David Paulson: Family Firms in Postwar Britain and Germany. Competing Approaches to Business (= People, Markets, Goods: Economies and Societies in History; Vol. 20), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2023, XII + 348 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-1-78327-758-2, GBP 24,99
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Familienunternehmen ziehen die Aufmerksamkeit der interdisziplinären Forschung auf sich. Zumeist geht es um die Frage, inwieweit diese Unternehmen die jüngeren Wirtschaftskrisen besser bewältigten als Kapitalgesellschaften in Streubesitz. Die historische Forschung war, zumindest auf Deutschland bezogen, jahrzehntelang auf das Handeln der (männlichen) Köpfe "großer" Industriedynastien fixiert. Ab den 1970er Jahren begann sich der Fokus zu den Unternehmungen und Eigentümerfamilien auszuweiten. Übergreifende, noch dazu international vergleichende Untersuchungen, wie von Hartmut Berghoff und Ingo Köhler sind gegenüber Einzelstudien selten. [1]
Hieraus ergibt sich die erste Besonderheit der hier besprochenen Studie, die auf eine Dissertation an der Cambridge University zurückgeht. David Paulson vergleicht erstmals die Entwicklung britischer und bundesdeutscher Familienunternehmen vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den späten 1970er Jahren. Untersucht werden jeweils drei Fallbeispiele aus den englischen West Midlands und aus Baden-Württemberg. Die Firmen gehören wiederum drei Industriebranchen (Papier, Stahlbau und Automobil) an. Die zweite Besonderheit resultiert aus der Vita des Verfassers. So bringt Paulson Praxiserfahrungen als früherer Geschäftsführer mehrerer kleiner und mittlerer Unternehmen ein, die im Wettbewerb mit deutschen Familiengesellschaften standen.
Paulsons Leitfragen sind demzufolge stark gegenwartsbezogen: Ist der gerade auch im europäischen Ausland viel gelobte German Mittelstand tatsächlich erfolgreicher als seine Konkurrenz jenseits des Kanals? Und sind es eher die Akteurinnen und Akteure in den Unternehmen oder die "external environments" (15), die den Unternehmenserfolg ausmachen?
Zunächst greift der Autor Eigenschaften und Qualitäten auf, die dem deutschen Mittelstand gerne und häufig zugeschrieben werden. Dazu zählen eine regionale Verankerung und Exportorientierung, gut ausgebildete, motivierte und selbst organisierte Mitarbeitende, eine emotional mit dem Unternehmen und fürsorglich den Mitarbeitenden verbundene Eigentümerfamilie sowie ihr beständiges Streben nach Unabhängigkeit. Daher betrachtet er die Vernetzung der Unternehmen, die Arbeitsbeziehungen zwischen Führung und Belegschaften, deren Ausbildung und Arbeitskultur, die Governance sowie die externe Finanzierung durch Banken.
Paulsons Analyse zeigt, dass es dem Stahlbauer Julius Schneider und dem Automobil-Zulieferer RECARO offenbar leichter als den britischen Konkurrenten Braithwaite & Co. und Jenson Motors fiel, ein tragfähiges Kundennetzwerk aufzubauen. Wichtige Knotenpunkte fanden die beiden schwäbischen Familienunternehmen mit Mercedes-Benz und Porsche bereits in der Region. Als Schneider seine Pforten während der Stahlkrise Mitte der 1970er Jahre etwas überraschend schloss, wurden sämtliche Mitarbeitende von einem benachbarten Unternehmen übernommen.
Die Firma Chr. Wandel, die Metalltuche und Maschinen für die Papierverarbeitung herstellte, profitierte über Jahrzehnte von ihren exportorientierten Nischenprodukten. Zugleich zeigten sich gravierende Governance-Defizite. Diese konterkarierten die Vorstellung, dass bei den Mittelständlern durch Fleiß jedes Rädchen wie von selbst in das nächste griff. Oder wie es Paulson formuliert: "The idealised Mittelstand family firm was being shown not to work without clear and clarified leadership, and thorough organisation of motivated, directed staff at all levels". (134) Als beide Märkte einbrachen, Innovationen ausblieben und die Eigentümerunternehmerin bis ins höhere Alter an der Führung festhielt, kam die spätere Insolvenz nicht überraschend.
