Stephan Freund / Gabriele Köster / Matthias Puhle (Hgg.): Des Kaisers letzte Reise. Höhepunkte und Ende der Herrschaft Ottos des Großen 973 und sein (Weiter-)Leben vom Mittelalter bis zur Gegenwart (= Schriftenreihe des Zentrums für Mittelalterausstellungen Magdeburg; Bd. 8), Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2023, 458 S., ISBN 978-3-96311-780-0, EUR 50,00
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Philipp Meller: Kulturkontakt im Frühmittelalter. Das ostfränkische Reich 936-973 in globalhistorischer Perspektive, Berlin: De Gruyter 2021
Matthias Becher: Otto der Große. Kaiser und Reich. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2012
Tina Bode: König und Bischof in ottonischer Zeit. Herrschaftspraxis-Handlungsspielräume-Interaktionen, Husum: Matthiesen 2015
Gabriele Köster (Hg.): Der Magdeburger Reiter. Bestandsaufnahme - Restaurierung - Forschung, Regensburg: Schnell & Steiner 2017
Stephan Freund: Von den Agilolfingern zu den Karolingern. Bayerns Bischöfe zwischen Kirchenorganisation, Reichsintegration und Karolingischer Reform (700-847), München: C.H.Beck 2004
Gabriele Köster / Christina Link / Heiner Lück (Hgg.): Kulturelle Vernetzung in Europa. Das Magdeburger Recht und seine Städte. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung "Faszination Stadt", Dresden: Sandstein Verlag 2018
In Sachsen-Anhalt wurde der 1050. Todestag des am 7. Mai 973 verstorbenen Kaisers zum Anlass genommen, an den ottonischen Herrscher zu erinnern. Dazu koordinierte das Zentrum für Mittelalterausstellungen e.V. (ZMA) das Verbundprojekt Des Kaisers letzte Reise. Höhepunkte und Ende der Herrschaft Ottos des Großen 973. In Vorbereitung des Gedenkjahres entstand der von Stephan Freund, Gabriele Köster und Matthias Puhle herausgegebene Tagungsband. Er präsentiert die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung, die vom 5. bis 7. Mai 2022 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg stattfand, und lag bereits zum Beginn des Gedenkjahres im Frühjahr 2023 vor. [1]
Inhaltlich konzentriert man sich auf die Höhepunkte und letzten Stationen der Herrschaft Kaiser Ottos des Großen sowie auf dessen postumes Weiterleben. Dahingehend verfolgt der Tagungsband drei Hauptziele: Erstens will er die Forschung "inspirieren" und neue Ergebnisse um die Rezeption Ottos "bündeln". Zweitens soll damit ein "Fundament" für die Projekte und Ausstellungen der Partnerorte gegeben sein. [2] Drittens geht es darum, einer breiten Leserschaft das Thema näher zu bringen und einige der von den Herausgebern festgestellten Forschungslücken zu schließen (27).
Insgesamt umfasst der Tagungsband 18 Aufsätze, die den vier Sektionen der Tagungsstruktur folgen: Die letzte Zeit des Kaisers, Das (Weiter-)Leben des Kaisers im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, Heroisierung, Instrumentalisierung, Objektivierung - Otto seit dem 19. Jahrhundert sowie Otto für ein großes Publikum. Der Einleitung der Herausgeber und dem Vorwort sind sieben Grußworte der Partnerorte und Förderer des Verbundprojektes vorangestellt, die die Breite sowie den gesellschaftlich-politischen Rückhalt des Projektes aufzeigen.
Der Band zeichnet sich durch ein erfreulich hohes Maß an Interdisziplinarität aus. Neben Historikern, Archäologen und Kunsthistorikern sind es Germanisten, Landeshistoriker und Archivare, die Aufsätze beitragen. Es gibt somit ein breites Spektrum an Themen, die sich an der übergeordneten Frage nach Der letzten Reise des Kaisers orientieren und verschiedene Forschungsaspekte wie Herrschaftspraktiken, Religion, Erinnerungskultur, interkulturelle Wahrnehmungen oder politische Netzwerke aufgreifen. Der zeitliche Rahmen beginnt mit der Lebenszeit Ottos des Großen und reicht bis in das 21. Jahrhundert. Somit wird ein weitreichender Einblick in die Rezeptionsgeschichte der Herrscherfigur gegeben. Mehr als 180 farbige sowie schwarz-weiße Abbildungen begleiten die Aufsätze. Sie unterstreichen den Gehalt des Tagungsbandes, allerdings bleibt an einzelnen Stellen die genaue Zuordnung von Abbildung und textlicher Aussage unklar.
Inhaltlich setzt der Band mit der letzten Reise Ottos 972/973 von Italien aus in das heutige Sachsen-Anhalt, dem damaligen Herrschaftszentrum des Kaisers, ein. In Sektion I wird zunächst ein historisches Grundgerüst geliefert, das die Italienpolitik Ottos und deren Folgen (Giuseppe Albertoni, 39-53; Stephan Freund, 114-130) sowie die Beziehung zwischen Ost- und Westrom beleuchtet (Wolfgang Huschner, 74-95) und dabei neue Forschungsansätze vorstellt. Dahingehend zeigt insbesondere Carola Jäggi, dass Otto sich eines historischen Erbes in Ravenna bewusst war, an das er anknüpfte. Mittels neuer archäologischer Befunde untersucht sie verschiedene Bauphasen in Ravenna und stellt die - gegenüber Pavia und Rom - besondere Bedeutung der Residenz für die Ottonen dar (67). Dem Bandtitel wörtlich folgend, erschließen Pierre Fütterer und Michael Belitz durch die Untersuchung verschiedener Quellen Datierungen (103-105) und Ortsnamen (100-102) neu, wodurch Korrekturen des Itinerars des Kaisers und seines Leichnams möglich sind. Knut Görich bietet in seinem Aufsatz einen dezidierten Einblick in den Umgang mit Reliquien in ottonischer Zeit und die oftmals erzwungenen Reliquiengaben an Otto (144-145).
