Ilkka Kärrylä: Democracy and the Economy in Finland and Sweden since 1960. A Nordic Perspective on Neoliberalism (= Palgrave Studies in Political History), Cham: Palgrave Macmillan 2021, xv + 364 S., ISBN 978-3-030-80630-9, GBP 99,99
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Eckart Conze / Martin Klimke / Jeremy Varon (eds.): Nuclear Threats, Nuclear Fear and the Cold War of the 1980s, Cambridge: Cambridge University Press 2017
Ilkka Kärrylä, Historiker an der Universität Helsinki, hat mit seiner Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Konzepts der Wirtschaftsdemokratie und dem Wandel hin zum Neoliberalismus in Nordeuropa vorgelegt. Mit der Demokratisierung des Arbeitslebens und dem Einfluss neoliberalen Denkens hat sich der Autor zentrale Themen der aktuellen Zeitgeschichtsforschung vorgenommen. Die chronologisch geordnete Studie ist an der Schnittstelle von Politik-, Wirtschafts- und Ideengeschichte angesiedelt und kann als Geschichte der "separation of the political and economic spheres and depoliticization of the economy" bezeichnet werden (315). Schweden und Finnland werden in den acht Kapiteln des Buches gemeinsam analysiert. Kärrylä ist auf die (politischen) Akteure fokussiert, die sich mit der Demokratisierung des Wirtschafts- und Arbeitslebens auseinandersetzten: "I explain conceptual and ideational change with 'dilemmas' that historical actors have faced and that have prompted them to modify their beliefs and concepts" (10 f.). Methodisch orientiert er sich dabei an dem britischen Politikwissenschaftler Mark Bevir. [1]
Der beinahe omnipräsente Diskurs über Wirtschaftsdemokratie in Schweden und Finnland nach dem Zweiten Weltkrieg steht im Kontrast zur neoliberalen Wende seit den späten 1980er/frühen 1990er Jahren auch in diesen Staaten. Kärrylä argumentiert, dass Demokratie und Wirtschaft in beiden Staaten von einer Mehrheit der Gesellschaft und politischen Elite bis Ende des Kalten Kriegs als Einheit begriffen wurden. Mit der Durchsetzung des neoliberalen Paradigmas seien diese Sphären hingegen als getrennt wahrgenommen worden. Der Autor sieht die Ursachen dafür stärker in innenpolitischen Entwicklungen als im sich wandelnden globalen Diskurs über Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik seit den 1980er Jahren.
In einem einführenden Kapitel zur Wirtschaftsdemokratie als umstrittenes Konzept gibt der Autor einen konzisen Überblick über die historische Entwicklung, die unter anderem auch auf die Debatte in der Weimarer Republik verweist. Das dritte und vierte Kapitel bilden das Kernstück der Studie. In den 1960er und 1970er Jahren waren Konzepte zur Demokratisierung der Wirtschaft besonders populär. Dabei hatten diese in Schweden und Finnland Ausstrahlungskraft bis in das liberale und zentristische Lager hinein. Insbesondere in Schweden setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Idee einer umfassenden Wirtschaftsdemokratie durch. Die beinahe hegemoniale Stellung der schwedischen Arbeiterbewegung, zu nennen sind die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (die von 1936 bis 1976 durchgehend den Regierungschef stellte), die Landsorganisationen (LO) als einflussreicher Gewerkschaftsdachverband und ihre Vorfeldorganisationen, legten den Grundstein für entsprechende Mehrheiten. Eine besondere Rolle in der politischen und ökonomischen Debatte nahm die Idee der Löntagarfonder (Arbeitnehmerfonds) ein. Der Staat sollte, ähnlich einem Staatsfonds, durch einen Teil der Steuereinnahmen auf Unternehmensgewinne Anteile der Unternehmen erwerben und diese dadurch langfristig von Privat- in Kollektiveigentum der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überführen. Die Verwaltung dieser Arbeitnehmerfonds sollte bei Vertreterinnen und Vertretern der schwedischen Gewerkschaften liegen. Die Idee stammte von dem Ökonomen Rudolf Meidner, der 1933 vor dem nationalsozialistischen Terror von Berlin nach Schweden geflüchtet war, 1943 schwedischer Staatsbürger geworden war und anschließend unter anderem bei Gunnar Myrdal studierte. Als Anhänger des demokratischen Sozialismus suchte er nach Wegen, um das Arbeits- und Wirtschaftsleben zu demokratisieren - ohne allerdings die Zwangsmaßnahmen einzusetzen, die von den sozialistischen Diktaturen Osteuropas genutzt wurden.
