Sophie Lange: Deutsch-deutsche Umweltpolitik 1970-1990. Eine Verflechtungsgeschichte im internationalen und gesellschaftlichen Kontext des Kalten Krieges (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 140), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2024, X + 479 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-108620-0, EUR 69,95
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Anfang der 1970er Jahre wurden mehr als die Hälfte der Westberliner Abwässer in DDR-Kläranlagen geklärt. Dieser Umstand war nicht das Ergebnis innerdeutscher Umweltverhandlungen, sondern historisch gewachsen, ein Relikt des Deutschen Reichs im Zeitalter des Kalten Krieges. So scharf wie die Grenze die Menschen in Ost und West voneinander trennte, so wenig konnte sie Flüsse aufstauen, den Wind bremsen oder den menschlichen Unrat aller Art aufhalten. Auch wenn die Westberliner Insel im DDR-Staatsgebiet immer eine gewisse Sonderrolle einnahm, ist das Beispiel doch geeignet, die deutsch-deutsche Sonderrolle im Kontext des Systemwettstreits zu unterstreichen. Getrennt durch Ideologien und unterschiedliche politische Systeme, geeint in Sprache und gezwungen, sich immer wieder an einen Tisch zu setzen, da man das infrastrukturelle Erbe eines aufgeteilten Staates benutzte.
Die Dissertation von Sophie Lange baut auf dieser Vorüberlegung auf und unternimmt konsequent den Versuch, die Entwicklung der Umweltpolitik in Bundesrepublik und DDR zusammenzudenken und in Beziehung zueinander zu setzen. Ähnlich wie die bereits vorliegenden Untersuchungen zur DDR-Umweltgeschichte [1] möchte sie diese nicht als einseitige Verfallsgeschichte begreifen, der das positive Beispiel Bundesrepublik gegenübersteht. Mithilfe der drei Analysekategorien Interaktion (Art der Zusammenarbeit beider deutschen Staaten), Motivation (Wie handelten die beiden Seiten aus welchem Grund), Kommunikation (Wer sprach mit wem) versucht sie sich der gewählten Thematik gleichberechtigt anzunähern, ohne aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Erklärungs- und Deutungsmuster zu verlängern. Als Fluchtpunkt dienen ihr dabei die bilateralen Umweltverhandlungen ab 1985, die in die Umweltvereinbarung von 1987 mündeten. Inhaltlich greift sie mit der Werra-Versalzung infolge des Kali-Abbaus, der Luftverschmutzung oder der Konflikte um die Mülldeponie Schönberg Themen auf, die bereits in einschlägigen Vergleichsstudien fundiert bearbeitet worden sind. [2] Es gelingt ihr jedoch, den bisherigen Kenntnisstand breiter zu kontextualisieren und neue Sehepunkte hinzuzufügen.
Am deutsch-deutschen Beispiel zeichnet Langer die Entwicklung der internationalen Umweltdiplomatie nach. War diese in den 1970er Jahren primär außenpolitisch motiviert, um einen unverfänglichen Gesprächskanal zwischen den Blöcken offenzuhalten, wandelte sich die Motivation in den 1980ern zu einer innenpolitischen, da die erstarkende Umweltbewegung die Lösung konkreter Probleme einforderte. Lange kann hier aufzeigen, wie die Bundesrepublik bedingt durch den bundesstaatlichen Aufbau widersprüchliche Signale Richtung Osten sendete. Während Bayern etwa eine pragmatische Lösung wie die Finanzierung einer Kläranlage in der DDR forderte, um die heimische Belastung zu senken, pochte die Bundesregierung auf die Einhaltung des Verursacherprinzips.
Es ist ein großes Verdienst Langes, dass sie in der Summe eine gewisse Aufweichung von Prinzipien im Zeitverlauf feststellt. Für die DDR gilt dies etwa in der Frage des Umweltbundesamtes in Westberlin, dessen Einrichtung 1974 zum Abbruch aller deutsch-deutschen Umweltverhandlungen geführt hatte, oder in der Frage der Elbgrenze, die nach DDR-Lesart in der Mitte des Flusses und nicht am Ostufer verlief. Auf westdeutscher Seite wandelte sich im Zuge des Brundtland-Berichts 1987 endgültig das Verursacherprinzip in Richtung des Vorsorgeprinzips, was mit einem neuen Verständnis von internationaler Umweltzusammenarbeit korrespondierte, nach dem Umwelttechnik den Staaten zur Verfügung gestellt werden soll, die sie benötigen. Bezogen auf ihre drei gewählten Analysekategorien lässt sich festhalten, dass sich zu einer Verschiebung der Motivation auf innenpolitische Fragestellungen durch die Zunahme der - gerade nichtstaatlichen - Akteure eine Verdichtung der Interaktion und eine Versachlichung der Kommunikation gesellte. Der Austausch ideologischer Standpunkte zum Beginn von Verhandlungsrunden verkam zu einem pflichtschuldigen Präludium, das aber nicht mehr die Kraft hatte, das Abarbeiten von Sachfragen grundsätzlich aufzuhalten.