Daran anknüpfend befassen sich die vier Beiträge der Sektion II mit dem Tod Ottos des Großen. Hier werden neue Erkenntnisse sowohl zu den sich im 10./11. Jahrhundert wandelnden Funeralpraktiken im Hinblick auf eine mögliche Herz-Entnahme (Romedio Schmitz-Esser, 158-171) als auch zur Rezeption in Spätmittelalter und Früher Neuzeit dargelegt. Bei Letzterem nimmt Magdeburg eine gesonderte Stellung ein (Christoph Volkmar, 204-221). Ergänzend werfen Martina Giese und Norbert Kössinger den Blick auf schriftliche Memorialzeugnisse. Giese fokussiert dabei nicht so sehr die in der Forschung lange Zeit vorherrschende Frage nach dem Realitätsgehalt historiographischer Quellen, sondern die Intention der Idealisierung von Otto dem Großen. Dabei macht sie drei Erinnerungsschwerpunkte fest: die Lechfeldschlacht 955, die Erlangung der Kaiserwürde 962 sowie die Gründung des Erzbistums Magdeburg 967/968. In den Ausführungen von Kössinger wird deutlich, dass Otto der Große in der mittelhochdeutschen Literatur als ein "eyecatcher" (195) fungierte und dabei nicht durchgehend positiv, sondern auch in ambivalenter Weise dargestellt wurde (198-199). Das Thema der bildlichen Darstellungen Ottos im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurde im Rahmen der Tagung durch Claus-Peter Hasse präsentiert, fand dann allerdings in eine andere Publikation Einzug. [3]
In Sektion III befassen sich drei Beiträge mit der Rezeption Ottos des Großen seit dem 19. Jahrhundert. Neben dem Blick auf die deutsche Historiographie, bei dem ein aufschlussreiches und heterogenes Bild von Otto herausgearbeitet werden kann (Stephan Freund, 225-261), sowie der Untersuchung der Archäologie in Magdeburg während des Nationalsozialismus (Uta Halle, 263-278) fokussiert der Beitrag von Thomas Wünsch den polnischen Kontext. Anhand von zwei Beispielen legt er dar, dass die Erinnerung an Otto als Förderer der Christianisierung in Polen verschwinde und seit dem 19. Jahrhundert als "ein Akt selbstständiger polnischer Politik" aufgefasst werde (258-259).
In der letzten Sektion IV weiten fünf Beiträge den Blick bis in die Gegenwart. Rahmende Aufsätze untersuchen anhand der Historienromane von Gertrud Bäumer (Sascha Bütow, 282-302) und Rebecca Gablé (Thorsten Unger, 380-399), in welchem Maße Otto aus der jeweiligen Gegenwart heraus und innerhalb der sich wandelnden Populärkultur rezipiert wurde. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Beiträge von Simon Groth (305-331) und Matthias Puhle (333-347). Die Autoren untersuchen sich ändernde Einschätzungen Ottos im 20. und 21. Jahrhundert im Hinblick auf Jubiläen und Ausstellungen in Ost und West. Dies hängt auch mit einer sich wandelnden Medienkultur zusammen, was Gabriele Köster in ihrem Beitrag fokussiert, in dem sie untersucht, wie Otto der Große in Film und Fernsehen rezipiert wurde (349-350, 359). Dabei seien heutige bildmediale Darstellungen Ottos in ähnlicher Weise wie Historiengemälde der Frühen Neuzeit und der frühen Moderne zu verstehen, die eine didaktische Einsicht in das Vergangene gewähren sollen (350).
Blickt man summarisch auf den Tagungsband, so lässt sich feststellen, dass er nicht nur bestehende Forschungsthesen hinterfragt, sondern manche auch revidiert, um "neue Impulse [zu] vermitteln" (35). Zugleich schließen einige Aufsätze bedeutende Lücken in der Forschung. Dabei sind unter den Beiträgen inhaltliche Schnittpunkte und Verflechtungen auszumachen, so etwa eine vergleichbare Nutzung Ottos als "Scharnierfigur" (35) sowohl bei Kössinger als auch bei Unger. Die Leser erhalten ein weitreichendes Fundament hinsichtlich der Themenfelder rund um die Höhepunkte der Herrschaft Ottos des Großen und bezüglich seines (Weiter-)Lebens vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Anmerkungen:
[1] Die Tagung war eine Kooperation zwischen dem ZMA, dem Kulturhistorischen Museum Magdeburg sowie dem Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
[2] Zentrum für Mittelalterausstellungen e.V., Des Kaisers letzte Reise. Höhepunkte und Ende der Herrschaft Ottos des Großen 973, unter: https://www.deskaisersletztereise.de/ (17.07.2023). Siehe ebenfalls: https://mittelalterausstellungen.de/publikationen/schriftenreihe-des-zma
[3] Vgl. Claus-Peter Hasse: Kaiser Otto der Große in der Kunst des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Claus-Peter Hasse / Gabriele Köster (Hgg.): Welche Taten werden Bilder? Otto der Große in der Erinnerung späterer Zeiten, Regensburg 2023, 17-59.
Tristan Schaub