Kim Sebastian Todzi: Unternehmen Weltaneignung. Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus 1837-1916 (= Hamburger Beiträge zur Geschichte der kolonialen Globalisierung; Bd. 2), Göttingen: Wallstein 2023, 503 S., 42 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-5367-1, EUR 38,00
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Jürgen Zimmer / Kim Sebastian Todzi: Hamburg. Deutschlands Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte zur (post-)kolonialen Globalisierung, Göttingen: Wallstein 2022
Moritz von Brescius: German Science in the Age of Empire. Enterprise, Opportunity and the Schlagintweit Brothers, Cambridge: Cambridge University Press 2019
Sebastian Bischoff / Andreas Neuwöhner / Barbara Frey (Hgg.): Koloniale Welten in Westfalen , Paderborn: Brill / Ferdinand Schöningh 2021
Jürgen Zimmerer (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt/M.: Campus 2013
Hannimari Jokinen / Flower Manase / Joachim Zeller (Hgg.): Stand und Fall. Das Wissmann-Denkmal zwischen kolonialer Weihestätte und postkolonialer Dekonstruktion, Berlin: Metropol 2022
Die Wirtschaftsgeschichte des Kolonialismus hat in den letzten Jahren ein gewisses Comeback erlebt. Während ihrer letzten Hochphase in den 1980er Jahren standen klassisch makroökonomische Fragen im Zentrum der Diskussionen. Unter dem Eindruck von Cultural Turn und neuen Ansätzen der Globalgeschichte richten sich wirtschaftshistorische Arbeiten heute hingegen stärker an Fragestellungen aus, die ökonomische Verflechtungen über Nations- bzw. Imperiengrenzen auf mikrohistorischer Ebene fokussieren. Dazu eignen sich besonders neuere unternehmensgeschichtliche Ansätze, die uns ein detailliertes Bild des kolonialen Kapitalismus in seinen wirtschafts-, sozial-, kultur- und alltagsgeschichtlichen Aspekten vermitteln, insbesondere aber auch die enge Verbindung von kolonialer Interessenspolitik und wirtschaftlichem Interesse der an der kolonialen Ökonomie beteiligten Unternehmen. Mit seiner Geschichte des deutschen Handels- und Logistikkonzerns Woermann in der Hochphase des deutschen Kolonialismus hat Kim Todzi eine meisterhafte Studie vorgelegt, die diese engen Verflechtungen detailliert nachvollzieht, dabei aber nicht versäumt, ihre Auswirkungen und die aktive Rolle lokaler afrikanischer Akteure in die Analyse mit aufzunehmen.
Der deutsche Kolonialismus, so argumentiert Todzi, war eine "public-private-partnership" (9), ein zwischen dem deutschen Staat und spezifischen Kapitalfraktionen bzw. konkreten Unternehmensgruppen ausgehandeltes und in enger Abstimmung unternommenes Projekt. Das heißt nicht, dass es historisch keine Interessensdivergenzen bis hin zu Konflikten gab. Das koloniale Projekt war immer unabgeschlossen, historisch kontingent und emergent. Dies zeigt Todzi mit einer Fülle von Quellen anhand des für die koloniale Transport- und Handelsinfrastruktur zentralen Hamburger Woermann-Konzerns.
Die Geschichte dieses Unternehmens verkompliziert zeitliche und räumliche Konzeptionen des deutschen Kolonialismus ebenso wie die Frage, welche Akteursgruppen ihn vorantrieben, und seine Formen bestimmten. Lange vor der Gründung des Unternehmens 1837 war die Familie bereits in kolonial-globale Warenketten eingebunden. Von Beginn an war das Unternehmen Teil eines globalen Handelsnetzwerks. Es handelte mit den klassischen Waren wie Leinen (zum Export) sowie Kaffee, Tabak, Baumwolle und Zucker (zum Import). Auch nach dem formalen Ende des deutschen Kolonialreichs und dem Verlust des gesamten Schiffsparks sowie der Faktoreien und Plantagen in Kamerun gelang es Woermann, sein Unternehmensnetzwerk in der Zwischenkriegszeit wieder aufzubauen - mit Hilfe etablierter Kontakte, aber auch durch die Bereitwilligkeit anderer Kolonialmächte, deutsche Unternehmen wieder operieren zu lassen. Räumlich verbindet Todzis Darstellung die Geschichte der Hansestadt mit der nationalen und (trans-)imperialen Geschichte des deutschen Kolonialreichs sowie der Geschichte (West-)Afrikas, insbesondere Kameruns.
