Rezension über:

Oliver Schipp: Den Kolonat neu denken. Zur Aktualität eines Forschungsproblems (= Mainzer Althistorische Studien; Bd. 11), Heidelberg: Propylaeum 2023, 214 S., ISBN 978-3-96929-215-0, EUR 42,90
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Rezension von:
Florian Battistella
Bischöfliches Willigis-Gymnasium Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Florian Battistella: Rezension von: Oliver Schipp: Den Kolonat neu denken. Zur Aktualität eines Forschungsproblems, Heidelberg: Propylaeum 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 10 [15.10.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/10/38757.html


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Oliver Schipp: Den Kolonat neu denken

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Oliver Schipp legt mit dem hier besprochenen Buch "Den Kolonat neu denken. Zur Aktualität eines Forschungsproblems" seinen nach eigenen Angaben letzten Beitrag zum Kolonat vor (8). Dieser fällt dank der angesprochenen Vorarbeiten recht schlank aus. Auf das Vorwort (7f.) folgen zehn thematische Abschnitte (8-162), an die sich fünf Tabellen (163-168), das Quellen- und das Literaturverzeichnis (169-197) sowie ein Stellen- und ein Sachregister anschließen (199-214).

Titel und Vorbemerkung lassen neue Erkenntnisse zum Kolonat selbst und eine Diskussion seiner Aktualität, vielleicht sogar eine Erklärung für das aktuelle Interesse an Abhängigkeitsfragen erwarten. [1] Schipp konzentriert sich jedoch auf den Kolonat selbst, vor allem dessen Ursprünge. Dies erklärt wohl auch, weshalb er in Abschnitt I (9-11) sein Forschungsinteresse aus einem gewandelten Bild der Regierungszeit Kaiser Konstantins ableitet und nicht aus Abhängigkeitsdebatten. Folglich stellt die Untersuchung auch Konstantin ins Zentrum und fragt, warum dieser eine allgemeine Bodenbindung einführte und damit die Grundlagen für den nach und nach entstandenen Kolonat legte.

Bevor Schipp gezielt auf Konstantins Maßnahmen eingeht, erläutert er in den Abschnitten II (13-38) und IV (51-62), wie man sich die Entwicklung des Kolonats vorzustellen habe: Eine geringe Kenntnis der konkreten Bestimmungen der kaiserlichen Gesetzgebung im Reich habe zu Anfragen an die verschiedenen Kaiser seitens der Grundbesitzer geführt. Die Kaiser wiederum hätten durch ihre Antworten den Kolonat schrittweise ausgeformt. Die einzelnen Gesetze müsse man als aus einer konkreten Situation heraus motiviert betrachten, wie es Sebastian Schmidt-Hofner [2] für die valentinianische Gesetzgebung vorführt (u.a. 24-29; 33; 60). Durch die älteren Modelle, namentlich Verschuldungsthese, Ansiedlungsthese und Steuerthese, lasse sich die Genese des Kolonats nicht zufriedenstellend erklären (52-59).

Aus den konkreten Herrschaftsumständen im spätantiken Imperium Romanum erklärt sich für Schipp auch die in seinen Augen uneinheitliche Kolonatsterminologie, auf die er im zwischengeschalteten Abschnitt III (39-50) eingeht: "In den Rechtstexten stehen die Bezeichnungen Inquiline und Kolone sowie andere, wie etwa tributarius und advena, die durch den Fortschritt des Rechtswesens zu Synonymen wurden, lange Zeit nebeneinander" (49).

Mit Abschnitt V (63-84) wendet sich Schipp der Gesetzgebung Konstantins zu, die insgesamt "eine neue Qualität" (64) besessen habe. Mit Blick speziell auf die Kolonengesetzgebung unterscheidet Schipp zwischen Gesetzen, die nur kaiserliche Kolonen betrafen und solchen die auch die übrigen Kolonen betrafen. Er konstatiert, dass zunächst nur die kaiserlichen Kolonen einer Bodenbindung unterlagen. Erst durch ein Gesetz aus dem Jahr 332 (CTh 5,17,1) "wurden auch die Kolonen privater Grundherren an ihre Scholle gebunden" (75 [Hervorhebung durch Rezensenten]). Die Regelungen an sich seien, so Schipp in den Abschnitten VI-VIII, durch drei Faktoren bestimmt worden, das "Regierungshandeln Konstantins" (85-100), "Innere[n] Konflikt und äußere Kriege" (101-112) sowie "Klima und Pandemien" (113-122).

