Lars Deile / Jörg van Norden / Peter Riedel (Hgg.): Brennpunkte heutigen Geschichtsunterrichts. Joachim Rohlfes zum 90. Geburtstag, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2021, 286 S., 7 s/w-Abb., eine Tbl., ISBN 978-3-7344-1235-6, EUR 32,90
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Thomas Must / Jörg van Norden / Nina Martini (Hgg.): Geschichtsdidaktik in der Debatte. Beiträge zu einem interdisziplinären Diskurs, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2022
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Lars Deile / Frank Oliver Sobich: Arbeitsblätter im Geschichtsunterricht. Konzeption und Einsatz, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014
Joachim Rohlfes ist eine der wichtigsten konservativen Stimmen der bundesrepublikanischen Geschichtsdidaktik. 1968 zum Professor für Politische Bildung und Didaktik der Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe ernannt, ist seine berufliche Laufbahn eng mit der Profilierung der Geschichtsdidaktik als akademische Disziplin verwoben. Ihn mit einem Sammelband anlässlich seines 90. Geburtstags im Jahr 2019 zu würdigen, ist folgerichtig, genauso wie die Entscheidung, ihn angelehnt an die in Rohlfes Standardwerk "Geschichte und ihre Didaktik" in der 1. Auflage 1986 formulierten "inhaltliche[n]Brennpunkte unseres Geschichtsunterrichts heute" zu betiteln. Dass diese Würdigung durch ein Herausgeberteam der Bielefelder Kollegen, mithin seiner Nachfolger erfolgt, ist ebenso konsequent. Damit knüpfen die Herausgeber Lars Deile, Jörg van Norden und Peter Riedel an die Bielefelder Tradition an, Geschichtsdidaktik als kritisch-emanzipatorische Gegenwartsdisziplin und als genuinen Teil der Geschichtswissenschaft zu sehen. Nach Selbstaussage suchten sie in der engeren Community mit dem Band nach Antworten auf die Frage: "Was treibt das Fach um, in Schule und Hochschule" (8), um den Jubilar zu ehren. Um es vorwegzunehmen, in den 37 zwischen 3-15 Seiten stark variierenden Beiträgen gelingt es, ein Stimmungsbild der aktuellen geschichtsdidaktischen Diskurse einzufangen, ob es sich dabei wirklich immer um "Brennpunkte heutigen Geschichtsunterrichts" handelt, mag jede*r Leser*in selbst entscheiden.
Mit dem Ziel, "keine eintönige Lobhudelei", sondern eine "inspirierende Sammlung" (11) aktueller Überlegungen und Debatten zusammenzustellen, folgten 35 fachdidaktisch ausgewiesene Kolleg*innen der Bitte der Herausgeber und formulierten in überwiegend essayistischen Beiträgen ihre Perspektiven auf das, was sie als aktuelle "Brennpunkte" definierten. "Mutig" und "unkonventionell" wünschte sich das Herausgeberteam die Beiträge, um die "Geschichtsdidaktik weiter zu denken." (11) Unkonventionellen Mut findet man aber in der Minderheit der Beiträge. Das mag zum einen an einer auffallenden Geschlechterasymmetrie (31 Männer und 7 Frauen) der Beitragenden liegen, zum anderen ist die eigene, eher zurückblickende als vorwärtsschauende Perspektive, der generationellen Zugehörigkeit einer Vielzahl der Beitragenden geschuldet, die zum großen Teil selbst Weggefährt*innen des Jubilars sind.
Das Herausgeberteam sortierte die 37 Beiträge in drei thematische Felder ein. Im ersten Themenfeld "Lehren und lernen, historisch zu denken - Betrachtungen zum Geschichtsunterricht" finden sich überwiegend essayistische Beobachtungen und Kommentierungen zum gegenwärtigen Geschichtsunterricht. Dabei nehmen die Autoren, wie beispielsweise Michael Sauer in seinem Beitrag: "Geschichtsunterricht heute. Brennpunkte, Probleme, Chancen" folgerichtig Überlegungen des Jubilars aus seinem Standardwerk "Geschichte und ihre Didaktik" als Ausgangspunkt, um die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte zu skizzieren und zu diskutieren, inwiefern die geschichtsdidaktischen Theoriediskurse sich im konkreten Unterrichtsgeschehen widerspiegeln. Ebenso wird überlegt, inwieweit die Theoriebildung in der Lage ist, den aktuellen Herausforderungen entsprechend Geschichtsunterricht besser zu machen. Damit sind die beiden Kernfragen zahlreicher Beiträge dieses Themenfeldes benannt. Erfrischend dabei sind die nicht neuen, doch immer wieder unterstrichenen Erkenntnisse, dass es im Grunde auf die Lehrer*innen ankomme (18), wie Peter Gautschi wiederholt herausstellt. Gerade diese aber werden auf das "System Schule" nicht gut vorbereitet, wie Martin Griepentrog aus seiner Erfahrung mit Aussteiger*innen zu berichten weiß. Sinnvoll erscheint ebenfalls der kritische Einwand Tobias Arands gegenüber den "politisch motivierten Finanztöpfen" der empirischen Bildungsforschung, denen auch die Geschichtsdidaktik "entschlossen" nachjagen würde und dabei gern die "Nichtvermessbarkeit des 'freien Geistes'" aus dem Blick verliere (68).
