Antoni Conejo da Pena / Pol Bridgewater Mateu (eds.): The Medieval and Early Modern Hospital. A Physical and Symbolic Space (= IRCVM- Medieval Cultures; 15), Roma: Viella 2023, 416 S., zahlr. Abb., ISBN 979-12-5469-300-1, EUR 65,00
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Nicole R. Rice: The Medieval Hospital. Literary Culture and Community in England, 1350-1550, Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2023
Aus dem seit dem Jahr 2012 jährlich tagenden "Abrils de l'Hospital"-Symposium des International Network for the History of Hospitals (INHH) ging der vorliegende Sammelband für die 2019er Tagung hervor. Der Band ist im Rahmen des Forschungsprojektes "Barcelona en el contexto del gótico meridional: arquitectura y ornamentación" erschienen. Sein Titel verweist auf den ersten Blick auf Hospitäler als Institutionen im Kontext des spatial turn (und reiht sich so mühelos in die Hospitalforschung einzelner Institutionen ein), muss aber, das wird schon nach wenigen Seiten deutlich, als Bescheidenheitstopos der Herausgeber gesehen werden. Sie betonen, das mittelalterliche und frühneuzeitliche Hospitalwesen als Verkörperung der christlichen Fürsorgeidee zu verstehen, als Ort visueller Symbolik der Macht ihrer Stifter und somit als Vehikel des öffentlichen und privaten Selbst, was bereits den Rahmen der institutionellen Perspektive als funktionale Architektur per se deutlich erweitert. Dazu ist der Band transregional und transkulturell angelegt, was den internationalen Charakter der Tagungen widerspiegelt. Er behandelt in vorliegendem Fall die Iberische Halbinsel, Norditalien und Mittelitalien, nimmt aber auch muslimisch geprägte Territorien in den Blick.
Vier große Kategorien bilden das Gerüst des Bandes, der insgesamt aus neunzehn Beiträgen besteht, die sich in unterschiedlicher Anzahl den Themen Ikonographie und Symbolik, dem Erbe der Hospitäler als symbolischer Raum, dem Territorium und seinen dokumentarischen Quellen sowie Hospitälern und Medizin zugeordnet finden.
Antoni Conejo da Pena geht der Politisierung der öffentlichen Gesundheit von der Antike bis zu Gregor dem Großen nach. Dabei untersucht er die Verbindung von Herrschaft und öffentlicher Gesundheit in der ikonographischen Tradition der salus populi romani, indem er kunsthistorische Zitate von numismatischen Quellen bis hin zu der berühmten Ikone, die von Gregor dem Großen bei der Pestprozession getragen worden sein soll, heranzieht.
Fernando Serrano Larráyoz und Antonio González Bueno beleuchten die ikonographische Tradition der Verehrung der beiden Arztheiligen Cosmas und Damian, die in Aragon und Kastilien bereits im 7. Jahrhundert einsetzte. Pamplona wurde durch den Besitz von Reliquien der Heiligen bereits im 9. Jahrhundert Verehrungszentrum, Aragon und weitere Städte folgten. Analysiert werden Verehrungspraktiken durch verschiedene Gruppen der Gesundheitsberufe, also etwa durch Barbiere, Chirurgen, Ärzte und Apotheker, die Bruderschaften gründeten, welche ihrerseits die Statuen der Heiligen bei öffentlichen Prozessionen zur Schau stellten, was deren öffentliche Verehrung wiederum intensivierte, und bis heute gelebte Tradition ist.
Josep Barcelò Prats beleuchtet Stadien der Medikalisierung in Hospitälern, die nach seinem kritischen Fokus bereits im Spätmittelalter einsetzte, dort auch die Lebensführung berührte und im dritten Stadium dann in der Gegenwart durch Wissensbeschaffung mittels Digitalisierung wiederum die Lebensführung (health literacy) der Patienten adressiert.
Pol Bridgewater Mateu widmet sich der Bedeutung des Hospitals vom Heiligen Kreuz in Barcelona und seiner urbanen Integration durch Festivitäten, Zeremonien und Prozessionen, die das Hospital für ihn eben nicht nur als Ort von Krankheit und Armut, sondern ebenso als Ort der Schönheit ausweisen.
Jaume Marcé Sánchez rekonstruiert Genese und weitere Entwicklung des Hospitals zum Heiligen Kreuz in Barcelona aus ökonomischer und infrastruktureller Perspektive. Nach einer Fusion von sechs Hospitälern wurde im Jahr 1401 das Hospital gegründet und in verschiedene Abteilungen untergliedert. Teile der Immobilien wurden verkauft, um Einkommen für das Hospital zu generieren, was sich wiederum auf die Infrastruktur des Stadtteils La Ribera auswirkte.
