Andreas Malycha: Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben. Die Treuhandanstalt zwischen wirtschaftlichen Erwartungen und politischen Zwängen 1989-1994 (= Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt), Berlin: Ch. Links Verlag 2022, 749 S., ISBN 978-3-96289-153-4, EUR 48,00
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Die Rolle der Treuhandanstalt (THA) bei der Transformation der Planwirtschaft der DDR in eine "soziale Marktwirtschaft" in den neuen Bundesländern wird bis in die Gegenwart kontrovers diskutiert. Angesichts der mitunter polarisierend und polemisch vorgetragenen Positionen ist es verdienstvoll, die Geschichte der Treuhandanstalt wissenschaftlich seriös und quellenbasiert zu beschreiben. Andreas Malychas Veröffentlichung, die Teil eines größeren Forschungsprojektes zur Treuhandanstalt beim Institut für Zeitgeschichte ist, leistet hierzu einen grundlegenden Beitrag. An seiner quellengesättigten Geschichte der Treuhandanstalt wird künftig niemand mehr vorbeikommen, der zum Thema forscht.
Malycha konzentriert sich auf drei Themenfelder: auf die Erwartungen und wirtschaftlichen Vorstellungen, die mit der Gründung der THA verknüpft waren; auf Personalaufbau, Organisationsstruktur und Arbeitsweise. Schließlich soll die Bedeutung der THA "im politischen Kräftefeld ausgelotet", wirtschaftliche Handlungsspielräume und "Zwangslagen" der THA "vermessen" werden (28). Das klingt sehr allgemein, es wäre wünschenswert, wenn die Forschungsfragen zugespitzter formuliert würden. Warum greift Malycha zum Beispiel nicht jene immer wieder geäußerte Kritik an mangelnder demokratischer Partizipation und Mitbestimmung in der Treuhandanstalt auf? Dieses Thema wird zwar im weiteren Verlauf verschiedene Male berührt, ein systematischer Zugriff erfolgt jedoch nicht. Gleiches gilt für die Frage nach den Alternativmodellen zur Treuhandanstalt. Das Konzept der "Industrieholding", vor allem von der IG Metall als Instrument gezielter Unternehmenssanierung vorgetragen, wird ebenfalls eher en passant behandelt. Überhaupt geht die zurückhaltende Herangehensweise Malychas zu Lasten einer stärker analytischen Einordnung. Thesen formuliert Malycha nicht, wobei sich im Titel des Buches bereits dessen Grundthese niederschlägt. Dass die THA in der Öffentlichkeit die Funktion eines "Sündenbockes" für die von der Bundesregierung verantwortete Wirtschaftspolitik übernahm, ist dabei allerdings keine neue Erkenntnis.
Die Studie ist in sechs Kapitel gegliedert, die den Forschungsfragen einerseits und dem chronologischen Ablauf andererseits folgen. Der Vorgeschichte in der Spätphase der DDR folgen die Phase der Gründung noch unter der Modrow-Regierung und die weitere Entwicklung bis zur Währungsunion am 1. Juli 1990. In diese Zeit fallen die Volkskammer-Wahl vom 18. März 1990 und die Neudefinition der Aufgabe der Treuhandanstalt mit dem Gesetz von 17. Juni 1990. Anstatt Bewahrung des Volkseigentums angesichts des bevorstehenden wirtschaftlichen Systemwandels war nun die Privatisierung dieses Eigentums das bestimmende Ziel. Bei der Zusammensetzung der Gremien der Treuhand zeigte sich ein Manko: Die Gewerkschaften als Vertreter der abhängig Beschäftigten und damit von der Transformation Betroffenen waren nicht beteiligt. Malycha erwähnt zwar die - erfolglose - Forderung des IG Metallvorsitzenden der DDR, Bugiel, an Ministerpräsidenten de Maizière, Gewerkschaftsvertreter am Verwaltungsrat der THA zu beteiligen (205). Aber den Rücktritt Hermann Rappes, Vorsitzender der IG Chemie der "alten" Bundesrepublik, aus dem bei de Maizière gebildeten Sachverständigenrat im Juli 1990 wegen der Ausgrenzung der Gewerkschaften erwähnt er nicht. Überhaupt werden die stets aufs Neue erhobenen Forderungen der Gewerkschaften an angemessener Vertretung in den Treuhand-Gremien nur kursorisch behandelt und nicht auf ihre Bedeutung hin gewichtet. Der Umbau einer Volkswirtschaft nach den Kriterien einer sozialen Marktwirtschaft musste die Seite der Beschäftigten einbeziehen. Die Gewerkschaften als Säule der sozialen Marktwirtschaft außen vor zu halten, widersprach dem Geist dieses Systems. Die Berufung von vier Gewerkschaftsvertretern von insgesamt 23 Mitgliedern im Verwaltungsrat