Das zweite Themencluster mit der recht willkürlich anmutenden Überschrift "Global denken, medial handeln - Diversität und Digitalität in Wissenschaft und Unterricht" scheint auf den ersten Blick genau das zu adressieren, was einem als "Brennpunkte" in Hinblick auf gegenwärtige Herausforderungen unmittelbar in den Sinn kommt. Doch in Hinblick darauf, dass sich die Geschichtsdidaktik heute zunehmend mit digitalen geschichtskulturellen Formaten auseinandersetzen muss, wie beispielsweise dem Instagram-Kanal @ichbinsophiescholl, bzw. holographierten Zeitzeugenberichten oder Geschichte an VR/AR-Apps, ist es verwunderlich, dass in den Beiträgen vor allem klassische Medien unabhängig von deren neuen digitalen Kontexten und Verwendungen diskutiert werden, wie in den Beiträgen über "Bild" und "Bilderflut" (Christoph Hamann) oder über Spielfilme mit historischen Themen (Matthias Steinbach). Die Herausforderungen von Erklärvideos für das historische Lernen ist schon tagesaktueller und wird von Sabine Horn in ihrem Beitrag diskutiert. Gerade an diesem Thema der Erklärvideos zeigt sich exemplarisch, wie schnelllebig die Zeit ist, wenn sich sogar explizite "Brennpunkte" rasch verschieben, wie der ebenfalls 2019 erschienene Band "Geschichte auf Youtube" zeigt. [1] Das scheint eine der wichtigsten Herausforderungen an die Geschichtsdidaktik zu sein, auf diese schnellen Entwicklungen vor allem im Bereich der digitalen Medien, zügig reagieren zu können. Denn während die hier rezensierten Beiträge des Bandes 2019 verfasst wurden, das Buch jedoch erst 2021 auf den Markt gekommen ist, hat die Corona-Krise gerade die didaktische Diskussion in Fragen der Chancen und Herausforderungen von Geschichte im digitalen Raum katalysiert.
Das dritte Themenfeld "Fachdidaktische Blicke zurück und voraus - Vergangenheit und Zukunft (in) der Geschichtsdidaktik" kombiniert die Idee der Würdigung Joachim Rohlfes durch persönlich motivierte Rückblicke, wie beispielsweise von Joachim Radkau "JR II dankt JR I. mit einer Anthologie aus alten Notizen" mit einem vom Mitherausgeber Lars Deile verfassten Ausblick in den "Geschichtsunterricht als Laboratorium der Zukunft". Er unterstreicht den durchaus berechtigten Anspruch der Geschichtsdidaktik, dass das entscheidende Kriterium guten und zukunftsträchtigen Geschichtsunterrichts die Herausbildung historischen Denkens sei, mithin "die Fähigkeit, abwesende Zeiträume [...] in der Gegenwart sinnvoll zu verknüpfen [...], um Handlungsentscheidungen zu treffen, die über den Tag hinausreichen" (276).
Zusammenfassend funktioniert der Band sehr gut als Nabelschau der geschichtsdidaktischen Disziplin. In der Summe sind die essayistischen Beiträge durch ihre Pointierung gut zu lesen und geben dem interessierten Leser und der interessierten Leserin zum Teil wichtige Denkimpulse mit auf den Weg, dennoch hätte dem Buch eine konsequentere Fokussierung auf tagesaktuelle "Brennpunkte" gutgetan.
Anmerkung:
[1] Christian Bunnenberg / Nils Steffen (Hgg.): Geschichte auf Youtube. Neue Herausforderungen für Geschichtsvermittlung und historische Bildung. Berlin 2019.
Juliane Brauer