Während das Unternehmen Wandel an einer fehlenden Flexibilität scheiterte, machte dem britischen Konkurrenten Kenrick & Jefferson seit den 1970er Jahren eine übersteigerte Dynamik des Firmenchefs zu schaffen. Denn Tom Jefferson als junger Vertreter der vierten Generation "took the company by the neck and dragged it forward". (168) Das kriselnde, papieraffine Unternehmen stieß zwar in Zukunftsfelder wie der Informationstechnologie vor. Es war jedoch zugleich in hohem Maße vom selbstbewusst eingeforderten Alleinentscheidungsrecht Jeffersons abhängig. Er allein konnte den Abwärtstrend nicht aufhalten, und von seinem frühen Tod in den 1990er Jahren erholte sich Kenrick & Jefferson nicht mehr.
Die sichtbarsten und von Paulson am überzeugendsten herausgearbeiteten Unterschiede zwischen dem deutschen Mittelstand und britischen Familienunternehmen liegen in der Ausbildung und in der externen Finanzierung. Die schwäbischen Firmen erhielten durch die duale und vertiefende Meister-Ausbildung, zwei Technische Hochschulen und mehrere Forschungsinstitute hochqualifizierte (Führungs-)Kräfte. "Britain lacked vocational education infrastructure and national standards, and did not build on regional initiatives". (298)
Auf finanziellem Sektor unterstützten "Hausbanken" wie die Sparkassen durch langfristige Kredite und geschultes Personal. Die zentralisierten Banken in Großbritannien zeigten dagegen mindestens bis Ende der 1970er Jahre kein Interesse an kleinen und mittleren Unternehmen. Mit anderen Worten: "The context in which Baden-Württemberg's Mittelstand operated was intended to facilitate the long-term growth of its companies". (298)
Somit sind es vorrangig die "external environments", die den unterschiedlichen Erfolg von deutschen und britischen Familienunternehmen beeinflussten. Zweifellos profitierten in Baden-Württemberg von den beschriebenen strukturellen Vorteilen weitaus mehr als die drei von Paulson ausgewählten Unternehmen. Indem der Autor die Wirkung dieser Vorteile herausstellt, gewinnen die hierauf zielenden Befunde seiner Fallstudie zugleich an Repräsentativität.
Paulsons Arbeit zeichnet sich durch ein hohes Maß an argumentativer Reflexion und einem kritischen Umgang mit den ausgewerteten Quellen aus. In mentalitätsgeschichtlicher Hinsicht folgt er allerdings etwas unreflektiert den gängigen Narrativen und Selbstzuschreibungen, wenn er mehrfach den Fleiß und die Bodenständigkeit der schwäbischen Bevölkerung betont. Den Menschen in den West Midlands wird dagegen Selbstzufriedenheit attestiert, dessen Ursprünge trotz Hinweisen auf die dortigen historischen Boomphasen in der Wirtschaft diffus bleiben.
Die eingangs erwähnte, von Paulson nicht berücksichtigte Studie von Berghoff und Köhler hätte sicherlich weitere Denkanstöße liefern können. Beide Autoren zeigen etwa, dass das Scheitern dieses Unternehmenstyps in Deutschland häufig noch immer schambesetzt ist, während in den USA eine trial-and-error-Mentalität herrscht. Liefern die Quellen Anhaltspunkte dafür, dass die Emsigkeit schwäbischer Mittelständler Scham befeuerte? Und wie reagierten britische Unternehmer auf das (drohende) Ende?
Paulsons Studie schließt mit dem Plädoyer, dass weit über Deutschland hinaus "the Mittelstand way of working can inspire policy-makers and business people to create the sustainable, purpose-driven, human-centered enterprises of the future". (302) Zugleich betont er die zwingende Voraussetzung, dass in die Rahmenbedingungen investiert und das Modell von den Akteurinnen und Akteuren in den Familienunternehmen gepflegt werden muss. Damit adressiert er zwei Zielgruppen seiner Untersuchung. Allerdings wird auch die (historische) Forschung aus der Arbeit Gewinn für künftige Regionen- und Ländervergleiche ziehen.
Anmerkung:
[1] Vgl. etwa Andrea Colli: The History of Family Business, 1850-2000, Cambridge 2003; Harold James: Familienunternehmen in Europa. Haniel, Wendel und Falck, München 2005; Hartmut Berghoff / Ingo Köhler: Verdienst und Vermächtnis. Familienunternehmen in Deutschland und den USA seit 1800, Frankfurt am Main 2020; Thomas Urban: Unternehmerfamilien im krisenreichen 20. Jahrhundert. Zwischen Spürsinn und Sinnverlust, Wiesbaden 2023.
Thomas Urban