Kate Ekama / Lisa Hellman / Matthias van Rossum (eds.): Slavery and Bondage in Asia, 1550-1850. Towards a Global History of Coerced Labour (= Dependency and Slavery Studies; Vol. 3), Berlin: De Gruyter 2022, 277 S., ISBN 978-3-11-077612-6, EUR 84,95
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Die historische Forschung zu Sklaverei und zu unfreien Sozial- wie Arbeitsverhältnissen, die der Sklaverei ähneln, ist nach wie vor stark auf die prototypischen Formen der Sklaverei in der Antike und auf neuzeitliche Sklavereien im atlantischen Raum Afrikas und der beiden Amerikas konzentriert. In Bezug auf Arbeit, dem Hauptthema des Bandes, dominierte lange ein "doppelter eurozentrischer Bias", wie es die Herausgeberinnen fassen: das Bild der atlantischen Leibeigenschaft und das nordeuropäische Konzept der Lohnarbeit.
In den letzten Jahren häufen sich aber vergleichende Studien, die unfreie Lebensverhältnisse auch jenseits von klassischer Sklaverei im engen Sinne und außerhalb dieser historischen Paradefälle und Kernräume untersuchen. Hier spielt die in den letzten Jahren intensivierte Globalgeschichte eine zentrale Rolle. Der Band behandelt asiatische Formen unfreier Arbeit zwischen der Mitte des 16. und der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die geographische Spannweite der Beiträge ist groß. Behandelt werden Beispiele aus Zentralasien, Ostasien, Südostasien und dem Indischen Ozean. Dies zeigt schon an, dass die HerausgeberInnen nicht nur die Vielfalt der Formen von unfreier Arbeit, sondern auch die räumlichen Beziehungen und wechselseitigen Einflüsse aufzeigen wollen.
Die 13 Kapitel einer internationalen Gruppe von zumeist jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutieren den aktuellen Stand der (bislang relativ wenigen) asienbezogenen Sklaverei-Studien, stellen neue historiographische Forschungsergebnisse zu Sklavensystemen in Asien zur Diskussion und erörtern theoretische Ansätze und auch neue Wege, Quellen zu erschließen für künftige Forschungen zur Geschichte von Sklaverei und Zwangsarbeit in Asien.
Der Band ist Teil einer vom Bonner Exzellenzcluster Bonn Center for Dependency and Slavery Studies (BCDSS) herausgegebenen Reihe "Dependency and Slavery Studies". Der BCDSS ist ein interdisziplinär orientiertes Forschungsunternehmen mit dem Ziel, Sklaverei global vergleichend und im Kontext einer Vielfalt ähnlicher asymmetrischer Sozialstrukturen und Verhältnisse der Abhängigkeit zu untersuchen. Empirisch lassen sich viele dieser Asymmetrien und Abhängigkeitsverhältnisse an Zwangsarbeit und anderen Formen unfreier Arbeit konkret festmachen. Als Forschungskontext dieses Bands ist damit nicht nur die sozialwissenschaftlich informierte, historisch-vergleichende Sklaverei-Forschung zu sehen, sondern auch entsprechende Untersuchungen zu Arbeit (labour).
Der Band ist in vier Teile gegliedert: Statt einer Einleitung bietet der erste Teil unter dem Titel "Opening Thoughts" drei Beiträge, die programmatisch orientiert sind. Im Mittelpunkt stehen hier globale Aspekte der Geschichte unfreier Arbeit in den genannten Regionen Asiens, Fragen des Vergleichs und der räumlichen Zusammenhänge sowie Sklaverei im frühmodernen Asien (ein Beitrag der herausgebenden Kate Ekama, Lisa Hellman & Martin van Rossum und Einzelkapitel von Martin van Rossum und Claude Chevaleyre).
Die drei empirisch ausgerichteten Teile gruppieren sich um theorierelevante Kernthemen der neueren Forschung: erzwungene Mobilität, Regelungen und Transformationen. Das Ziel ist hier, Vergleiche zu ziehen und dabei Gegenüberstellungen, Zusammenhänge und Spannungen aufzuzeigen.
Der Teil "Coerced Mobilities" diskutiert die Frage, wie erzwungene Wanderung Örtlichkeiten und soziokulturelle Kontexte verknüpft (Beiträge von Samantha Sint Nicolaas, Hans Hägerdal und Mònica Ginés-Blasi). Im dritten Teil "Regimes" geht es darum, wie offizielle oder informelle Regelungen funktionieren, wie erzwungene Mobilität Zwangsregime beeinflusst und wie verschiedene Zwangsregime miteinander interagieren (Beiträge von Kate Ekama, James Fujitani, Lisa Hellman, Sanjog Rupakheti und Vinil Baby Paul).
