Felix Vogel: Empfindsamkeitsarchitektur. Der Hameau de la Reine in Versailles (= Passagen / Passages. Deutsches Forum für Kunstgeschichte / Centre allemand d'histoire de l'art; Bd. 65), Berlin: Diaphanes Verlag 2023, 462 S., 116 s/w-Abb., ISBN 978-3-0358-0628-1, EUR 30,00
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Die Forschungsgeschichte zu Versailles weist Konjunkturen auf, und sie hat auf der Karte von Schloss und Gärten auch weiße Flecken. Felix Vogel hat sich mit seinem Buch, das auf eine Dissertation der Universität Fribourg (CH) zurückgeht, daran gemacht, einen dieser Flecken zu kolorieren. Das sogenannte Hameau der la Reine, wohl ab 1782 (106) geplant, entstand im Auftrag der Königin Marie Antoinette. Es wurde abseits des ebenfalls für die Königin angelegten Jardin anglais beim Petit Trianon errichtet, in der Revolution geplündert, und es wird derzeit restauriert. Dabei wird für die Innenräume der Zustand rekonstruiert, der ab 1810 für die Kaiserin Marie Luise, die zweite Österreicherin auf einem französischen Thron, errichtet wurde. Nur diese Einrichtung ist ausreichend dokumentiert, nur aus dieser Zeit ist das Mobiliar in Versailles erhalten.
Der Hameau ist sehr lange nicht Gegenstand einer monografischen Untersuchung gewesen. Vogels umfangreiches Buch will allerdings mehr als eine Monografie sein, was in der Gewichtung von Titel und Untertitel angezeigt ist. Der Autor strebt an, "vermittels der Bezeichnung 'empfindsam' - und im Rückgriff auf die kultur- und literaturwissenschaftliche Empfindsamkeitsforschung - architektonische Phänomene umfassender verstehen zu können", und er begreift es "als Versuch einer Rehabilitierung von in der Forschung marginalisierten Gegenständen" (13). Ob die Architekturen und die Gärten des zu Ende gehenden Ancien Régime von der Forschung tatsächlich "marginalisiert" wurden - dies sei hier in Anbetracht der reichen Forschungsliteratur, die Vogel sorgfältig rezipiert, dahingestellt. Es sei aber eine Prognose erlaubt: Der Neologismus "Empfindsamkeitsarchitektur" wird sich in der Forschung, die inzwischen den Begriff der "Revolutionsarchitektur" für die zum Hameau annähernd zeitgleichen Entwürfe von Ledoux und anderen abgestoßen hat, nicht etablieren. Denn dazu hätte es zumindest einer Annäherung an eine Definition gebraucht. Diese bleibt Vogel schuldig. Der Begriff taucht außer im Titel im ganzen Buch nicht auf, wenn man der Suchfunktion in der Open Access-Edition vertrauen darf. Stattdessen umkreist Vogel in einer gründlich recherchierten und gut lesbaren Abfolge von Kapiteln zentrale Aspekte von Architekturen und Gartenanlagen: Den Jardin anglais unter dem Aspekt der Natürlichkeit, die Bauten des Hameau als Architekturobjekte, und schließlich, nachdem das Hameau in einem eigenen Kapitel vorgestellt ist, "Körper", "Theatralität", "Ökonomie" und "Geschichtlichkeit".
Nicht alles ist gleichermaßen gelungen. Hervorheben möchte ich, dass Vogel alles prüft, was von der weniger gründlichen Forschung vorgetragen wurde. Dabei räumt er mit manchen Legenden hinsichtlich des räumlichen und funktionalen Zusammenhangs von Jardin anglais und Hameau oder auch der Bedeutung des Hameau im Leben Marie Antoinettes auf: Sie hielt sich dort viel seltener auf als in Saint-Cloud. Aus dem Kapitel "Theatralität" möchte ich die geglückte Rückbindung der Diskussionen um das Theater an die Beobachtungen am Hameau selbst hervorheben. Denn es fällt Vogel auf, dass der Hameau als eine in sich geschlossene Anlage weder von einem einzigen Punkt überblickt noch in attraktiven "tableaux" organisiert wurde. Zudem sind die aristokratischen Staffagefiguren in den wenigen Veduten, die den Hameau überliefern, als Zuschauerinnen und Zuschauer in das Terrain integriert, nicht am Rand platziert. Vogel kann überzeugend nachweisen, dass die Erfinder des Hameau einen Aspekt aus der Theatertheorie aufgriffen: Es geht um die Herstellung von Authentizität, indem die Inszenierung zum Parterre hin quasi durch eine "vierte Wand" abgeschlossen erscheint, das Schauspiel das Publikum zu negieren scheint, um so eine in sich plausible Szene und Handlung zu erzielen.
