Rezension über:

Kai Merten / Claus-Michael Ort (Hgg.): Konfessionspolitik und Medien in Europa 1500-1700. Konflikte, Konkurrenzen, Theorien (= Diskursivierung von Wissen in der Frühen Neuzeit; Bd. 4), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2021, VIII + 278 S., 12 Farb-, 18 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-072517-9, EUR 59,95
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Rezension von:
Wenke Bönisch
Langebrück
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Wenke Bönisch: Rezension von: Kai Merten / Claus-Michael Ort (Hgg.): Konfessionspolitik und Medien in Europa 1500-1700. Konflikte, Konkurrenzen, Theorien, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 6 [15.06.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/06/36420.html


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Kai Merten / Claus-Michael Ort (Hgg.): Konfessionspolitik und Medien in Europa 1500-1700

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"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.": Diese weithin bekannte Bibelstelle aus Joh. 1 führt zu einer Kernproblematik des konfessionellen Zeitalters: der existentiellen Frage nach der korrekten Auslegung der Heiligen Schrift. Auf vielfältige Art und Weise beleuchten 14 Autorinnen und Autoren im vorliegenden Sammelband dieses Thema im mediengeschichtlichen Kontext. Der Aufsatzband beruht auf einer entsprechenden Tagung 2017 in Gotha.

Jede christliche Konfession bedarf der Medien als Vermittler zwischen dem Göttlichen und den Gläubigen. In ihnen manifestiert sich die Beziehung zu Gott, zur Schöpfung und zur Auslegung des Transzendenten. Zugleich dienen die Medien als (scharfe) Abgrenzung zu Andersgläubigen und zur Stärkung der eigenen Gemeinschaft. Im Sinne einer modernen Kommunikationswissenschaft verstehen die Herausgeber und Autoren Medien als öffentliche Kommunikationsmittel, die in mannigfaltiger Form auftreten - von Schriften und Büchern über Bilder, Theaterstücke, Meditationsliteratur bis zur Tagespublizistik. Auf der Basis dieses breiten Verständnisses von Medien zeigen sie anhand von Fallbeispielen die Vielschichtigkeit religiös fundierter Konflikte in Medien, mit Medien und zwischen den Medien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Dabei legen sie ihre Studien geografisch weit an: auf den deutschen, über den romanischen bis zum englischen Sprachraum konzentrieren sich die Beiträge, und ermöglichen somit auch im räumlichen Vergleich neue Einsichten und geben der Forschung neue Impulse.

In den Diskurs von Religion und Medienwissenschaft für religiöse Konflikte im konfessionellen Zeitalter führen Claus-Michael Ort und Kai Merten mit ihrem Beitrag über Medien und Religion ein. Nach einer pointierten Einführung in den Forschungsstand zeigen sie anhand der Holzfigurengruppe der Muttergottes mit Kind aus Neukirchen b. Hl. Blut und dem Frontispiz aus dem Mirakelbuch des Franziskaners Fortunat Hueber die diskurstheoretische Debatte über starke und schwache Medien in der reformatorischen Bilderstürmerei, während der Reformation und Gegenreformation auf. Die Auseinandersetzung mit den wissenschaftstheoretischen Ansätzen erfordert dabei vom Leser eine starke Konzentration und sichere Handhabung der medienwissenschaftlichen Fachbegriffe.

Zwei verschiedene Ansätze bilden den thematischen Rahmen des Sammelbandes. Gilt es im ersten Teil, der Konfessionspolitik als Medienpolitik nachzuspüren, widmet sich der zweite der Religion in den Medien. Den Reigen der einzelnen Aufsätze eröffnet Gabriele Müller-Oberhäuser mit ihrem Beitrag über Bücherverbrennungen oder Bücherverstümmelung in England unter Heinrich VIII. Hier stehen die Intentionen und Folgen verschiedener Art von Zensur im Fokus. Bedeutet Bücherverbrennung einen einschneidenden Akt sichtbarer physikalischer Zerstörung nicht gewollter Schriften, so ist die Veränderung durch textliche Korrektur oder Reinigung (Streichung, Ausradierung) diffiziler. Sehr anschaulich führt die Autorin die technischen, personellen und intellektuellen Herausforderungen bei der Umsetzung der Zensur-Gebote Heinrichs VIII. aus.

Das klassische Thema Bildpropaganda in religiösen Konflikten des konfessionellen Zeitalters rücken Kai Bremer und Matthias Rekow in den Fokus ihrer Beiträge. Bremer widmet sich dem "Prager Bild" von 1585 und zeigt auf, wie der Stuttgarter Hofprediger Lucas Osiander und die beiden Wiener Jesuiten Georg Scherer und Christoph Rosenbusch einen regelrechten Medienstreit entfachten. Wie sehr Flugschriften als Bild-Text-Medium in konfessionspolitischen Konflikten dienten und dem jeweiligen machtpolitischen Interesse unterworfen waren und dabei in ihren Aussagen und Intentionen einem Wandel unterlagen, zeigt Matthias Rekow am Beispiel des siebenbürgischen Fürsten Gabriel Bethlen im Böhmisch-Pfälzischen Krieg von 1618 bis 1623 auf.

Nicola Glaubitz und Corinne Bayerl untersuchen in ihren Beiträgen Medienpolitik auf der Bühne. Natürlich spielen Theaterstücke eine nicht unwesentliche Rolle in der konfessionspolitischen Auseinandersetzung der Frühen Neuzeit. Neben der Grundsatzfrage, ob Theater überhaupt sein darf, wirken Theaterstücke weithin in ein Publikum hinein, das wieder als Mittler der Botschaft auftritt. Vor allem für Historiker verspricht der theaterwissenschaftliche Ansatz neue Impulse.

Frank Nagel, Stephanie Wodianka, Dieter Fuchs, Ralf Haekel und Ulrich Heinen blicken im zweiten Teil des Sammelbandes in ihren Aufsätzen auf die Vermittlung des Transzendentalen in der religiösen Literatur. Räumlich spannen die Beiträge von Spanien bis nach England einen weiten Bogen. Grundsätzlich steht immer die Frage im Mittelpunkt, wie scharf die theologisch-konfessionellen Auseinandersetzungen in der religiösen Literatur geführt wurden. Oder gab es irenische Tendenzen, wie sie Frank Nagel bei Constantinos Ponce de la Fuentes "Suma de doctrina cristiana" ausmacht oder sogar erste ausgleichende Impulse, wie sie Ralf Haekel in John Miltons "Paradise Lost" sieht?

Letztlich bleibt nach der Lektüre aller Beiträge die Frage offen, inwiefern solche Forschungsfragen nachhaltig auf die historiographische Betrachtung des Konfessionellen Zeitalters, vor allem aus der politikhistorischen Sicht, einwirken. Frische Ideen und Impulse bietet der Sammelband. Sie zeigen, wie lebendig die Diskussion um das Verhältnis von Politik und Religion im konfessionellen Zeitalter ist und dass sie dringend der Fragen aus den geschichtswissenschaftlichen Teilbereichen bedarf.

Wenke Bönisch