Mackenzie Cooley: The Perfection of Nature. Animals, Breeding, and Race in the Renaissance, Chicago: University of Chicago Press 2022, XVI + 353 S., 30 s/w-Abb., ISBN 978-0-226-82228-0, USD 37,50
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Menschen haben schon immer in die Reproduktion ihrer Haus- und Nutztiere eingegriffen mit dem Ziel, Populationsgrößen zu kontrollieren, Leistungsfähigkeit zu steigern oder als ästhetisch empfundene Phänotypen zu "erschaffen". Eine ganz maßgebliche Motivation liegt wohl auch in der Hoffnung, sich in der vollkommenen Kreatur selbst wiederzuerkennen. Man könnte in der ewigen Suche nach Perfektion und damit verbundenen Zuchtphantasien so etwas wie kulturelle Grundkonstanten sehen, wobei am Ende des Idealbilds oft die Abstammung als biologistischer Letztwert steht. Manchmal, aber nicht immer funktionierte Tierzucht als Folie für Menschenzucht, deren frühe Ausprägungen zuletzt von Maren Lorenz behandelt worden sind.
Mit "The Perfection of Nature" legt die US-amerikanische Kollegin Mackenzie Cooley eine wissenshistorische Studie zu frühen Gedanken zu Tierzucht (und -aufzucht) sowie Praktiken des breeding vor. "Zucht" meint hier gezielte Selektion von Paarungspartnern ohne Manipulationen der noch unbekannten Genetik und die damit zusammenhängenden Techniken des planmäßigen "Imports" von Tieren, des Dokumentierens und des Brandmarkens, wobei der deutsche Begriff den Bedeutungsweiten von to breed eigentlich nicht gerecht wird. Ausgehend vom in der Romania nachweisbaren Konzept der razza (12-13, 50-55) spannt die Autorin einen weiten Bogen von der Naturphilosophie über Pferdezucht in Norditalien und Neapel hin zu Hunde- und Kamelpopulationen im iberischen Kolonialreich.
Mackenzie Cooley zeigt in diesem großen, quellengesättigten Panorama die vielfältig verflochtenen Diskurse über Anlage und Umwelt, in denen notorisch klassifiziert wurde und die Idee der anthropologischen Differenz immer wieder an ihre Grenzen stieß. Die Grenze zwischen dem Menschlichen und Nichtmenschlichen verwischte, wenn von lineage im Sinne von Abstammung die Rede war, eine als durchaus "europäisch" charakterisierte Obsession, die allerdings im aztekischen Konzept der Saat und des Aussäens (xinachtli, 104-112) auf die eine oder andere Weise ein Pendant fand. Viehzucht steht nicht im eigentlichen Fokus, tritt aber im Zusammenhang mit dem Columbian Exchange auf den Plan. Die iberische Hegemonialordnung führte in Mittel- und Südamerika andere Wirtschaftsweisen, Zucht- und Haltungskonzepte sowie unbekannte Tierarten ein mit z.T. desaströsen Auswirkungen auf die heimische Fauna. Infolge der Umfunktionierung von Alpakas und Vikunjas zu Lastentieren und der Aufgabe der zuvor von den Inka betriebenen Hege waren diese Populationen im Peru der Mitte des 17. Jahrhunderts drastisch reduziert (161-162).
Der erste Teil ("Knowing and Controlling Animal Generation") beginnt mit einer Einführung in naturphilosophische Auffassungen über tierische Reproduktion seit der Antike und behandelt dann die norditalienische und neapolitanische Pferdezucht als einen Bereich praktischen Wissens, in dem der Begriff der razza früh zur Anwendung kam. Die Autorin stützt sich u.a. auf Reittraktate, Pferdelisten und Taschenratgeber zum Nachschlagen von Brandmarken (63-68). Mit dem Pferd arbeitet sich Cooley an einem Paradebeispiel für die Standardisierung von Züchtungspraktiken ab und stellt überzeugend die ökonomische Bedeutung heraus, insbesondere das "Produzieren" für einen inneritalienischen, aber auch international gefragten Markt, auf dem große Adelsfamilien und kleine Privatiers mit gleich mehreren Hausrassen agierten. Im Vizekönigreich Neapel wurde die Ausfuhr der Tiere streng von der spanischen Krone kontrolliert.