Langes gut recherchierte, auf einem breiten Quellenfundament ruhende und dicht erzählte Studie befasst sich ebenfalls mit der Frage, wer für die beiden Seiten an Umweltverhandlungen teilnahm und welchen Spielraum sie hatten. Neben dem Befund, dass von westdeutscher Seite primär Juristen die Verhandlungen führte, während die DDR tendenziell technische Experten schickte, versucht Lange sich an mehreren Stellen auch an einer Bewertung der Person Hans Reichelts, des Umweltministers der DDR von 1974 bis 1990. Christian Möller hat Reichelt als Apparatschik kritisiert, der in blindem Gehorsam die Nicht-Umweltpolitik des Politbüros administriert habe. Der Verfasser dieser Rezension hat Reichelt als durchaus eigensinnigen Machtpolitiker dargestellt, der es verstanden hat, die engen Gestaltungsmöglichkeiten des Regimes im Sinne einer besseren Umweltpolitik auszureizen. Es waren dabei die internationalen Umweltvereinbarungen, die Reichelt in seinem Sinne zu nutzen wusste, um seinen innenpolitischen Spielraum zu erweitern. Diese Lesart stützt Lange mit einer ebenfalls tendenziell positiven Gesamtbewertung Reichelts, der sich "im Graubereich des sozialistischen Systems" (354) bemüht habe, noch Schlimmeres zu verhindern. Damit berührt Lange zwei, noch weitgehend unbeantwortete Fragen. Die erste zielt darauf, welche Entfaltungsmöglichkeiten ein ökologisch gedachter Umweltschutz in den planwirtschaftlich organisierten, repressiven sozialistischen Systemen des ehemaligen Ostblocks hatte. Die zweite befasst sich spezifischer mit der besonderen Situation der DDR und zielt darauf, ob die deutsch-deutsche Sonderkonstellation für den ostdeutschen Umweltzustand zuträglich oder nachteilig war.
Die in ihrem Aufbau klug gestaltete und in ihrem Zugriff überzeugende Studie verliert sich stellenweise in einer ausufernden Darstellung, einer hohen Detailtiefe und einer zerfasernden Argumentation. Damit der Leser das Narrativ besser verfolgen könnte, wäre eine diszipliniertere Erzählstringenz vonnöten gewesen. Neben einigen, zu vernachlässigenden Sachfehlern, ist die Bezeichnung der MfS-Zersetzungsmaßnahmen gegenüber Umweltaktivisten als "glimpflich" (291) anzumerken, was als verharmlosend gelesen werden kann und das Leiden der von Zersetzung betroffenen Personen relativiert.
In der Summe ist die Studie von Lange als Gewinn für die deutsche Umweltweltgeschichtsschreibung anzusehen, die die vergleichende Perspektive vorantreibt und eine gute Ausgangslage bildet, die beiden deutschen Umweltgeschichten im Kontext ihrer jeweiligen Blöcke weiter vergleichend zu erforschen.
Anmerkungen:
[1] Tobias Huff: Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR, Göttingen 2015; Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen 2020; Martin Stief: "Stellt die Bürger ruhig". Staatssicherheit und Umweltzerstörung im Chemierevier Halle-Bitterfeld, Göttingen 2019.
[2] Vgl. Julia Ault: Saving Nature under Socialism. Transnational Environmentalism in East Germany, 1968-1990, Cambridge 2021; Astrid Eckert: West Germany and the Iron Curtain. Environment, Economy, and Culture in the Borderlands, New York 2019; Frank Uekötter: Ökologische Verflechtungen. Umrisse einer grünen Zeitgeschichte. in: Frank Bösch (Hg.): Geteilte Geschichte. Ost- und Westdeutschland 1970-2000, Göttingen 2015, 117-152.
Tobias Huff