Das Unternehmen C. Woermann war gut aufgestellt, um eine prominente Rolle in den kolonialen Bestrebungen deutscher Geschäftsleute und Politiker einzunehmen. Es war als patriarchales Familienunternehmen im Zentrum eines durch persönliche Verbindungen, Verträge, Kooperationen, Vereins- und Salonmitgliedschaften geknüpften Netzwerks organisiert. Unter Adolph Woermann, dem Nachfolger des Unternehmensgründers Carl Woermann, wurde es Teil der "Clanstrukturen" (50) der Hamburgischen Handelshäuser und entwickelte sich schnell zu einem entscheidenden Akteur des deutschen Kolonialismus. Während der Betrieb von Schiffen nicht ungewöhnlich für ein Hamburger Handelshaus war, machte die Ausgründung der Woermann-Linie 1885 mit einer Flotte schneller Dampfer, ihre Konzentration auf Westafrika und Staatsaufträge (bis hin zum Truppentransport während des Genozids in Namibia) den Konzern zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Infrastruktur deutscher Kolonialherrschaft. Firmenpatriarch Adolph Woermann spielte beim Aufbau der Kolonialherrschaft eine zentrale Rolle. Er war aktives Mitglied Hamburger Kolonialvereine, koordinierte Transportnetzwerke nach Afrika mit anderen Hamburger und internationalen Handelshäusern und etablierte Verbindungen ins politische Berlin bis hin zu Beratungen mit Bismarck über die Kolonialpolitik. Bereits früh engagierte sich der Konzern in Kamerun und pflegte gute Beziehungen zu den Douala, die als Zwischenhändler für tropische Exportprodukte an der Küste fungierten. Aufgrund der zunehmenden Konkurrenz internationaler Handelsfirmen drängte Woermann darauf, deren Macht einzuschränken, um selbst die Warenkette zu kontrollieren. Dabei wurden im Laufe der Jahre verschiedene Modelle - von der Plantagenwirtschaft bis zur Konzessionsvergabe in Verbindung mit jeweils unterschiedlichen Formen der Zwangsarbeit - getestet. Andererseits gelang es lokalen Händlern aufgrund der relativen Schwäche des Kolonialstaates sowie der Schwierigkeit des Konzerns, mit wenig Personal große Landflächen und viele afrikanische Arbeiter kontrollieren zu müssen, immer wieder, eine eigene Handlungsmacht zu behaupten und selbst Einfluss auf lokale Formen des Kapitalismus zu nehmen.
Todzi beginnt sein Buch chronologisch, fächert es dann aber in zwei Kapiteln systematisch auf, um den Konzern einerseits in Richtung einer sozialen Einbettung der Märkte, andererseits in Richtung der engen Verflechtung des Woermann-Konzerns mit der deutschen Kolonialpolitik zu betrachten, vor allem während ihrer brutalsten Ausprägung, dem Völkermord an den Herero und Nama. Die Faktoreien, Plantagen, Handelsstützpunkte, Hafenanlagen sowie die (meist europäischen) Angestellten und afrikanischen Arbeiter wurden im Verlauf der Kolonialzeit zu einem wichtigen Faktor in der kolonialen Gesellschaft, bis hin zu intimen Beziehungen, die unterschiedliche Formen annahmen und innerhalb des Konzerns im Kontext des kolonialen Rassismus nicht gerne gesehen wurden.
Todzi gelingt es in seiner Studie, den kolonialen Kapitalismus, seine ökonomischen und außerökonomischen Triebkräfte sowie die Dynamik verschiedener Akteursgruppen verdichtet zu beschreiben, ohne dabei den größeren Kontext aus den Augen zu verlieren. Die Firma Woermann gehörte zur zentralen Infrastruktur des deutschen Kolonialreichs, im materiellen Sinne als wichtigster Dienstleister für den Transport von Waren, Personal und Truppen, und im politischen Sinne als bedeutender Akteur in den Entscheidungen, ob und wie das koloniale Projekt angegangen werden solle. Über die Analyse dieser Infrastruktur kann Todzi unsere Sicht auf den kolonialen Kapitalismus um wesentliche Erkenntnisse erweitern - zum Verhältnis von politischen und wirtschaftlichen Interessen, die Rolle von lokalen Familienunternehmen im Aufbau und der Stabilisierung des Kolonialreichs, aber auch zur Geschichte des globalen Kapitalismus in seiner kolonialen Ausformung. Die Unternehmensgeschichte wird hier um wertvolle Aspekte erweitert, insbesondere durch die sozialhistorische Einbettung des Unternehmens in die Kolonie Kamerun und die Berücksichtigung afrikanischer Akteure im Unternehmen. Damit zeigt die Studie das Potenzial einer kritischen Unternehmensgeschichte, die sich in den letzten Jahren zunehmend etabliert und Methoden aus der Global-, Kultur- und Sozialgeschichte integriert hat.
Robert Heinze