Nachdem Schipp Inhalte und historischen Kontext der konstantinischen Gesetze skizziert hat, soll Abschnitt IX (125-154) die weiteren Entwicklungen im Westen wie im Osten nachzeichnen. In beiden Teilen der Mittelmeerwelt sieht Schipp eine fortschreitende rechtliche Einschränkung der Kolonen, wobei "im Jahr 419 [...] der Kolonat als Geburtsstand allgemein festgeschrieben" worden sei (130).

Der zehnte und zugleich letzte Abschnitt enthält Schipps Fazit, das (noch einmal) dem Ende des Roman Climate Optimum eine entscheidende Rolle zuweist (161) und Konstantin gewissermaßen zum Vater des durch spätere Kaiser ausgebauten Kolonats erklärt (161f.). Ebenso wiederholt er, dass der Kolonat eine schrittweise Entrechtung darstelle: "Den Kolonen wurde nach und nach jede Möglichkeit genommen, dem Abhängigkeitsverhältnis zu entkommen. Das Ehe- und Erbrecht wurde erweitert und modifiziert, und statt der Bindung an den Boden wurde die Bindung an den Grundherrn aus ökonomischen Gründen durchgesetzt. Dadurch entwickelte sich der Kolonat von einem Berufsstand zu einem Geburtsstand (condicio)" (162).

Die anschließenden Tabellen (164-168) sind Schipps Dissertation [3] entnommen und sollen vermutlich den Überblick über die Quellenlage verbessern, was jedoch nicht immer gelingt. In Tabelle 5, die als "Übersicht über die Quellen vom 4.-9. Jahrhundert" bezeichnet wird (168), fehlen oströmische Quellen, allen voran der Codex Iustinianus.

Dies ist leider bezeichnend, denn auch an anderen Stellen des Buches steckt der Teufel im Detail: Wie kommt Schipp beispielsweise zu dem Schluss, dass CJ 11,50,1 die Dauerpacht für kaiserliche Kolonen bestätige (105), wenn der besagte Rechtstext festlegt, dass jeder Kolone (quisquis colonus) bei Erhöhung der Abgaben gegen seinen Grundherrn Klage erheben dürfen?

Unklar bleibt ferner, weshalb für Schipp "die praktische Umsetzung der Konstitutionen gegen die Kolonenflucht [...] den Grundherren [oblag]" (134), wenn CJ 11,48,6 aus der Mitte des 4. Jahrhunderts festlegt, dass omnes omnino fugitivos adscripticios colonos vel inquilinos von den proviciis praesidentes zur Rückkehr gezwungen werden sollen.

Der in diesem Rechtstext enthaltene Begriff adscripticius führt unweigerlich zum nächsten Problem, das dem Rezensenten das entscheidende des gesamten Buches zu sein scheint: die Gleichsetzung zahlreicher Kolonatsbegriffe. Wenn wir mit Schipp von einer völligen Bedeutungsgleichheit der verschiedenen Kolonen- sowie der mit ihnen assoziierten beziehungsweise assoziierbaren Begriffe ausgehen, bleibt es völlig schleierhaft, weshalb sowohl ältere als auch jüngere Rechtstexte (zum Beispiel CJ 11,48,4 oder CJ 11,48,19) eine Unterscheidung verschiedener Kolonenkategorien vornehmen. Eine stärkere Unterscheidung der verschiedenen rechtlichen Kategorien, die an verschiedenen Stellen des Buches durchaus angelegt ist (etwa 75: "zunächst nicht alle Kolonen betroffen"), hätte zweifelsohne ein schärferes Bild des Kolonats geliefert.

Der Rezensent bleibt daher mit einem gemischten Eindruck zurück: Auf der einen Seite haben wir die innovativen Ansätze Schipps, der die Erkenntnisse der Klimaforschung erfolgreich in die Forschungsdiskussion um den Kolonat einbringt und versucht, die Entstehung und Entwicklung des Kolonats durch eine aus dem Kontext hervorgehende Gesetzgebung zu erklären - gerade mit Blick auf das Zustandekommen von CTh 5,17,1 durchaus mit Gewinn (110). Auf der anderen Seite steht die Nichtberücksichtigung einer Vielzahl teils entscheidender Details, weswegen das vom Kolonat gezeichnete Gesamtbild deutliche Verzerrungen aufweist.


Anmerkungen:

[1] Stellvertretend für die Aktualität der Erforschung von Abhängigkeitsfragen sei hier nur auf das "Bonn Center for Dependency and Slavery Studies" hingewiesen.

[2] Sebastian Schmidt-Hofner: Reagieren und Gestalten. Der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers am Beispiel der Gesetzgebung Valentinians I., München 2008.

[3] Oliver Schipp: Der weströmische Kolonat von Konstantin bis zu den Karolingern (332 bis 861), Hamburg 2009.

Florian Battistella