Der Titel des Teiles "Transformations" will auf die Vielfalt der Abschaffungstrajektorien gerade in Asien aufmerksam machen und vermeidet deshalb bewusst, im Titel von "Abolition" zu sprechen. Die Aufsätze kreisen um neue Zwangsarbeitsformen und ihre Mobilität im Gefolge der Abolition und welche Bezüge zu früheren und weiter bestehenden Praktiken der Sklaverei und Knechtschaft bestehen (Beiträge von Ròmulo da Silva Ehalt und Amal Sahid).
Der Band ist einzuordnen in neuere Ansätze, Sklaverei, Verknechtung, Zwangsarbeit und andere Formen unfreier Arbeit detailliert und im weltweiten Kontext zu erforschen und sich dabei von atlanto-zentrischer Engführung hinsichtlich der Konzepte, aber auch der historischen Datengrundlage zu lösen. Die Beiträge zeigen, dass dabei eine vergleichende Perspektive - ob ausdrücklich oder impliziert - notorisch hereinspielt.
Die Autorinnen und Autoren betonen die Erfahrungsebene von Zwang und Unfreiheit und binden diese durchgehend in gesellschaftliche und politische Strukturen ein. Methodisch zeigen sie die Vielfalt der Quellen, die historische Dependenzforschung heute verwenden kann. Im Hinblick auf Theoriebildung und Begrifflichkeit offenbart der Band in den grundlegenden Kapiteln wie auch anhand der empirischen Fallbeispiele, wie wichtig und gleichzeitig schwierig es ist, europäisch geprägte Sklaverei und die dominanten Konzepte bei Vergleichen nicht als unhinterfragtes tertium comparationis zu denken.
Es ist eine blendende Idee der HerausgeberInnen, die BeiträgerInnen ausdrücklich zu bitten, nicht nur ein Fazit zu ziehen, sondern in einem eigenen Abschnitt auch eine vergleichende "Reflexion" vorzunehmen. Dadurch werden immer wieder interessante Bezüge zwischen den Beiträgen über die von den HerausgeberInnen ausgelegten roten Fäden hinaus ermöglicht. Die Mehrheit der Beiträge folgt dieser Vorgabe; in manchen Beiträgen fehlt aber entweder das eine oder das andere.
Zur Form: Dieses Buch ist durchgehend sehr sauber ediert und enthält fast keine Druckfehler. In Zeiten schneller akademischer Produktion ist das keine Selbstverständlichkeit. Positiv fällt auf, dass die fünf Karten einheitlich gestaltet sind; allerdings sind in den Karten nur sehr wenige Orte verzeichnet. Hilfreich ist es, dass sich zumindest ein kurzes Register findet, anders als bei vielen heutigen Sammelbänden. Dieser Index trägt eine Überschrift, ist aber faktisch nach Sachen und Orten getrennt. Manche Lemmata wirken aber etwas zufällig gewählt. So gibt es etwa den Eintrag "corvée", aber keine zu "bondage" oder "intermarriage". Angesichts des theoretischen Anspruchs des Bandes ist es schade, dass manche Leitbegriffe gerade der einführenden Beiträge zwar auftauchen, etwa "debt" und "enslaveability", andere aber nicht, wie "area studies", "dependency" und "coercion".
Dieser Sammelband bildet einen wichtigen Beitrag zur bislang unterbelichteten historischen Erforschung unfreier Formen freiheitsbegrenzender Arbeit und Sklaverei in Gesellschaften Asiens. [1] Das Buch bietet dazu viele empirische Erkenntnisse und auch theoriegenerierende Fragen zu räumlichen Verbindungen und strukturellen Kontinuitäten. So kann es auch anregend sein für die Erforschung von unfreier Arbeit nach der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts inklusive kontemporärer unfreier Arbeit. Darüber hinaus bekommen wir als Leserinnen Einblick in Chancen und Grenzen einer sich gerade erst entwickelnden, tatsächlich vergleichenden und dabei global orientierten Forschung zu versklavender Arbeit und ähnlichen Abhängigkeitsformen.
Anmerkung:
[1] Der Band ergänzt sich gut mit einem weiteren neuen Sammelband zu unfreien Sozial- und Arbeitsverhältnissen in Asien, der zeitlich deutlich früher ansetzt, aber fast in der gleichen Periode endet: Richard B. Allen (ed.): Slavery and Bonded Labor in Asia, 1250-1900, Leiden 2023 (= Studies in Global Slavery; Vol. 10).
Christoph Antweiler