdeutlichen. Europäische Reisende nutzten etwa Vergleiche von Kleidung und Nahrung zwischen ihnen und den Bewohner:innen des Osmanischen Reichs, um das ihnen Unbekannte zu erklären.

Trotz der unterschiedlichen Kontexte, Phänomene und Epochen sind die Beiträge nicht arbiträr. Ein strikt methodisches Vorgehen hält den Band zusammen, der zudem heuristischen Nutzen hat: Unterschieden wird zwischen den "comparata", den Gegenständen bzw. Vergleichseinheiten, und den "tertia", den Kriterien, anhand derer die Gegenstände verglichen werden. Instruktiv belegen die Studien, wie sich die Vergleichsanordnung immer wieder neu ausrichtete. So konnten die Gegenstände zu Kriterien werden und umgekehrt, wie mehrere Beiträge darlegen. Malin S. Wilckens etwa zeigt, wie in der physiologischen Anthropologie der menschliche Schädel im 19. Jahrhundert sich vom tertium zum comparatum wandelte (203). Der Schädel wurde zum Ausgangspunkt, um die Menschheit in "Rassen" zu klassifizieren.

Die Studien, die Vergleichspraktiken in Bezug auf die Geschlechterordnung in den Blick nehmen und auf den europäischen Kontext fokussieren, verweisen mit dem "Frauenkörper" nicht nur auf ein stabiles comparatum, sondern auch auf klare tertia. Offen bleibt, wie die Auswahl der Fallbeispiele die Ergebnisse strukturiert. Beide Studien handeln von dynastischen Kontexten, in denen im Gegensatz zu anderen Vergleichskontexten ein strategisches Ziel erkennbar ist, nämlich die Dynastiesicherung durch Heiratspolitik (vgl. den Beitrag von Susanne H. Betz) oder durch Schwangerschaftsbehauptung (vgl. den Beitrag von Christina Schröder). Die Herausgeberinnen sprechen diese methodische Schwierigkeit in der Einleitung zwar an, sie bleiben in der Ausführung aber vage. Wie belastbar ihr Fazit ist, dass im europäischen Kontext stabile Vergleichsanordnungen vorherrschend waren, wohingegen in Kontaktzonen und kolonialen Kontexten Vergleiche fluid gewesen seien, bleibt offen.

Der Sammelband verdeutlicht, was die Wissenschaftsgeschichte ähnlich formuliert hat: Die Verwissenschaftlichung der Wissenschaft habe in der Moderne in einer wechselseitigen Rückbindung an soziale Praktiken zur Naturalisierung und Rassifizierung von Körpern geführt. [4] Der Band geht jedoch gewinnbringend darüber hinaus, indem er zeigt, wie dem Körper bereits in der Frühen Neuzeit eine zunehmend wichtige Rolle für "die Bildung von Ordnung(en)" (21) zukam und wie dabei Vergleichspraktiken Körperwissen immer wieder de- und rekontextualisierten. Vormoderne Vergleichskriterien wie Klima, Ernährung und Sitte hatten dabei auch in den Naturwissenschaften und den (rassifizierten) Körperkonzeptionen des 19. Jahrhunderts weiterhin Bestand.

Dem in der Einleitung umrissenen Anspruch, über Praktiken des Vergleichens neue Perspektiven für die Körpergeschichtsschreibung aufzuzeigen, wird der Sammelband gerecht. Interessant wäre, nicht ausschließlich hegemoniale Vergleichspraktiken in den Blick zu nehmen, sondern auch nach solchen marginalisierter Gruppen oder Akteur:innen zu fragen, um den Körper in der Geschichte neu zu vermessen.


Anmerkungen:

[1] Zahlreiche theoretische Beiträge und Standardwerke beschäftigen sich theoretisch und methodisch mit dem Vergleich in der Geschichtswissenschaft, siehe exemplarisch Heinz-Gerhard Haupt / Jürgen Kocka (Hgg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt am Main, New York 1996; Gunilla Budde / Sebastian Conrad / Oliver Janz (Hgg.): Transnationale Geschichte: Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006; Multilokale Ansätze, wie sie in der Ethnologie entwickelt wurden, finden vermehrt auch in der Geschichte Beachtung. Vgl. exemplarisch Cordula Weißköppel: Kreuz und quer. Zur Theorie und Praxis der multi-sited-anthropology, in: Zeitschrift für Ethnologie 130/1 (2005), 45-68.

[2] Siehe: https://www.uni-bielefeld.de/sfb/sfb1288/.

[3] Philipp Sarasin: Mapping the Body. Körpergeschichte zwischen Konstruktivismus, Politik und "Erfahrung", in: Historische Anthropologie 7/3 (1999), 437-451, hier 439.

[4] Vgl. einschlägig Sandra Harding (Hg.): The "Racial" Economy of Science: Toward a Democratic Future, Bloomington 1993.

Mirjam Janett