Der zweite Teil ("A Divergence in Breeding") vertieft zunächst die Praxis der Pferdezucht am Hof der Gonzaga in Mantua. Kurz ist auch von Hunden die Rede (86-89). Die Analyse bleibt stark um das Spannungsverhältnis zwischen manipulation und education und die zeitgenössisch virulente Frage organisiert, ob Exzellenz nur ererbt oder auch erworben werden könne (44f., 99-104). In der praktischen Literatur scheint "Blutsreinheit", die im Konzept von der limpieza de sangre eine so vordergründige Rolle spielte (8-9), im Grunde nicht vorgekommen zu sein (91, 95). Natürliches Talent und dessen Erhalt hingen in den Augen der Stallmeister und Reitlehrer stark vom Training ab. Die Züchtung der Hausrassen erfuhr kontinuierliche Weiterentwicklung (95) und speiste sich maßgeblich von Importen, u.a. aus Aleppo, Bursa und Adrianopel (91-99). Diskurse, die Exzellenz und Abstammung explizit verschränkten, scheinen sich auf das erbständische Selbstverständnis adeliger Züchter und ihre Repräsentationsmedien beschränkt zu haben.
Danach verlegt die Autorin den Fokus auf Mittelamerika und arbeitet anhand von frühen Wörterbüchern der Missionare und dem Codex Florentinus Vorstellungen von Vererbung bei den Azteken heraus, die im Bereich der Landwirtschaft auf eine Fruchtbarkeitssemantik fußten (105-115). Razza als kolonialer Begriffsimport taucht erst im 17. Jahrhundert auf (107-109). Mit der kolonialen Praktik der Okulation (grafting, 118-123) und den "composite plants" (119) leitet Cooley zum bestimmenden Thema des dritten Teils ("A Brave New Natural World") über, der Hybridisierung infolge des Artentransfers behandelt. Demographische, ökologische und kulturelle Auswirkungen des "transatlantic encounter" (129) werden am Beispiel von (stummen) Hunden und Camelidae vertieft. Als Quellengrundlage dienen vornehmlich die Schriften des spanischen Naturforschers Francisco Hernández.
Der vierte Teil ("Difference in European Thought") dreht sich um die Erzeugung von Differenz bei der naturkundlichen Einordnung von Arten in José de Acostas Historia natural y moral de las Indias (1590) und Giovanni Battista della Portas De humana physiognomonia (1586) - zwei zeitgenössisch als verdächtig eingestufte bzw. zensierte Texte. Für Acosta zählten die Tiere aus der sogenannten Neuen Welt in die Stufenleiter der (perfekten) Wesen, die allerdings nicht über Ähnlichkeiten, sondern über Unterschiede zu bereits bekannten zu klassifizieren seien (191). Della Porta hingegen setzte auf äußerliche Ähnlichkeiten zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen, um die Existenz unterschiedlicher Menschentypen und ihrer Verhaltensweisen zu erklären. Razza scheint in den (z.T. späteren) volksprachlichen Versionen eine nachrangige Rolle gespielt zu haben, wenn es um Art bzw. Typ als genus ging (209, 216).
Der Autorin geht es nicht um die Diskussion von Biomacht, sondern um eine hermeneutische Aufschlüsselung von praktischen und normativen Wissensbeständen im Spiegel des razza-Begriffs, der stark kontextabhängig verwendet wurde. Gerade deshalb sorgt die beiläufige Rede von (einer Vorgeschichte der) Eugenik (5-6, 226-227) für Irritationen und schiefe Resonanzen zwischen vormoderner und moderner Welt. An anderer Stelle geraten Diskurselemente durcheinander, die nicht automatisch zusammengehören. Wir wissen nicht, ob Isabella d'Este ein mit der Pferdezucht ihres Gemahls vergleichbares Vorhaben mit den sogenannten Hofzwergen verfolgte, nur weil sie in einem Briefwechsel von razza delle nanni (82, 86) spricht. Die Objektivierung von Menschen und Tieren im Kontext des interhöfischen Gabentauschs und des Brandmarkens spricht hingegen für die Koevolution von Kategorien, für die die Autorin argumentiert. Davon abgesehen liegt eine ungeheuer reiche und intellektuell anregende Studie vor, die sowohl für die Wissensgeschichte als auch für die Umweltgeschichte und Tiergeschichte von Interesse ist.
Maike Schmidt