In den 1970er Jahren setzte sich vor allem die LO für die Einführung der Arbeitnehmerfonds ein. Nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten und der erneuten Amtsübernahme von Olof Palme als schwedischer Premierminister erfolgte 1982 schließlich die Umsetzung. In den folgenden Jahren waren die Fonds Gegenstand einer intensiven Debatte in der schwedischen Öffentlichkeit, die bis hin zum Vorwurf der Einführung des Sozialismus reichte. Im Jahr 1991 wurden sie nach dem liberal-konservativen Wahlsieg schließlich wieder abgeschafft.
Im fünften Kapitel analysiert der Autor die beginnende Gegenbewegung, indem er u. a. die Mobilisierung der nationalen Unternehmer- und Arbeitgeberverbände sowie der konservativen Parteien nachzeichnet. Seit den 1980er Jahren setzte sich in beiden Staaten langsam ein Wandel hin zur Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern anstatt des deutlich umfassenderen Konzepts einer Wirtschaftsdemokratie durch.
Während das sechste Kapitel die letzten Kämpfe der Linken um den Erhalt wirtschaftsdemokratischer Konzepte in beiden Staaten in den 1980er und frühen 1990er Jahren zum Inhalt hat, analysiert das siebte Kapitel den endgültigen Durchbruch marktliberaler Konzepte im Zuge der ökonomischen Krisen nach Ende des Kalten Kriegs in Schweden und Finnland, wo der Wirtschaftseinbruch noch deutlich stärker ausfiel. Die Finanzmärkte waren bereits in den 1980er Jahren dereguliert worden. Nun kam es auch zu Kürzungen der umfassenden wohlfahrtsstaatlichen Leistungen. Der Druck steigender Arbeitslosigkeit und des geringen bis ausbleibenden Wirtschaftswachstums war, wie in fast allen OECD-Staaten, ein zentraler Faktor für die Hinwendung zu einer stärker marktorientierten Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik.
Interessant sind in diesem Kapitel insbesondere die Ausführungen zum Wandel der schwedischen Sozialdemokraten. Dort etablierte sich in den 1980er Jahren mit "Kanslihushögern" ein Konzept, das den Third Way Bill Clintons und Tony Blairs vorwegnahm. Einer der Protagonisten war der langjährige Finanzminister Kjell-Olof Feldt, der sich gegen die Arbeitnehmerfonds positioniert hatte. Feldts Widerstand erregte besonderes Aufsehen, als er von einer Kamera im Parlament dabei beobachtet wurde, wie er ein diffamierendes Gedicht gegen die Arbeitnehmerfonds verfasste.
Im Fazit wird der Autor politisch und fragt: "Can the Economy be Re-Politicized?" (318-323). Er sieht im Klimawandel und der sozialen Ungleichheit Faktoren, die eine Repolitisierung begünstigen können. Ebenso verweist er auf die Re-Regulierung der Finanzmärkte im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/08 und Bewegungen wie Occupy Wall Street, die sich für eine gerechtere Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik einsetzen.
Kritisch anzumerken ist, dass Kärrylä die internationale Dimension, die insbesondere für die westeuropäische Sozialdemokratie eine herausragende Stellung besaß, zu wenig beachtet. Er bleibt weitgehend im schwedisch-finnischen Diskurs verhaftet. Die Debatten in der Sozialistischen Internationale und internationalen Gewerkschaftsbünden über die nordischen Konzepte von Wirtschaftsdemokratie, aber seit den späten 1980er Jahren auch über eine neoliberale Wende, finden nur am Rande Beachtung. Gleiches gilt für die Debatten in den europäischen Institutionen nach dem EU-Beitritt beider Staaten 1995. Auch der bilaterale Austausch, zum Beispiel zwischen der SPD und den schwedischen Sozialdemokraten oder persönlich zwischen Protagonisten wie Olof Palme und Kalevi Sorsa auf der einen sowie Willy Brandt und François Mitterrand auf der anderen Seite, hätte stärker betont werden können. Die hohe Attraktivität des Konzepts für die Linke in Westeuropa wird somit weitestgehend ausgeblendet. Transferprozesse können dadurch nur bedingt nachverfolgt werden.
Nichtsdestotrotz hat Kärrylä mit seiner Dissertation eine beeindruckende Studie vorgelegt, die die schwedischen und finnischen Debatten über das Konzept der Wirtschaftsdemokratie sowie die sukzessive Übernahme neoliberaler Vorstellungen minutiös nachzeichnet und für beide Staaten erklärbar macht.
Anmerkung:
[1] Mark Bevir: The Logic of the History of Ideas, Cambridge 1999.
Nikolas Dörr