Das Hospital Santa Maria della Scala in Siena, neben der berühmten Kathedrale gelegen, und seine Einbindung in den urbanen Raum bis hin zu seiner Säkularisierung im 15. Jahrhundert thematisiert Fabrio Gabrielli. Dabei verweist er auch auf die Symbolisierung einer Kommunalisierung von Wohlfahrt, die durch einen Marien-Bildzyklus in den angrenzenden Gebäuden für die Öffentlichkeit sichtbar wurde. Ganz ähnlich verfährt methodisch Salvatore Marino, der das Wohlfahrtssystem in Neapel bis ins Gebiet außerhalb der Stadtmauern untersucht. Zu Festivitäten und Prozessionen zu Ehren des Hospitals Santa Maria de Gracia in Saragossa, die an Allerheiligen stattfanden, äußert sich Raúl Villagrasa-Elías.
Auf der Basis seiner Bachelorarbeit zeichnet Pere Manel Marquès I Carreras die Geschichte des Maristan von Granada nach, das bis zu seiner Niederlegung im 19. Jahrhundert als wichtigste Gesundheitseinrichtung der islamischen Welt auf der Iberischen Halbinsel galt. Beleuchtet werden vor allem Form und Funktion der Architektur aus kunsthistorischer Perspektive.
Das Hospital als Herberge für florentinische Pilger in Prato am Schnittpunkt der Wege zwischen Rom, Vézelay und Santiago de Compostela nimmt Esther Diana in den Blick. Der Einfluss des Hospitals auf die Stadt, so weist sie durch eine Analyse der Statuten nach, war überdies hoch, weil das es zeitgleich als Waisenhaus fungierte. Unerwartet als Beitrag, aber eine sehr fundierte Darstellung, die nochmals auf die Beziehung zwischen Hospitälern zu ihrer Umwelt verweist, ist die von Giuliana Albini aufgezeigte Verflechtung zwischen Hospitälern und der Initialisierung des Brückenbaus im späten Mittelalter. Eingegangen wird dabei auch auf die für Hospitäler so typischen Brückenhäuser, die den Pilgern den Weg zu diesen Hospitälern wiesen.
Marina Gazzini nimmt sich den Wegführungen zu und um Hospitäler in der Lombardei an. Dem Beitrag schließt sich methodisch derjenige von Frederic Aparisi Romero an, der durch die Kartierung von Hospitälern im ländlichen Raum in der Umgebung von Valencia das Streckennetz auch als Kommunikationsweg zwischen den Örtlichkeiten und den jeweils angebundenen Gesundheitsinstitutionen deutet. Hospitalgeschichte als Objektgeschichte auf der Basis von Inventarlisten eines Hospitals in Vic schreibt Anna Maria Ester Condins, während Mariangela Rapetti und Maria Beatrice Artizzu anhand von Schriftquellen sowie einem Hospitalplan ein Hospital in Cagliari rekonstruieren, das dadurch als virtuelles Museum Betrachtern wieder zugänglich gemacht werden kann.
Im vierten Block wird der Einfluss von historischen Ereignissen wie Kriegszügen und Epidemien auf die Gründung von Hospitälern beleuchtet. Guilem Roca Cabau nimmt dabei die Stadt Lleida in den Blick, Joana Balsa de Pinho analysiert den Zusammenhang zwischen der Pest und dem Hospital als Pesthaus in Lissabon, während Marialuz López-Terrada und Carmel Ferragud beschreiben, wie das medizinisch akademische Wissen, aber auch Theologie und Politik in Hospitälern in Valencia mitunter die Realität der Entität Hospital verschwimmen ließen.
John Henderson widmet sich erneut der Hospitaltopographie von Florenz, in vorliegendem Fall im Kontext ihrer unterschiedlichen Funktionen in Zeiten der Pest als institutionalisierte Krankheitsbekämpfung.
Der Band beeindruckt nicht nur durch seine große Bandbreite an Forschungsperspektiven, sondern auch durch die Vielzahl an Quellengattungen, die die Beitragenden für ihre Forschungen fruchtbar machten. Einziger Wermutstropfen im Band ist die für Ungeübte eher schwer zugängliche Sprachenvielfalt, die neben Englisch, Italienisch und Spanisch auch Katalanisch umfasst - positiv gewendet: eben dies symbolisiert das Wesen der internationalen Forschung.
Insgesamt ist dieser Band ein wundervoll gelungener Beitrag zur Hospitalgeschichte und Medizingeschichte. Das ist nicht allein Forschung, wie wir sie brauchen, das ist Forschung, die auch begeistert.
Monja Schünemann