Auch die ausgedehnten Erörterungen zum Aufkommen eines Interesses an der vernakulären Architektur lesen sich mit Gewinn (Kapitel "Geschichtlichkeit"). Vogel listet auf, wie der Begriff Aspekte der lokalen, landesspezifischen Architektur umschreibt, wovon er das Hameau nach den Befunden der Bauten abgrenzen kann. Die dennoch unverkennbaren Bezüge der Bauten auf eine ländliche Bauweise, die anders als in vielen europäischen Anlagen nicht fremdartig daherkommt, stellen Vogel zufolge einen Bezug auf die Ursprünge, auf die Vorfahren und auf deren authentisches, tugendhaftes Leben dar. Damit schien der weitestmögliche Kontrast zum großen Schloss erreicht. Allerdings waren die Bauten des Hameau exquisit dekoriert und möbliert, und sie ermöglichten dieselben Vergnügungen (z.B. Billard wie Schloss Versailles selbst - zusätzlich zum Genuss frischer Lebensmittel).
Man könnte also den Schlüssel zum Hameau allein in den Empfehlungen von Antoine Nicolas Duchesne finden, der in seiner Schrift über die "Formation des jardins" von 1774 in der Kopie der zeitlosen und doch alten Wohnstätten der tugendhaften Ahnen die Wiederaufnahme des ländlichen Lebens mitten im Luxus empfahl (369, hier nach französischem Original). Allein damit begnügt sich Vogel nicht. Vielmehr überschüttet er das Objekt mit einer Vielzahl von Belegen aus der deutschen, englischen und französischen Gartentheorie des 18. Jahrhunderts. Das ist vielleicht der äußerst schlechten Quellenlage zum Objekt geschuldet; doch entsteht so eine Wolke an Konzepten, deren Binnendifferenzen Vogel nicht verschweigt. Er versäumt es aber, das Verhältnis dieser Texte zur Produktion und Rezeption des Hameau methodisch aufzuklären. Geht es allein um ein heuristisches Hilfsmittel? Um einen Ersatz für den Umstand, dass über den Prozess der Entstehung nichts herauszufinden ist, folglich die Anteile der Architekten, Gärtner und der Auftraggeberin unbestimmt bleiben müssen? Schade ist es auch, dass Vogel den schlichten Kontrast zwischen dem Versailles Ludwigs XIV. und der restaurativen Kunstpolitik des Hofs unter Louis XVI und dem Hameau aus den wenigen zeitgenössischen Quellen ohne weitere Differenzierung übernimmt und damit die lange Geschichte weiblicher Rollen am Hof überspringt. Vielleicht gab es beispielsweise in Erinnerung an die Duchesse du Maine und ihren "Hof" in Sceaux und die Verschwörung von Cellamare (1718) auch rationale Gründe, der Absentierung von hochgestellten Damen aus der Ordnung des großen Schlosses zu misstrauen.
Das Buch hinterlässt daher insgesamt einen zwiespältigen Eindruck: Man ist dankbar für die Aufarbeitung der Geschichte des Hameau, für die Analyse der Bauten, auch wenn die Architekturterminologie nicht immer korrekt (110, 115, 133) und die Verwendung der Epochenbegriffe Klassizismus und Neoklassizismus uneinheitlich ist. Sicher wird man derzeit auch wenig anderes finden, das so genau die Paradoxie der dargestellten und aufgeführten Authentizität im Hameau de la Reine und anderen Anlagen nachzeichnet. Die Lektüre lohnt sich jedenfalls, auch wenn der große Anspruch aus dem Titel des Buchs nicht eingelöst scheint.
Katharina Krause