ab Herbst 1990 konnte diesbezüglich nicht befriedigen. Malycha problematisiert diese Zusammenhänge nicht. Dies gilt auch für die vier branchenübergreifenden Treuhand-Aktiengesellschaften, die laut Gesetz vom 17. Juni 1990, "die Privatisierung und Verwertung des volkseigenen Vermögens nach unternehmerischen Grundsätzen sichern" sollten (§ 7 Treuhandgesetz). Treuhandpräsident Detlev Karsten Rohwedder hatte sich im September 1990 gegen diese Struktur entschieden und auf Empfehlungen der Unternehmensberater McKinsey und Roland Berger Treuhandniederlassungen in den ehemaligen DDR-Bezirksstädten errichtet. Diese Missachtung des Gesetzes hatte Auswirkungen auf die paritätische Mitbestimmung, die für die Treuhand-AGs gegolten hätte und in der neuen Struktur wegfiel. Im Gutachten von Roland Berger wurde die Befürchtung geäußert, die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten könnten ihren Einfluss hinsichtlich Sanierung und Strukturerhaltung geltend machen, die Treuhand-AGs so zu "bleibenden" Einrichtungen werden (220). Eine höchst aufschlussreiche Information - eine kritische Einordnung des Problems der Partizipation und Mitbestimmung im Prozess der Transformation vermisst der Rezensent jedoch. Dies gilt auch für die Schilderung des Treuhand-Untersuchungsausschusses des Bundestages, der im September 1993 seine Arbeit aufnahm und ein Jahr später seinen Bericht vorlegte. Das Minderheitenvotum der SPD kritisierte die mangelnde Rechts- und Fachaufsicht gegenüber der Treuhandanstalt; von den Zeugenaussagen zu fehlender Transparenz und Verletzung von Mitbestimmungsrechten und von der massiven kritischen Gesamteinschätzung der SPD liest man jedoch nichts. Stattdessen verweist Malycha darauf, dass die öffentlichen Anhörungen führender Treuhandmanager, der Präsidentin Breuel und des Finanzministers Waigel "maßgeblich zur weiteren medialen Skandalisierung der Privatisierungspraxis" der THA beigetragen hätten (656).
Andreas Malycha liefert eine Fülle von Details zur internen Struktur der Treuhand, zum Personal, zu Zuständigkeiten und Entscheidungsabläufen. Eines der Themen ist die Errichtung des "Leitungsausschusses" im Juli 1990 als ein unabhängiges, nicht in die Struktur der Treuhand eingebettetes Beratungsgremium, das mit seinen Empfehlungen zur Sanierungsfähigkeit von Unternehmen eine Schlüsselstellung einnahm. Ein weiteres ist die Bedeutung der "Altschulden", die den unter Treuhandverwaltung stehenden Unternehmen nicht erlassen, sondern in Schulden bei Privatbanken mit neuen, höheren Zinssätzen umgewandelt wurden - ein Faktum, das die Treuhand belastete, den Banken jedoch ein lukratives Geschäft bot (372f.). Breiten Raum nimmt das Thema "Altkader" bzw. "alte Seilschaften" in Malychas Darstellung ein, das in der Öffentlichkeit Aufsehen erregte und bisweilen soweit überspitzt wurde, dass die Treuhand als eine Art Refugium bisheriger DDR-Funktionsträger dargestellt wurde - ein Bild, das an der Realität vorbei ging.
In ihrer Anfangsphase gab die Treuhandanstalt ein chaotisches Bild ab, aber auch danach blieb sie mit massiven Problemen der Abläufe und mangelnder interner Kontrolle behaftet. Das hohe Defizit, das die Treuhand am Ende ihrer Tätigkeit erwirtschaftet hatte, war in informierten Kreisen frühzeitig absehbar. Die Vorstellung der Bundesregierung, durch rasche Privatisierung seien die Ausgaben der THA aufzufangen, erwies sich bald als Illusion (363). Das Bild einer quasi "totalen" Herrschaftszentrale, das mitunter gezeichnet wird, wird ins Reich der Legenden verwiesen. Einer weiteren Legende tritt Malycha entgegen: Dass Rohwedder anders als seine Nachfolgerin Breuel stärker auf Sanierung anstatt schneller Privatisierung gesetzt habe, trifft nicht zu (406). Auch das Verhältnis zwischen THA und Bundesregierung war keinesfalls harmonisch; in der wirtschaftspolitischen Zielbestimmung zwar einig, beklagte die THA politische Einwirkungen bzw. ihre eigene mangelnde Durchsetzungskraft gegenüber Bonn.
Andreas Malycha hat eine grundlegende Studie zur Geschichte der Treuhandanstalt vorgelegt. Sie ist bisweilen zu deskriptiv angelegt. Eine kritischere Einordnung der geschilderten Strukturen und Entscheidungsabläufe wäre wünschenswert gewesen.
Detlev Brunner