Fiammetta Palladini: Les Actes du Consistoire de l'Église française de Berlin (1672-1694). Edition critique établie par Fiammetta Palladini avec la collaboration de Robert Violet (= Vie des Huguenots; 91), Paris: Editions Honoré Champion 2022, 691 S., ISBN 978-2-7453-5660-4, EUR 98,00
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Das Archiv des Französischen Doms in Berlin besitzt in lückenloser Überlieferung dutzende umfangreiche Bände von Konsistorialakten der Berliner Hugenottengemeinde. Sie reichen vom 17. Jahrhundert bis in unsere Zeit und sind eine Fundgrube (nicht allein) für die Geschichte des französischen Refuge in der Hohenzollernresidenz und Kurbrandenburg. Der erste dieser Bände liegt nunmehr in einer praktischen Edition im Druck vor. Fiammetta Palladini, die nicht erst seit ihrem Buch über den "Fall Barbeyrac" von 2011 eng vertraut mit der Berliner Hugenottenüberlieferung ist, hat in mühevoller Kleinarbeit den Originaltext transkribiert und Kontextinformationen recherchiert - vor allem unter Hinzuziehung von Kirchenbüchern umliegender Hugenottengemeinden Brandenburg-Preußens (7). Unterstützt wurde sie dabei vom Archivar Robert Violet. Dies schlägt sich im Werk in mehr als 1.200 Fußnoten nieder. Umfangreiche Indizes (Orts- und Sachregister sowie Personenregister) und eine eher knapp ausgefallene Einleitung runden das Werk ab und tragen zu seiner leichten Nutzbarkeit bei. Auf die pragmatischen Editionsprinzipien wird zu Beginn eines kurzen Vorworts hingewiesen.
Die Protokolleinträge erstrecken sich über gut 550 Druckseiten. Sie sind zu Beginn des Zeitraums knapp und summarisch gehalten und offensichtlich mit einigem zeitlichem Abstand eingefügt worden - erst mit der Amtsübernahme des Pastors Jacques Abbadie im Jahr 1680 werden die Aufzeichnungen genauer und ausführlicher (13, Anm. 1; 35).
Enthalten sind in unterschiedlicher Ausführlichkeit allerlei Vorgänge, mit denen sich das französische Konsistorium beschäftigte. Dieses Gremium bildete die geistliche Verwaltungsinstanz der hugenottischen Gemeinde; seine Einrichtung war 1682 vom brandenburgischen Minister Paul von Fuchs genehmigt worden. Es setzte sich aus Pastoren und ausgewählten Laienältesten (Anciens) zusammen, traf sich in regelmäßigen Abständen und befasste sich unter anderem mit Fragen der Armenversorgung und der Aufrechterhaltung religiös-moralischer Normen. So finden sich denn in den Akten zahlreiche Hinweise auf Konflikte um Eigentum und Besitz unter Gemeindemitgliedern oder um moralische Verfehlungen bis hin zu Blasphemie, Trunkenheit und physischer Gewalt. Das Konsistorium diente zudem der Kontrolle der eigenen Pastoren und ihrer Arbeit: Einigen Raum nimmt der Konflikt um die (brandenburgische) Ordination der Pastoren d'Artis und Abbadie ein, der ausgangs der 1680er Jahre die Gemeinde zu sprengen drohte (318, passim). Diesem Streit lagen letztlich unterschiedliche Sichtweisen auf calvinistische Theologie zugrunde, die nicht allein für die Berliner Gemeinde, sondern für das europäische Refuge bedeutsam waren.
Ausweislich der Einleitung enthält das hier edierte Material des ersten Bandes der Konsistorialprotokolle zwar keine "revolutionäre Überraschung" (13) für diejenigen Forschenden, die mit der Geschichte der französischen Gemeinde Berlins vertraut sind. Und doch sind die Konsistorialakten inhaltlich aufschlussreich etwa im Hinblick auf Alltagsinformationen zum Kollektenwesen und der Versorgung Bedürftiger. Sie bieten darüber hinaus wertvolle Einblicke in die Sozialstruktur der Gemeinde und ihres Umfelds (auch hier stößt man - wie in anderen Minderheitsgemeinden des 17. Jahrhunderts auch - auf überdurchschnittlich viele alleinstehende Frauen bzw. "Witwen"), ferner in die Wiederaufnahme französischer "Proselyten" in den Schoß der reformierten Kirche, die Ankündigungen von Ehen (die anschließend durch Berliner Pastoren geschlossen wurden), in das weite geographische Einzugsgebiet vieler Refugiés innerhalb Brandenburg-Preußens und darüber hinaus (einschließlich der Kommunikationsstrukturen innerhalb des Refuge, wie z.B. anlässlich einer Kollekte zugunsten von Galeerensklaven in Nordafrika, 219f. und 286), in Aspekte ihrer Lebensbewältigung, von Krankheit und Gesundheit sowie von Besitz und materieller Kultur. Zugleich lässt sich das Material auch im Hinblick auf die Beziehungen der Refugiés zu ihrer nichtfranzösischen Umwelt lesen: etwa bei der Organisation von Kollekten (97-100), praktischen Aspekten bei der Nutzung von Simultankirchen (14; 194) und überhaupt in Bezug auf die engen Verbindungen zur brandenburgischen Staatsverwaltung, die die innergemeindlichen Vorgänge genau beobachtete und kontrollierte. Die Abläufe rund um das kurbrandenburgische Edikt von Potsdam des Jahres 1685 - von dem angenommen wird, dass es auf eine Initiative der Berliner Hugenottengemeinde zurückging - finden keine Erwähnung.
Unter dem Strich wäre eine etwas ausführlichere Einleitung sicherlich wünschenswert gewesen, weil sich dadurch die ersten Jahre der Berliner Hugenottengemeinde innerhalb der Geschichte des Refuge und darüber hinaus stärker hätten kontextualisieren lassen. Dies hätte dann vielleicht zu einem noch breiteren Interesse an der vorliegenden spannenden Quelle beitragen können - jenseits der einschlägigen Hugenottenforschung. Das hier präsentierte Material jedenfalls lädt zu weiteren Tiefenbohrungen in den entsprechenden, reich überlieferten Beständen Berlin-Brandenburger Archive ein.
Mit der Edition liegt nun ein bedeutendes Forschungswerkzeug zur Historiographie der Berliner Hugenotten im Speziellen, aber auch zur Geschichte frühneuzeitlicher Migrationen und Minderheiten im Allgemeinen vor. Es ist zu hoffen, dass in absehbarer Zeit weitere Bände der Konsistorialakten in gedruckter oder digitaler Form der Forschung zugänglich gemacht werden können.
Alexander Schunka